Trend Open-Space-Büro Laptop an Laptop

Wird die Kreativität gefördert?
Düsseldorf Nur der ständige Austausch lässt Ideen sprudeln und Kreativität fließen. Davon jedenfalls sind viele Manager überzeugt, die in ihren Unternehmen auf die Umsetzung des Kollaborations-Prinzips setzen. „Du sollst zusammenarbeiten“ ist auf dem Weg, das wichtigste Gebot der Geschäftswelt zu werden.
Von der Theorie in die Praxis umgesetzt heißt das: Wissensarbeiter verbringen laut aktuellen Schätzungen 70 bis 85 Prozent ihrer Zeit in Meetings oder mit E-Mails, um die Wünsche nach Unterstützung, Feedback oder neuen Anweisungen zu erfüllen. Das erlebt auch Sarah Fix-Bähre, Teamleiterin Handel bei Google Deutschland. Doch sie äußert sich kritisch: „Wir verbringen viel zu viel Zeit in Meetings. Das geht von der Zeit ab, die wir auf unsere eigentliche Aufgabe verwenden sollten. Abends habe ich das Gefühl, nichts erledigt, sondern nur noch mehr ,To dos‘ auf der Liste zu haben.“
Die Meinung der Google-Managerin erstaunt. Denn vor allem der US-Erfolgskonzern gilt als Vorreiter einer Firmenkultur, in der Mitarbeiter zum ständigen Austausch angehalten werden. Um die dafür notwendigen architektonischen Strukturen zu schaffen, sitzen in der US-Firmenzentrale Tausende Mitarbeiter auf riesigen Flächen ohne Wände. Der sogenannte Open Space entschädigt sie mit Komfort – von der Gratis-Mahlzeit bis zum Tanzkurs.
Die „kollaborative Überlastung“
Dem großen US- Vorbild wird auch in Deutschland eifrig nachgeeifert: Zuletzt errichteten Vodafone und die HVB ihre neuen Firmenzentralen mit offenen Raumkonzepten. Auch die Lufthansa will im Laufe des Jahres etliche Wände im Frankfurter Verwaltungsgebäude abreißen. 2 500 Mitarbeiter aus dem Personalwesen bis hin zum Controlling sollen zusammenrücken, um sich enger miteinander auszutauschen. Was dabei viel zu selten beachtet wird: Die Vorreiter des Trends thematisieren längst wie Google-Managerin Fix-Bähre auch die Schattenseiten einer Welt ohne Wände. Kollaboration in offenen Bürosituationen gilt unter jenen, die sich auf ihre Arbeit konzentrieren müssen, als Handicap. Wissenschaftler belegen inzwischen die These.
So widmete erst kürzlich die Zeitschrift „Harvard Business Review“ der „kollaborativen Überlastung“ eine Titelgeschichte. Und der bekannte Autor Cal Newport, ein Wissenschaftler der Georgetown University, hat zum Thema das Buch „Deep Work” herausgebracht. In seinem Bestseller legt Newport dar, warum im Zeitalter permanenter Ablenkung durch Zusammenarbeit die Konzentrationsfähigkeit zur ultimativen Herausforderung für Wissensarbeiter wird.
Denn Forschungen belegen auch, dass die vielfach unterstellte Multitasking-Fähigkeit des Menschen eine Mär ist. John-Dylan Haynes, Hirnforscher der Berliner Charité, sagt zum Beispiel: „Am Arbeitsplatz beanspruchen die meisten Aufgaben alle unsere Ressourcen. Wir können keinen Geschäftsbericht schreiben und gleichzeitig eine Rede formulieren“, so Haynes. „Das liegt daran, dass das Gehirn aus vielen Modulen besteht, die alle auf sehr eng umgrenzte Aufgaben spezialisiert sind. Wir machen also kein Multitasking, sondern ,Task-Switching‘: Wir schalten zwischen vielen Aufgaben hin und her.“
Konzentrationsprobleme im Großraumbüro
Genau das aber kostet Zeit, wie etwa Haynes‘ Kollegin Gloria Mark von der Universität of California in Irvine nachweist: Unterbrechungen, und seien sie noch so marginal, verlängern deutlich die Zeitspanne, um eine Aufgabe zu erledigen.
Dazu komme, führt Haynes aus, „dass die Aufmerksamkeitsmechanismen unseres Gehirns nicht in der Lage sind, Umweltreize komplett auszublenden. Im Großraumbüro wird jeder Anruf, jede Bewegung registriert. Die Leistung sinkt, die Fehlerrate steigt. Dieses Reiz-Bombardement erzeugt Stress. Wer anspruchsvolle Aufgaben bearbeitet, für den sind Großraumbüros eine Katastrophe“.
Das bestätigt auch Michael Jörgs aus seinem Büroalltag. Er berät mit neun weiteren Kollegen Firmen zu Finanzierungen und Fördermöglichkeiten – und sitzt dazu mit ihnen gemeinsam im Großraum. Eine Situation, die Jörgs nicht nur belastet. „Auch von Arbeitseffizienz kann keine Rede sein“, sagt der Diplom-Kaufmann. Während die einen mit Kunden telefonieren und die anderen Kollegen ihre Konzepte besprechen, versucht sich der 40-Jährige in seinen jeweiligen Fall reinzudenken, Berechnungen anzustellen, Lösungen für seine Kunden auszuarbeiten.
Seine Leistung ist im Vergleich zu seiner vorherigen Stelle, wo er die gleiche Arbeit in einem Einzelbüro erledigen konnte, um die Hälfte zurückgegangen, schätzt Jörgs. „Meine Konzentration wird jedes Mal unterbrochen, wenn ein Kollege einen Anruf annimmt. Obwohl der Geräuschpegel durchweg hoch ist, bekomme ich dennoch Details vieler Gespräche um mich herum mit und beginne dann, automatisch mitzudenken.“ Oft geht er abends erschöpft oder mit Kopfweh nach Hause. Gern würde er den Arbeitgeber wechseln. Ein lukratives Jobangebot einer Unternehmensberatung hat er aber ausgeschlagen, als er beim Vorstellungsgespräch sah, dass im Großraumbüro neben den PC-Monitoren noch TV-Bildschirme installiert waren. Für Jörgs war klar: „Ich musste befürchten, dass meine Situation noch schlimmer würde.“
Unternehmen setzen auf junge Mitarbeiter
Finanzexperte Jörgs ist kein Einzelfall. Wissenschaftler der Universität Stockholm fanden heraus, dass Mitarbeiter in Großraumbüros besonders häufig krank werden. Grundlage der Untersuchung waren die Fehlzeiten von 2000 schwedischen Arbeitnehmern. Im Schnitt fehlten die Beschäftigten, die in einem Großraumbüro saßen, fast doppelt so häufig wie ihre Kollegen. Als mögliche Ursache kommen die schnellere Verbreitung von Krankheitserregern oder die höhere Belastung infrage.
Diesen Aspekt haben Kollaborationsfans nur selten im Blick, moniert Managementprofessor Rob Cross von der University of Virginia. Der Wirtschaftswissenschaftler kritisiert, dass Berater und Manager, die die Vorteile von Kollaboration für ein modernes Arbeitgeberimage oder auch für das Innovationstempo betonen, die dafür anfallenden Kosten häufig ausblenden.
Managementprofessor Mark Bolino von der University of Oklahoma spitzt das Argument laut der Zeitschrift „The Economist“ weiter zu: Manche Mitarbeiter seien so engagiert in Sachen Kollaboration, dass sie aufgefordert würden, ihre Meinung praktisch zu allem zu äußern. Es dauere jedoch nicht lang, dann würden diese Vielgefragten zum Flaschenhals: weil nichts mehr geschehe, bevor nicht auch sie ihre Meinung abgegeben hätten – egal, wie weit die fraglichen Themen auch von ihrer Kernkompetenz entfernt sein mögen.
Wie gelingt es Unternehmen nun, vom Kollaborations-Prinzip zu profitieren, aber negative Auswüchse zu vermeiden? Sie sollten vor allem jungen Mitarbeitern, die von dieser Führungskultur begeistert sind, die Langzeitkosten aufgrund der Ablenkung begreiflich machen. Experten raten zudem, darauf hinzuweisen, dass die Arbeitszeit endlich ist und jede Einladung zu einem Meeting, jede Aufforderung zur Beteiligung an einer Online-Diskussionen weniger Zeit für die eigentliche Aufgabe lässt. Und dass auch Kleinigkeiten, selbst das freundliche „Hallo“ im Großraumbüro, in der Summe zum Produktivitätskiller werden kann.