Fintech-Expertin Carolin Gabor: „Es gibt zu viel Politik, Eitelkeit und Missgunst in unserer Branche“

Seit 1. April ist die Fintech-Expertin CEO des Autoversicherungsvermittlers Movinx, ein Joint Venture von Daimler und Swiss Re.
(Credit: privat)
Düsseldorf Die Finanzwelt von morgen gestalten – das ist die Leidenschaft von Carolin Gabor. Dabei träumte sie als junges Mädchen und Messdienerin davon, einmal für die katholische Kirche zu arbeiten. Aber es kam alles ganz anders. Sie machte nach dem Abitur eine klassische Bankausbildung und arbeitete nach ihrem BWL-Studium zunächst zehn Jahre lang als Strategieberaterin für den Finanzdienstleistungsbereich bei der Boston Consulting Group.
Es ist die Zeit, in der in Deutschland immer mehr Fintech-Start-ups gegründet werden – ein Bereich, der Gabor fasziniert. Sie wird selbst CEO, unter anderem bei der Vergleichsplattform TopTarif.de, autohaus24.de und dem Fintech-Ökosystem Finleap, einem der erfolgreichsten Venture-Capital-Unternehmen in Deutschland.
Inzwischen gilt Carolin Gabor als eine der einflussreichsten Frauen in der Fintech-Welt. „Es macht mir unheimlich Spaß, in der Finanzbranche an innovativen Geschäftsmodellen zu arbeiten und meinen Beitrag zu leisten, dass Finanzprodukte und -prozesse für die Kunden deutlich einfacher werden“, erklärt sie im Gespräch ihre Motivation.
Wenn es ein Problem gibt, das noch keiner gelöst hat, ist Carolin Gabor in ihrem Element. „Das sind Situationen, in denen ich am meisten Energie entwickle. Nach dem Motto: Wenn es einfach wäre, gäbe es die Lösung schon. Das spornt mich an!“
Seit April ist sie die neue Chefin bei Movinx, einem gemeinsam von Swiss Re und Daimler gegründeten Online-Motorfahrzeugversicherer. Was genau sie dort macht, welche Rolle Frauen in der Fintech-Branche spielen und wieso sie schnell frustriert ist, wenn sie in großen Konzernen arbeitet, erläutert sie im Interview.
Frau Gabor, bei meiner Recherche habe ich öfter den Satz gelesen: „Sie gilt als eine der einflussreichsten Frauen in der deutschen Fintech-Welt“ – macht Sie das stolz?
Stolz ist wahrscheinlich der falsche Begriff. Freude am Erschaffen, an der Kreation – das trifft es besser. Es macht mir unheimlich Spaß, in der Finanzbranche an innovativen technologiebasierten Geschäftsmodellen zu arbeiten und meinen Beitrag zu leisten, dass Finanzprodukte und -prozesse für die Kunden deutlich einfacher werden.
Leider herrscht in der deutschen Fintech-Branche ein Überschuss an Männern – was glauben Sie, woran das liegt?
Ich denke, es ist die Kombination aus der Branche, die auf Entscheiderebene auch sehr männerlastig ist, und Technologie; eine Schnittmenge, die einfach weniger Frauen begeistert als andere Branchen und Berufsbilder. Ich bin eine starke Verfechterin von diversen Teams, wenn es darum geht, neue Lösungen zu entwickeln. Bei Diversität geht es nicht nur um das Geschlecht, sondern insbesondere auch um Ausbildungshintergrund, geografische und kulturelle Herkunft.
Was würden Sie verändern, damit es in wenigen Jahren besser aussieht?
Wir müssen vor allem an der Unternehmenskultur arbeiten - das gilt für die gesamte Finanzbranche, egal, ob jetzt etablierte Bank und Versicherung oder Fintech. Solange die Kultur dominiert wird von persönlicher Macht, politischen Seilschaften und leider in vielen Fällen auch Gier, werden wir es nicht schaffen, die besten und vielfältigsten Teams zu gewinnen und zu halten.
Viel zu wenig hinterfragt und diskutiert wird aus meiner Sicht vor allem auch das Thema Werte. Junge internationale Talente suchen Umfelder, die einem echten Zweck, einem Purpose folgen, in dem persönliches Wachstum möglich ist und sie einen echten Beitrag leisten können. Davon sind die meisten Unternehmen in unserer Branche allerdings noch sehr weit entfernt.
„Was ich bereue? Ich hätte viel früher selbst gründen sollen“
Können Sie uns Ihren Job beschreiben, ohne die Marketingsprache Ihres Unternehmens zu nutzen?
Seit 1. April bin ich CEO von Movinx. Unser Ziel ist es, die Mobilitätsversicherung digitaler und kundenorientierter zu machen, indem wir die Welt der Versicherung mit der Welt der Mobilitätsdienstleister und Autohersteller zusammenbringen. Die Komplexität dahinter ist nur im Maschinenraum sichtbar. Die richtige Autoversicherung zu finden soll so einfach werden, wie Essen oder ein Taxi online zu bestellen.
Wie können wir uns Ihren Alltag bei Movinx vorstellen?
Von morgens bis zum frühen Abend durchgetaktet in Gesprächen mit Kollegen und Partnern. Dabei versuche ich motivierend, begeisternd, inhaltlich herausfordernd und hinterfragend zu sein, damit wir als Team in möglichst kurzer Zeit zu einem optimalen Ergebnis kommen. Es geht darum, permanent neue Informationen und Sichtweisen abzuwägen und schnell Entscheidungen zu treffen. Genauso wichtig ist es, Fehler ebenso schnell zu entdecken, permanent transparent zu kommunizieren und darauf zu achten, dass alle mit Vollgas an den wichtigsten Themen arbeiten.
Wissen Sie noch, was Sie werden wollten, als Sie klein waren?
Ich bin sehr katholisch aufgewachsen mit katholischer Mädchenschule, war Messdienerin und überzeugt, irgendwann mal eine Aufgabe im Rahmen der Kirche einzunehmen. Als Jugendliche habe ich viel Theater gespielt, eine Sache, die mich heute als Zuschauerin immer noch begeistert. Spannend, wie das Leben manchmal spielt.
Wie definieren Sie ein erfolgreiches Unternehmen? Ist es nur finanzieller Erfolg, oder gibt es auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen?
Aus meiner Sicht sind die Qualität des Teams und die Kultur die Kernerfolgsfaktoren, um aus einem guten Unternehmen ein richtig erfolgreiches zu machen oder auch eine Turnaround-Situation zu meistern.
„Wenn es einfach wäre, gäbe es die Lösung schon“
Beschreiben Sie eine Arbeitssituation, in der Sie komplett im Flow und erfüllt sind? Was gibt Ihnen Energie im Arbeitsleben?
Ich mag es am meisten, wenn es ein größeres komplexes Problem gibt, das es zu lösen gilt. Es liegen nicht alle notwendigen Informationen vor, es gibt viele unterschiedliche Sichten, es herrscht Zeitdruck und große Nervosität. Das sind Situationen, in denen ich wahrscheinlich am meisten Energie entwickle und die mir großen Spaß machen. Nach dem Motto: Wenn es einfach wäre, gäbe es die Lösung schon. Das spornt mich an.
Was frustriert Sie und ist Ihr persönlicher Produktivitätskiller?
Politik, Eitelkeit und Missgunst, davon gibt es leider viel in unserer Branche. Sicher auch ein Grund, warum ich mich in kleineren, unternehmerischen Umfeldern wohler fühle als im Konzern.
Gibt es etwas in Ihrem Leben, das Sie aus Angst gemieden haben, was Sie nun bereuen?
Ich hätte viel früher selbst gründen sollen. Ein paar Jahre das Handwerkszeug in der Unternehmensberatung lernen, ein gleichgesinntes Team suchen und für ein paar Jahre – bevor Kinder und Verpflichtungen vorherrschen – Ideen ausprobieren, bis etwas gut funktioniert.
Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?
Ich war nie eine Person, die andere Einzelpersonen stark bewundert hat. Dieser Fankult, der auch die sozialen Medien mehr und mehr bestimmt, ist nicht mein Ding. Ich versuche, so viel wie möglich von Menschen zu lernen, mit denen ich arbeite und die mich privat umgeben, und von meiner Familie. Was ich bewundere und versuche zu leben, ist: menschliche Wärme, große intellektuelle Neugier, sich selbst Fehler einzugestehen und sich nicht zu ernst zu nehmen, viel Humor, Freude an der Kreation und Entwicklung von Neuem und sich nicht zufriedenzugeben mit dem Geschafften, sondern weiter zu streben.
Haben Sie ein persönliches Motto, das Sie antreibt und motiviert?
„Okay, das haben wir jetzt geschafft, aber wie geht es noch besser?“ Und: „Wo ist das nächste große Problem, das bisher keiner gelöst hat?“
Was würden Ihre alten Kollegen/Ihr alter Chef sagen auf die Frage ...
... was Sie auszeichnet?
Bei den letzten Feedbacks meiner Kollegen wurden folgende Themen genannt: Ich sei nahbar, habe ein echtes Interesse an den Menschen, bin sehr transparent in der Kommunikation, habe eine sehr hohe Entscheidungs- und Umsetzungsgeschwindigkeit und viel Energie.
... was Sie besser können als alle anderen im Team?
Menschen, mit denen ich eng gearbeitet habe, würden wahrscheinlich sagen: andere für die gemeinsame Sache gewinnen und „anzünden“ oder „eins auf die Fresse bekommen, aufstehen, lächeln und weitermachen“.
Ratschläge für die Gehaltsverhandlung
... was Ihnen schwerfällt?
Super Frage: mich zurücknehmen und nicht klugzuscheißen. Es ist immens wichtig, alle im Team zu hören, die verschiedenen Sichtweisen abzuwägen, um dann gemeinsam die Entscheidung zu treffen. Meine Freude an Geschwindigkeit steht mir hier leider manchmal im Weg ...
Wenn ich mich bei Ihren Freunden erkundigen würde: Für welche alternativen Karriereoptionen wären Sie geeignet?
Freunde sehen mich im privaten Umfeld mit meiner Begeisterung für Kunst und Kultur und können sich gut vorstellen, dass ich auch in dieser Welt etwas Kreatives schaffen könnte. Die andere Option ist sicherlich im Bereich Non-Profit: für einen Zweck, der mir persönlich sehr am Herzen liegt, das Gelernte einzubringen und Probleme zu lösen.
Welches Tool ist bei der Arbeit für Sie unverzichtbar, und welche Apps haben Sie im täglichen Einsatz?
Ohne mein Mobiltelefon, gute Kopfhörer und Diktierfunktion geht gar nichts! Ich nutze vor allem meine E-Mail-Programme, WhatsApp und die Google-Drive-Funktionen.
Inspirierende Newsletter, Podcasts oder Webseiten?
Ich lese täglich die Newsletter von Herrn Dohms, Herrn Fromme und Caspar Schlenk sowie Start-up Insider und das Handelsblatt. Podcasts: Ich habe in der Lockdown-Zeit fast alle Folgen des Zeit-Podcast „Alles gesagt“ gehört - großartig, mein großes Kompliment an das Team, den kann ich nur weiterempfehlen.
Was waren Ihre wichtigsten drei (Arbeits-)Ergebnisse der letzten drei Jahre?
Finleap dorthin zu entwickeln, wo es heute steht mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl von Fintechs, die sehr erfolgreich sind - wie Solarisbank, Clark, Pair Finance oder Finleap Connect. Zweitens das Scheitern von Joonko und das daraus Gelernte! Auf was kommt es wirklich an, um aus einer Idee ein erfolgreiches Geschäft zu machen? Und drittens, meine Familie und das Team durch diese schwere Zeit seit Start der Pandemie zu bringen und emotional stabil zu bleiben.
In den nächsten drei Jahren: Was wollen Sie lernen, was Sie heute noch nicht können?
Ein Geschäft zu internationalisieren und in verschiedenen Märkten zu operieren.
Wenn Sie mit Ihrem Wissen von heute noch mal neu starten dürften – was würden Sie anders machen?
Wie gerade gesagt: deutlich früher ein eigenes Unternehmen gründen.
Bitte ergänzen Sie den Satz: Ich unterstütze meine Mitarbeiter, Nachwuchskräfte, Kolleginnen in schwierigen Situationen, indem …
… ich zuhöre, sie bei der Entwicklung von alternativen Lösungen unterstütze und so viel Sparring anbiete, wie sie brauchen. Gleichzeitig sorge ich dafür, dass sie die erforderlichen Informationen für ihren Job haben.
Wie gelingt gute Leadership im Homeoffice?
Angenommen ein Kollege oder Mitarbeiter denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?
Solche Emotionen kann man sehr schlecht mit gut gemeinten Ratschlägen oder der entsprechenden „Lean in”-Frauen-im-Business-Lektüre verändern. Häufig fußen solche Emotionen auf individuellen Erlebnissen. Hier kann ein Coach deutlich besser ansetzen als ein Kollege oder die Führungskraft. Davon habe ich selbst auch stark profitiert.
Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?
Take it, change it, leave it. Bewusst machen und Entscheidung treffen und aufhören zu quengeln.
Ein Satz, den eine gute Führungskraft niemals sagen würde?
„Hierzu sollten wir uns noch mal mit Compliance/Legal/Finance/M&A … alignen.“ Daran gehen die großen Unternehmen kaputt. Es wird nur noch „aligned“, aber nichts mehr entschieden oder schon gar nicht umgesetzt.
Was braucht (digitale) Leadership in Pandemiezeiten?
Extrem hohe Flexibilität: Es gibt niemanden, der das besser kann als Mütter. Wir sollten uns alle daran ein Beispiel nehmen, wie Mütter diese Pandemie gemanagt haben. Ich persönlich halte es für eine wahnsinnig große Herausforderung, ein größeres Team in dieser Zeit wirklich produktiv zu halten, zu wissen, wie es den einzelnen Menschen geht, wirklich konstruktives Feedback zu geben und die Kultur positiv weiterzuentwickeln.
Bitte ergänzen Sie den Satz: Anderen Chefs würde ich gerne sagen …
… dass sie nicht immer nur Leute einstellen sollten, die genau solch einen Job schon zehn bis 15 Jahre gemacht haben, sondern nach diversen Hintergründen suchen sollten, um wirklich Neues zu schaffen und weiterzukommen.
Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?
... ein bisschen Werbung sei erlaubt: das Verhandlungstraining bei Matthias Schranner besuchen. Wahnsinnig gut für alle Verhandlungen!
Verbündete und Mentoren finde ich ...
… in meinem Umfeld. Dort gibt es eine Reihe von Menschen, von denen ich viel lernen kann, die mir auch regelmäßig konstruktives Feedback geben - fast das Wichtigste, um besser zu werden. Ich stelle außerdem eine Menge Fragen und lerne dadurch.
Umgekehrt gefragt: Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Mentor aus?
Ein guter Mentor ist jemand, zu dem man als Mentee ein eher formelles, professionelles und am besten kein freundschaftliches Verhältnis hat, und nicht jemand, der sich verpflichtet fühlt, einen zu loben und bei jeder Entscheidung, die man trifft, zu unterstützen. Ein Mentor stellt die unbequemen Fragen, unterstützt dabei, die eigenen Fehler zu erkennen, und macht auf die Triggerpunkte aufmerksam, die eingefahrene Muster hervorrufen, die uns eher schaden als nutzen. Auf Englisch würde man sagen:„Someone who kicks your ass!“
Der größte Benefit, den Sie bisher aus einem Ihrer Netzwerke gezogen haben?
Alle Karriereschritte nach BCG sind aus meinem Netzwerk entstanden, ebenso die größeren geschäftlichen Abschlüsse und Erfolge der letzten Jahre.
Was tun Sie für Ihre Gesundheit?
Gesund essen, dreimal die Woche Sport, ausreichend Schlaf, runterkommen in der Zeit mit den Kindern, Kultur und Reisen, um den Kopf aufzumachen und zum Ankurbeln der Kreativität.
Wie schalten Sie abends ab, und wann gehen Sie ins Bett?
Ich mache eine Pause - typischerweise zwischen 18 und 20.30 Uhr für die Kinder und Familie - da kann ich hervorragend abschalten. Dann arbeite ich im Anschluss nochmal anderthalb bis zwei Stunden sehr fokussiert. Am Abend lasse ich das jeweils Erlebte mit meinem Partner Revue passieren, lese ein Buch oder schaue eine Serie. Ins Bett gehe ich meist gegen 23 Uhr.
Frau Gabor, vielen Dank für das Interview.
Über Carolin Gabor
Carolin Gabor ist eine erfahrene Unternehmerin. Als ehemalige Geschäftsführerin von Finleap, einem großen Fintech-Ökosystem, war sie maßgeblich daran beteiligt, neue Geschäftsmodelle von Grund auf zu entwickeln und das erfolgreiche Wachstum der Finleap-Portfoliounternehmen wie der Solarisbank, Clark oder Finleap Connect zu unterstützen. Ihre letzte Geschäftsmodellentwicklung mit Finleap war die Joonko AG, ein Finanzaggregator, der es Verbrauchern ermöglicht, die richtigen Bank- und Versicherungsprodukte auf radikal einfache und datengetriebene Weise zu finden.
Davor war sie CEO von TopTarif.de, einer Vergleichsplattform, die sie restrukturierte und an die Verivox GmbH verkaufte. Anschließend wurde sie CEO von autohaus24.de, wo sie weitere Geschäftsmodelle etablierte und das Unternehmen an Sixt Leasing verkaufte. Davor war Gabor, ursprünglich aus der Bankenbranche kommend, Strategieberaterin bei der Boston Consulting Group (BCG).
Gabor ist außerdem Gründerin der Organisation „Fintexx – women in finance“. Mit dieser Plattform will sie regelmäßig Frauen aus der Finanz- und Fintechszene durch Events zusammenbringen, um den Aufbau von beruflichen Geschäftsbeziehungen unter Frauen zu stärken.
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