Schleudersitz Marketingchef: Erfolg bitte, aber schnell!
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Schleudersitz MarketingchefErfolg bitte, aber schnell!
Wer lange in einem Unternehmen bleiben möchte, sollte nicht die Position des Marketingchefs anstreben. Kein Vorstand wird schneller ausgetauscht. Warum ist das so? Und wie lässt sich das Risiko für Fehlbesetzungen mindern?
Der vielfach ausgezeichnete amerikanische Marketing-Chef, der für globale Unternehmen wie Coca-Cola, Mastercard und Subway gearbeitet hat, rät dringend: „Ein Kandidat für den CMO-Posten sollte beinah forensische Analysen über einen neuen Arbeitgeber anstellen.“
(Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS)
Düsseldorf Es dauerte nur ein Jahr, da musste Thomas Starz im Mai beim Süßwarenproduzenten Haribo gleich wieder gehen. Eva Henry-Künne, erst seit 2015 bei L’Oréal Deutschland, verließ in diesem Jahr den Kosmetikhersteller vorzeitig mit unbekanntem Ziel. Auch Christian Bubenheim blieb nur gut zwei Jahre bei Autoscout24, bevor es zum überraschenden Abgang „im gegenseitigen Einvernehmen“ kam, wie die Online-Fahrzeugbörse erklärte.
Starz, Henry-Künne und Bubenheim haben eines gemeinsam: Sie waren die Marketingchefs der jeweiligen Unternehmen. Die drei sind nur einige Beispiele von vielen dafür, dass sich der Posten des Marketingchefs (CMO) immer öfter als Schleudersitz erweist. Das belegen Studien unterschiedlicher Personalberatungen. Mit einer Verweildauer von durchschnittlich 4,1 Jahren haben Marketingchefs offenbar den riskantesten Job im Kreis der Topmanager. Das ermittelte die Korn Ferry Hay Group in den USA.
Noch rascher, nach durchschnittlich nur 3,6 Jahren, wechseln Marketingvorstände in der Konsumgüterindustrie. Am längsten wirken sie mit 5,1 Jahren in der Finanzbranche. Tendenz fallend. Zum Vergleich: Finanz-, Technik- oder Personalchefs bleiben im Schnitt jeweils 5,3 Jahre an Bord.
Auch wenn die Studie sich auf die USA bezieht, lässt sich das Phänomen so exakt auf Deutschland übertragen. „Die Gründe für die geringe Verweildauer sind global“, sagt Gabi Schupp, Expertin bei der Personalberatung Spencer Stuart. Sie war selbst viele Jahre für das Marketing beim Konsumgüterhersteller Procter & Gamble verantwortlich.
Hauptursache für die schnellen Wechsel sind ihrer Meinung nach die radikal veränderten Anforderungen an diesen Posten. Als Folge der Digitalisierung sind die gewohnten Absatzkanäle weggebrochen. Plattenläden etwa für die Musikindustrie, Videotheken für die Filmindustrie. Märkte und Zielgruppen verbreitern sich dafür in enormem Tempo, gleichzeitig mit den digitalen Medien auch die Kommunikationsmöglichkeiten.
Von Zeit können Marketingchefs nur träumen
Den Marketingchefs bleibt kaum Zeit, eine wirklich nachhaltige Strategie zu entwickeln. In der schnelllebigen Zeit von Social Media müssen auch die Erfolge in entsprechend schnellerer Taktung gelingen. Jeder will Aufmerksamkeit erregen. In der Masse an Informationen ist das gar nicht so leicht. Entweder gelingt den Verantwortlichen sofort der große Wurf – oder sie sind weg.
Die Marketingchefs von heute können nur davon träumen, die Zeit zu haben, mit der Thomas Clarke einst seine Idee entwickeln konnte. Eine Idee, die bleibt. 1988 kreierte unter Clarkes Führung ein Team aus Marktanalysten und hauseigenen Kreativen zusammen mit der Werbeagentur Wieden+Kennedy die „Just do it“-Kampagne für Nike. Für viele der Marketingcoup des Jahrhunderts – hauchte die Kampagne doch der Marke „ihre Seele“ ein, wie es Marketingprofis gerne formulieren.
Ein Slogan, der auch nach fast 30 Jahren noch funktioniert. Simpel, griffig, fordernd. Und vor allem zeitlos. Er machte den Laufschuh-Hersteller aus Oregon schlagartig zur weltweiten Werbe-Ikone. Die Markenbotschaft traf den Nerv von Generationen – und sorgte so für gigantisches Wachstum. Zuletzt machte der größte Sportartikelhersteller der Welt einen Jahresgewinn von 4,2 Milliarden Dollar.
Auch Clarke zehrte von diesem Geniestreich. Der New Yorker war insgesamt 33 Jahre bei Nike, zuletzt trug er den Titel President und war zuständig für Innovationen.
Doch nicht jedem Marketingchef gelingt wie ‧Clarke ein so großer Wurf. Der sich noch dazu jahrzehntelang ausbauen und an neue Gegebenheiten anpassen lässt. Jahrelang war immer der gerade aktuellste Top-Athlet das Werbegesicht: erst Basketballer Michael Jordan, zuletzt Fußballer Cristiano Ronaldo. Nun gibt es einen neuen Dreh rund um den berühmten Slogan: Videoclips zeigen, wie ehrgeizige Amateure mit ungewöhnlichen Mitteln für ihre Ziele trainieren. Einen Rugbyspieler, der im Museum absichtlich den Alarm auslöst, um dann dem Sicherheitspersonal ausweichen zu müssen. Oder eine Läuferin, die sich mit Handschellen an die australische Olympionikin Genevieve LaCaze kettet, um mit den Besten mithalten zu können.
Werbung im Wandel
... beflügelte das Kabelfernsehen das Werbegeschäft, während gleichzeitig Videorekorder, mit denen sich TV-Werbeblöcke überspringen lassen, die Wirksamkeit der Spots behindern. Die ersten globalen Werbe-Ikonen entstehen.
...sind Marken nicht länger nur gefällig, sondern stehen für politische oder gesellschaftliche Haltungen. Mit Schockmotiven werden Tabus hinterfragt. Präzision statt Gießkanne lautet das Motto: Die Beziehungspflege mit dem einzelnen Kunden beginnt. Und die ersten B2B-Spezialisten für die Ansprache von Geschäftskunden tauchen auf.
...verändert die digitale Revolution die Beziehung von Unternehmen und Kunden grundlegend. Mit Verbreitung der Sozialen Medien vertrauen die Konsumenten lieber aufeinander als dem schönen Schein der Werbung. Etliche Markenanbieter setzen daher auf reale Menschen für ihre Kampagnen als auf Models. Neben Sympathiebekundungen müssen Marketingexperten aber auch mit weltweiten Shitstorms von Kritikern rechnen.
...überschwemmen Big Data und Künstliche Intelligenz das Marketing mit Infos zur Kundschaft. Ziel der Marketingmaßnahmen on- und offline ist es, überall maßgeschneiderte Kommunikation und Produkte anzubieten, die nicht nur ein individuelles Problem lösen, sondern auch in Erlebnis versprechen - und zwar während der gesamten Kundenbeziehung.
Denn mit der digitalen Revolution veränderte sich die Beziehung von Unternehmen und Kunden grundlegend: Mit Verbreitung der sozialen Medien vertrauen die Konsumenten lieber aufeinander als auf den schönen Schein der Werbung. Dazu kommt das gestiegene Risiko globaler Empörungswellen bei Facebook & Co., wie es jüngst Beiersdorf mit seiner vor allem in den USA und Afrika als rassistisch empfundenen Nivea-Werbung („Weiß ist Reinheit“) erlebt hat. Ein Vorwurf, dessen Wiederholung Ralph Gusko als zuständiger Vorstand unbedingt abwenden muss – will er nicht selbst ins Kreuzfeuer geraten.
Zunehmend geht es darum, für jeden Kunden ein maßgeschneidertes Gesamterlebnis zu bieten – von der Onlinebestellung über den Kontakt zur Hotline bis zur Lieferung der Ware. Im Fachjargon heißt das „Customer-Journey“. Die Unternehmen sammeln – direkt und indirekt – so viele Daten über den Kunden wie möglich, um die Phasen vom Wahrnehmen bis zum Kauf eines Produktes so gut wie möglich verfolgen zu können. Wann kommt der Kunde wie mit dem Produkt in Kontakt? Liest er einen Artikel im Netz, in dem es erwähnt wird? Empfiehlt ein Kontakt es in sozialen Medien? Schaut sich der Kunde selbst das Produkt im On‧lineshop an? All dies wird auf dem Firmenrechner gespeichert, von der Marketingabteilung gescannt – und im Idealfall in exakt auf den Einzelnen abgestimmte Werbung umgesetzt. All das fällt heute ebenso in den Verantwortungsbereich des CMO wie dazu nötige Kooperationen mit Trendsettern aus Musik, Mode oder Sport.
Zudem verlangt seine Rolle deutlich mehr Fach- und Führungskompetenz als früher. Denn längst ist das Marketing ein wichtiger Treiber von Umsatz und Gewinn. Der CMO ist darum auch bei Entscheidungen involviert, wo es um Produkteinführungen, Preisgestaltung oder Shoperöffnungen geht. Alles muss zum Gesamtkonzept passen. Aber entsprechend muss sich der CMO auch mit allem auskennen. Es geht nicht mehr nur darum, wie sich eine Marke, sondern wie sich das ganze Unternehmen strategisch entwickeln lässt.
Die Veränderung in der Zuständigkeit ist so groß, dass zum Beispiel Marcus van Marwick, bei Thyssen-Krupp Steel Europe verantwortlich für die Marken- und Kundenkommunikation, die Abkürzung CMO neu definiert: „Im Rahmen der digitalen Transformation steht CMO vor allem für Change of Marketing Organisation. Das bedeutet: eine konsequente Überprüfung der Wertschöpfungskette, von Kultur und Prozessen.“ Van Marwick ist Mitglied der Jury, die alljährlich den besten CMO Deutschlands kürt.
Herausforderungen an den Job müssen klar definiert sein
Der moderne CMO ist also Wachstums-, Kunden- und Kreativbeauftragter in einer Person. Wer dem gerecht wird, gilt als Virtuose und wird hoch gehandelt. Wer das hohe Anforderungsprofil nicht erfüllt, gilt dagegen schnell als Fehlbesetzung. „Nicht immer geht ein CMO freiwillig so schnell von sich aus, weil sich ihm anderswo eine bessere Chance bietet“, beschreibt Personalerin Schupp die Situation in vielen Unternehmen. Überraschend häufig scheitert es daran, dass der jeweilige Managertypus nicht zu den konkreten Herausforderungen des Arbeitgebers passt. Ein Experte für Krisenmarketing beherrscht nicht zwingend auch die Spielregeln, die erforderlich sind, um bei schnellem Wachstum Begehrlichkeiten in völlig neuen Zielgruppen zu wecken. Und wer einen Profi im Maschinenbau für den erfolgreichen Aufbau des B2B-Geschäfts benötigt, braucht einen anderen Kandidaten als denjenigen, der nur Erfahrungen mitbringt, die er beim Aufbau einer digitalen Bestellplattform für Privatkunden mit innovativen Bonusprogrammen gewonnen hat.
„Je klarer die Herausforderung definiert ist, vor der das jeweilige Unternehmen in den nächsten zwei, drei Jahren steht, und je konkreter davon ein Aufgaben- und Anforderungskatalog für den neuen CMO abgeleitet wird, umso größer sind seine Erfolgschancen“, sagt Schupp. Doch das Berater‧credo beherzigen nur wenige Unternehmen. Und so kommt es, dass allzu häufig Firma und Marketingchef nicht zusammenpassen.
Ein bekanntes Beispiel ist etwa die bisherige Opel-Marketingchefin Tina Müller. Sie hat es mit der „Umparken im Kopf“-Kampagne in den vergangenen vier Jahren geschafft, dem Autobauer ein frischeres Image zu verpassen und Modelle wie den Adam als Lifestyle-Accessoire attraktiv zu machen. Doch die neue Vorgabe in Rüsselsheim heißt „Konsolidierung“, seit Peugeot-Chef Carlos Tavares bei Opel das Sagen hat. Müller und Opel passen nicht mehr zusammen; Müller erhielt einen Aufhebungsvertrag. Im November fängt die 49-Jährige bei der Kosmetikkette Douglas an.
Eine Befragung der Unternehmensberatung Korn Ferry zeigt, wie unverstanden sich die Marketingschefs von ihren Vorgesetzten fühlen. Von knapp 300 Marketingverantwortlichen amerikanischer Top-Unternehmen glauben rund 40 Prozent der CMOs aus der Konsumgüterbranche nicht, dass der CEO ihre Rolle versteht.
Da wundert es nicht, dass oft der Marketingchef gehen muss, wenn die Spitzenmanager nicht an einem Strang ziehen. Das weiß Joseph Vincent (Joe) Tripodi nur zu gut. Er war seit den 1980er-Jahren Marketingchef bei Mastercard, dem Getränkehersteller Seagram’s, der Bank of New York, dem Versicherungskonzern Allstate und bei Coca-Cola. Vor zwei Jahren dann wechselte er zur Fast-Food-Kette Subway. Mehrfach zeichnete die Werbebranche ihn für seine Arbeit aus. Nun konstatiert Tripodi in der US-Management-Fachzeitschrift „Harvard Business Review“: „Ein Kandidat für den CMO-Posten sollte heute beinah forensische Analysen über einen neuen Arbeitgeber anstellen.“ Allzu oft stelle sich die Jobrealität anders dar als im Bewerbungsprozess versprochen. „Als ich Marketingchef der Bank of New York werden sollte, ging es stets darum, dass die Bank kundenorientierter werden sollte“, erzählt er. „Doch als ich die Stelle antrat, merkte ich schnell, dass der CEO sehr wenig Lust darauf hatte, in entsprechende Maßnahmen zu investieren. Also blieb ich nicht lange.“
Über eine Station bei Allstate kam er 2007 zu Coca-Cola. Der Getränkehersteller war lange bekannt als ein Arbeitgeber mit besonders hohem Verschleiß an Marketingchefs. Tripodi war der siebte Verantwortliche in zehn Jahren. „Als Neuer lediglich die Agentur auszutauschen und eine neue Werbekampagne aufzusetzen, reicht allein nicht, um die Geschäftsentwicklung maßgeblich zu beeinflusse“, sagt Tripodi. „Wird daraufhin kein Aufwärtstrend sichtbar, gilt ein CMO sofort als gescheitert und muss gehen. Dabei können die wahren Probleme im Vertrieb, bei der Preisgestaltung oder in der Produktqualität liegen.“
Tripodi schaute genauer hin und hatte Lösungen zu bieten. 2009 startete Coca-Cola die Markenkampagne „Open Happiness“, die einige Kreativpreise gewinnen konnte. Und der damalige CEO Muhtar Kent bedankte sich bei seinem Chef-Marketer bei dessen Ausstand für die „vielen Beiträge zu unserem Geschäft“. Er habe eine wesentliche Rolle dabei gespielt, Coca-Colas Marketing auf der ganzen Welt in Schwung zu halten.
2015 kam dennoch der Wechsel zu Subway. Dort soll er nun Geschäft, Marke und Kultur des einstigen Familienbetriebs so ausrichten, dass es der Stellung als weltweit größtem Franchise-Unternehmen gerecht wird. „Es geht um die ideale Struktur für weiteres Wachstum und die Marketingstrategie für die unterschiedlichen Märkte“, sagt er. Vor allem dank seiner Erfahrung mit globalen Marken ist der CMO, der vor drei Jahren in die Amercian Marketing Association Hall of Fame aufgenommen wurde, wohl der Richtige für diesen Job.
Vielleicht hätten auch die Vorstandschefs bei Haribo, L’Oréal Deutschland oder Autoscout24 ihre Anforderungen genauer definieren sollen, ehe sie sich für einen Kandidaten entschieden.
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