Universal Fair Pay Check Vergütungsanalyse: So können Firmen zum Vorreiter beim fairen Gehalt werden

Frauen leiden besonders unter der Lohnlücke. Ein neues Verfahren hilft, unfaire Gehälter im Unternehmen aufzuspüren.
Düsseldorf Was Firmengründer Robert Szilinski ahnte, bestätigte ihm jetzt der Universal Fair Pay Check: In Sachen Vergütung könnte es fairer zugehen bei Esentri. Die IT-Beratung aus Ettlingen, die in den letzten zehn Jahren von einem Start-up auf rund 100 Mitarbeiter an fünf Standorten angewachsen war, benachteiligt die ein oder andere Kollegin.
Die neue Gehälteranalyse des Fair Pay Innovation Lab (FPI), der sich Esentri freiwillig unterzog, zeigte eine geschlechtsspezifische Lohnlücke von bis zu 13 Prozent. Mit dieser Höhe hatte Szilinski nicht gerechnet: „Ich war überrascht darüber, dass wir das so genau vorher nicht gewusst haben.“ Schließlich war die Vergütungsfrage bei Einstellung und Beförderung von Mitarbeitern stets sorgfältig bedacht worden.
Robert Szilinskis Überraschung ist nicht ungewöhnlich. Das Gehalt ist das große Tabuthema der deutschen Wirtschaft. Kaum ein Chef rührt daran, wenn er nicht muss. Aber auch viele Angestellte wollen nicht offen darüber reden.
Laut Statistischem Bundesamt haben Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen im Durchschnitt 18 Prozent weniger am Ende des Monats im Portemonnaie. Das wird zwar immer wieder öffentlich beklagt, aber im eigenen Unternehmen wollen Manager dann doch lieber nicht so genau hingucken.
Stattdessen wird auf die sogenannte bereinigte Lohnlücke verwiesen: Rechnet man nämlich heraus, dass Frauen häufiger in vergleichsweise schlecht bezahlten Berufen sowie mehr in Teilzeit und weniger auf Führungspositionen als Männer tätig sind, bleiben nur noch sechs Prozent Vergütungsunterschied. Ein schwacher Trost für die Betroffenen.
Universelles Prüfverfahren schützt Arbeitgeber vor Sanktionen aufgrund neuer EU-Richtlinie
Es gibt einige Unternehmen, die wollen sich mit diesem Missstand nicht länger abfinden. So wie Esentri. Sie holen sich Hilfe von Profis wie dem gemeinnützigen Berliner FPI, um Lohnlücken aufzuspüren und auszumerzen.
Ausgangspunkt des neuen FPI-Zertifizierungsverfahrens „Universal Fair Pay Check“ ist eine isländische Analysesoftware, die den hohen gesetzlichen Transparenzpflichten der Skandinavier, aber auch Großbritanniens, Spaniens und der Schweiz entspricht. In diesen Ländern müssen Arbeitgeber faire Bezahlung regelmäßig nachweisen – ansonsten drohen ihnen Bußgelder.
FPI-Chefin von Platen sagt: „Wer unser neues Verfahren komplett durchläuft, ist auch für die neue EU-Richtlinie bestens aufgestellt.“ Diese wird anders als das bisherige deutsche Entgelttransparenzgesetz die Beweislast umkehren und Unternehmen mit empfindlichen Strafen belegen, die ihre Mitarbeiter nicht fair entlohnen.
Schirmherr des globalen FPI-Verfahrens, das in diesem Jahr erstmals durchgeführt wurde, ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Er weist auf den umfassenden Blickwinkel der neuen Methode hin: „Fair bezahlen heißt auch, unabhängig von Geschlecht, Alter, einer vielleicht vorhandenen Behinderung oder Religionszugehörigkeit zu bezahlen.“
Mit Blick auf den Arbeitgeberkampf um kluge Köpfe ergänzt der Minister: „Der Universal Fair Pay Check zeichnet Betriebe aus, die das bereits verstanden haben. Sie sind ihrer Konkurrenz ein gutes Stück voraus.“
Zu den deutschen Unternehmen, die sich der Prüfung stellen, zählen neben der IT-Beratung Esentri noch die Unternehmensberatung Rheingans in Bielefeld, die zuvor schon durch den Fünf-Stunden-Arbeitstag von sich reden gemacht hat, sowie die Allianz Deutschland Versicherung, die deutsche Tochter des Dax-Konzerns mit rund 25.000 Mitarbeitern. Diese drei Unternehmen unterschiedlichster Größe haben sich dem Vergütungscheck jeweils bis zur Chefetage gestellt.
Nach der diesjährigen Anfangsanalyse der Gehaltsdaten von Grundvergütung bis Boni wird der Universal Fair Pay Check regelmäßig wiederholt. Ziel des Trios ist es, möglichst schnell vom aktuellen Status „Analyst“ über „Developer“ zum „Leader“ in Sachen faire Vergütung zu avancieren. Dazu berät das FPI die teilnehmenden Unternehmen individuell dazu, welche Maßnahmen sie ergreifen sollten, um eventuelle Lohnlücken komplett zu beseitigen.
„Wer Vergütungsungerechtigkeit schwarz auf weiß hat, muss handeln“, findet Szilinski. Der Gründer zählt sich selbst zu denjenigen, die Sinn und Wirksamkeit des Unternehmens über den Profitgedanken stellen.
Nach zehn Jahren Wachstum, in denen meist diejenigen mehr verdienten, die selbstbewusster auftraten, nachdrücklicher verhandelten oder Führungsverantwortung trugen, ist es nun aus seiner Sicht Zeit, Rollen neu zu bewerten, Leistungsbemessung zu optimieren, Gehaltsbänder zu schärfen und eventuell die Fach- und Führungslaufbahn finanziell gleichzustellen. Auch das Gehalt der benachteiligten Kollegin wurde sofort angehoben.
Männliche Kollegen auf Nullrunden setzen will er dagegen nicht, das demotiviere. Also steigen die Personalkosten. „Das nehme ich gerne in Kauf“, sagt Szilinski.
Kommt das denn auf Dauer nicht zu teuer? „Nein“, findet der Unternehmer Lasse Rheingans. Die übliche Chefantwort „Das kann ich mir nicht leisten“ hält der Firmenlenker für eine „faule Ausrede“. Da werde Personal, dem es an Gehältertransparenz mangele, bewusst für mehr Marge ausgenutzt.
Faire Einkommen: Gehältergerechtigkeit beim Großkonzern
Szilinski wiederum berichtet zum konkreten weiteren Vorgehen bei Esentri: „In Workshops lassen wir uns von den FPI-Experten beraten, nach welchen Kriterien wir in Zukunft das Gehalt festlegen werden.“ Der Chef drückt aufs Tempo: Im kommenden Jahr, wenn sich dem Universal-Fair-Pay-Check-Verfahren hoffentlich mehr Unternehmen unterziehen, soll sein Unternehmen bereits zum „Leader“ aufsteigen.
Im Gegensatz zu den beiden Mittelständlern, die vergleichsweise schnell ihre gerade sichtbar gewordenen, vereinzelten Gehaltslücken beseitigen können, hat die Allianz den deutlich schwierigeren Weg vor sich: Die unbereinigte Lohnlücke des Versicherungsunternehmens, die ein paar Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegt, erklärt sich zu einem großen Teil dadurch, dass bis hinauf zur Spitze weitaus weniger Frauen als Männer auf gut bezahlten Führungspositionen anzutreffen sind.
Dagegen setzt Personalvorständin Renate Wagner „eine langfristige Strategie“, mit deren Umsetzung sie schon begonnen hat. Wagner: „Dazu gehört eine hohe Anzahl von Frauen in Nachfolgeplänen und auf allen Managementebenen.“ Beim Münchener Unternehmen stehen die Zeichen für den beruflichen Aufstieg von Frauen also auf Grün.
Wagner achtet auf „klare Zielvorgaben für Frauen in Führung und divers besetzte Talentpools“. Erste Erfolge kann sie bereits verbuchen: Im Vorstand der Allianz Deutschland finden sich mittlerweile drei Frauen, was einem Anteil von 33 Prozent entspricht. Und auch eine Ebene unter dem Vorstand ist der Frauenanteil von 20 auf 27 Prozent gestiegen.
Es dürfte spannend zu beobachten sein, wie schnell und gut es das größte Unternehmen der drei Universal-Fair-Pay-Kandidaten schafft, sich zum echten „Leader“ zu wandeln.
Mehr: Weniger Boni für Frauen: Auch bei der variablen Vergütung klafft eine Gehaltslücke
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Fair Pay ist eine sehr gute Sache und richtig!
Fraglich ist jedoch, welcher Weg zum Ziel führt. Der Analysepartner des fpi geht den Vergleich über Job-Titel als Vergleichsweg. Was aber, wenn identischen Job-Titeln abweichende Aufgabenumfänge zugewiesen sind? Wenn also ein Niederlassungsleiter ein kleines und relativ "anspruchsloses" Gebiet betreut, eine Niederlassungsleiterin aber für ein vergleichsweise großes Gebiet mit anspruchsvollen Kunden verantwortlich ist? Schon hier liegt auf der Hand, dass die Vergütung beider Niederlassungsleiter trotz einheitlichem Job-Titel voneinander abweichen muss.
Für diese und diverse andere Problembereiche, die bei der Bewertung von Vergütungsgerechtigkeit in Unternehmen auftreten, ist ausschließlich der Vergleich der Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens untereinander zielführend. Hier muss ein Abgleich ganz losgelöst vom Job-Titel erfolgen.
Letztendlich müssen auch Arbeitsplätze aus ganz unterschiedlichen Bereichen miteinander vergleichbar sein. (...) Beitrag von der Redaktion editiert. Bitte achten Sie auf unsere Netiquette: Kommentare sind keine Werbeflächen. https://www.handelsblatt.com/netiquette