Umfrage unter 6600 Personalern Von Digitalisierung bis neue Karrieremodelle: Wofür Ihre Personalabteilung gerade keine Zeit hat

Digitale Ziele in weiter Ferne.
Düsseldorf Personalabteilungen waren in den letzten Monaten nicht zu beneiden. Erst Umzug ins Homeoffice, dazwischen die ein oder andere Restrukturierung, jetzt Rückkehr ins Büro und langfristig eine hybride Arbeitswelt, in der ein Teil der Belegschaft immer mal wieder zu Hause, ein anderer vor Ort arbeitet.
Dass bei so einer langen To-do-Liste schon einmal etwas liegen bleibt, ist klar. Dass darunter aber auch Wichtiges ist, legt nun eine aktuelle Befragung der Boston Consulting Group (BCG) und des Personalmanagement-Weltverbands WFPMA nahe.
Danach entfällt der größte Teil der Arbeitszeit von Personalern derzeit auf Corona-bezogene Themen wie Gesundheit, Sicherheit und das Management von Unternehmensrichtlinien. Am anderen Ende der Prioritätenliste liegen strategisch wichtige Themen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung im Personalwesen.
Die Ergebnisse sind keine guten Nachrichten für Mitarbeiter und Bewerber. Denn auch wichtige Punkte wie die Entwicklung neuer Karrieremodelle oder der Aufbau einer Talentepipeline stehen auf der Liste weit unten.
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Insgesamt wurden mehr als 6600 Personalverantwortliche in 113 Ländern befragt, davon 158 in Deutschland. Trotz der niedrigen Teilnehmerzahl in Deutschland weist die Befragung in Kombination mit den weltweiten Ergebnissen eine klare Tendenz auf: In Corona-Zeiten fällt vor allem die digitale Agenda vieler Personalabteilungen hintenüber.
„In jeder Krise überwiegt erst einmal die Krise“, ordnet Jens Baier, Senior Partner bei BCG und Autor der Studie, ein. Zwar seien in der Pandemie in vielen Unternehmen binnen weniger Tage ganze Kommunikations- und Entscheidungswege komplett auf digitale Kanäle wie Zoom, Teams oder Slack verlagert worden. „Im Vordergrund stand jedoch, die Dinge kurzfristig ans Laufen zu kriegen“, so Baier. Was im Umkehrschluss heißt: Langfristige Digitalisierungsvorhaben blieben eher auf der Strecke.
Dafür spricht auch, dass in der Befragung der Punkt „Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Cloud und Automatisierung“ auch bei den künftigen Prioritäten eine untergeordnete Rolle spielt (Rang 25 weltweit, Rang 22 in Deutschland).
Einzig das Thema IT-Infrastruktur hat es in die Top Ten der künftigen Prioritäten geschafft. Ganz oben auf der Agenda von Deutschlands Personalern stehen in Zukunft Kernthemen wie Mitarbeiterwohlbefinden, Führungskräfteentwicklung und die eigene Personalplanung.
Doch auch dafür seien digitale Fähigkeiten unerlässlich, sagt Baier: „Die Anforderungen an die Personalfunktionen in Unternehmen werden mittelfristig mitarbeiterzentrierter, strategischer und damit auch datengetriebener als in der Vergangenheit.“ Gerade wenn Mitarbeiter theoretisch von überall arbeiten könnten, brauche es für die Personalarbeit eine umso klarere Digitalstrategie, um die Bindung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern aufrechtzuerhalten.
Dafür müssten sich „Personalorganisation und die Tech- und Digitalbereiche stärker verzahnen“, sagt Alexander Raschke, Vorstand des IT-Personaldienstleisters Etengo – und zerstreut leise Hoffnungen: „Digitalaffine HR-Organisationen waren auch schon vor der Krise bestenfalls Einzelphänomene.“
Die Rückkehr ins Büro steht in der Prioritätenliste vor Digitalthemen
Haben Deutschlands HR-Abteilungen ein handfestes Digitalisierungsproblem? Die großen Personalerverbände im Land sehen das nicht so: „Die Digitalisierung von HR-Prozessen steht im Personalmanagement ganz oben auf der Agenda“, sagt Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager (BPM). Wer zu anderen Einschätzungen komme, blende „die tägliche Praxis in den Betrieben völlig aus“.
Tatsächlich hatte Dransfeld-Haases Verband schon im vergangenen Sommer zusammen mit dem anderen großen Personalverband, der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP), 1500 Personalmanager zu ihren Prioritäten befragt. Damals lag das Digitalisierungsthema auf dem zweiten Platz – allerdings hinter der Organisation neuer Arbeitskonzepte. „Die Sicherung der betrieblichen Arbeitsabläufe nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht am 1. Juli ist das aktuelle Thema Nummer eins für alle Personalmanager“, räumt Dransfeld-Haase ein.
Für DGFP-Geschäftsführer Ralf Steuer hat die Pandemie auch digitale Lücken aufgezeigt: So versprechen sich etwa laut Verbandsangaben 85 Prozent der Personalabteilungen eine Effizienzsteigerung durch den Einsatz von KI. Allerdings nutzen erst drei Prozent der HR-Bereiche die Technologie auch.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine noch unveröffentlichte Yougov-Befragung des Jobportals Indeed unter 510 Managern in Deutschland. Danach lehnten 48 Prozent der Befragten den Einsatz von KI im Bewerbungsprozess ab. In einem Viertel der Unternehmen laufen Bewerbungsprozesse noch komplett analog ab.
„Die Bewerber sind vielen Unternehmen in Sachen Digitalisierung einen Schritt voraus“, beobachtet Frank Hensgens, Deutschlandchef bei Indeed. „Für sie ist es etwa völlig selbstverständlich, ihren Lebenslauf online zu haben und sich, unterstützt von Algorithmen, passende Stellen vorschlagen zu lassen.“
Kritik an Künstlicher Intelligenz
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Personalbereich gilt seit Längerem als umstritten. Denn es braucht möglichst viele Datenpunkte, damit Algorithmen zuverlässig arbeiten können. Und: Auch über das Finetuning bei den Kriterien sind sich Experten uneinig. Zu vielschichtig und komplex, so der Vorwurf, seien die Fähigkeiten von Bewerbern und Mitarbeitern, um sie auf ein paar Kriterien zu reduzieren.
„In Deutschland haben es Themen wie KI im Recruiting und die Analyse von Mitarbeiterdaten seit Jahren auch wegen Datenschutzbedenken schwer“, ergänzt Alexander Thamm. Der Digitalstratege zählt etwa die Hälfte aller Dax-Konzerne zu seinen Kunden. Im Personalwesen sieht er in seiner täglichen Arbeit insgesamt „eher wenig Bewegung auf digitalen Themen“ und „noch viel Luft nach oben“.
„Den HR-Bereichen ist durchaus bewusst, dass sie Aufholbedarf haben“, sagt BCG-Senior-Partner Baier. So gab in der weltweiten Befragung nur rund ein Drittel an, dass sie ausreichende digitale Werkzeuge oder die passenden IT-Systeme für ihre Arbeit an der Hand hätten.
Vielen Personalabteilungen fehle aber schlichtweg das Wissen über die Stärken und Schwächen einzelner Instrumente auf dem Markt. Wichtig sei deshalb, dass HRler ihr eigenes digitales Wissen ausbauten.
Immerhin: Das Thema Aus- und Fortbildung ist eine feste Größe in den Top Ten der vollen Personaleragenda. Nun müssen die HR-Bereiche nur noch lernen, bei einigen der Themen, die sie bearbeiten, hin und wieder auch an sich selbst zu denken.
Mehr: KI, Chatbots, VR-Brillen: Das sind die Bewerbungstrends der Zukunft
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