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VWL-Studium in Deutschland Mehr als nur Zahlen

Viele Arbeitgeber beklagen die mangelnden praktischen Kenntnisse bei VWL-Absolventen. Einige Hochschulen haben sich darauf eingestellt. Gegenüber Universitäten haben sie noch einen weiteren Vorteil.
09.05.2016 - 14:44 Uhr Kommentieren
Gemeinsame Projektarbeit. (Foto: HTW Berlin)
Studierende an der HTW Berlin

Gemeinsame Projektarbeit.

(Foto: HTW Berlin)

Frankfurt Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 fordern viele Studenten der Volkswirtschaftslehre (VWL) und manche Professoren größere Vielfalt und Realitätsnähe in der Lehre. Ein internationales Netzwerk kritischer Studenten hat die Studiengänge der Universitäten untersucht und beklagt, die Studiengänge ähnelten sich sehr stark. Sie seien fast alle eng auf die Vermittlung der vorherrschenden neoklassischen Denkrichtung ausgerichtet. Erkenntnisse aus anderen Disziplinen, andere methodische Ansätze, Wissenschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte würden nur in minimalem Umfang vermittelt. Stattdessen erwerben die Studenten Spezialkenntnisse in formal-mathematischen Methoden.

Auch von Arbeitgeberseite hört man immer wieder Klagen über mangelnde Kenntnisse von den Gegebenheiten im realen Wirtschaftsleben. In Großbritannien ergab eine Umfrage unter 500 im öffentlichen Dienst arbeitenden Volkswirten, dass aus ihrer Sicht in der Ökonomenausbildung eine stärkere Betonung der praktischen Anwendung wirtschaftlicher Theorien und Modelle nötig ist. Außerdem sahen sie Defizite bei Fertigkeiten der Problemlösung und der Vermittlung von Analyseergebnissen. Auch eine Umfrage der Society of Business Economists unter ihren Mitgliedern nannte diese Fertigkeiten als vorrangig. Beklagt wurde häufig ein Mangel an Kommunikationsfertigkeiten der Absolventen und mangelndes institutionelles Wissen. Das Universitätsstudium, das immer mehr auf die mathematische Beherrschung der Analyse formaler Modelle ausgerichtet ist, scheint eher anzustreben, erfolgreiche universitäre Wirtschaftsforscher hervorzubringen, als die Studenten für den außeruniversitären Arbeitsmarkt fit zu machen.

Arbeitgeber schätzen praxisnahe Ausbildung

Es gibt Alternativen für diejenigen, die größere methodische Vielfalt und eine stärkere Anwendungsorientierung suchen. Hochschulen, die früheren Fachhochschulen, bieten zwar selten VWL als Studiengang an. Aber wo sie es tun, macht sich die für diese Institutionen programmatische Anwendungsbezogenheit deutlich bemerkbar. Als weiterer Vorteil kommen die im Vergleich zu den meisten Universitäten sehr viel kleineren Studentenzahlen und Kursgrößen hinzu. Der Nachteil: Es gibt nur wenig Plätze. Anwendungsorientierte VWL ist in Deutschland ein Nischenprodukt.

Eine Alternative sind multidisziplinäre Studiengänge nach angelsächsischem Vorbild, die Philosophie, Politik oder Soziologie mit VWL verknüpfen. Noch gibt es wenige dieser Studiengänge, aber sie erfreuen sich großer Beliebtheit, und es werden mehr. Selbst Studiengänge, die sich ausdrücklich über ihr Anders-Sein definieren, haben die Akkreditierungshürden überwunden und öffnen nun die Tore für Studienwillige.

Glaubt man Achim Truger, Prodekan der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) und Sebastian Dullien, der den Bachelor-Studiengang Wirtschaft und Politik der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) konzipiert hat, so wissen Verbände, Unternehmen und andere Arbeitgeber die praxisnahe Ausbildung ihrer Studenten sehr zu schätzen, ebenso die Kenntnis institutioneller Gegebenheiten, die diese aus dem Studium mitnehmen – selbst wenn das zulasten einer nicht ganz so tiefen Auseinandersetzung mit formelhaften Abbildungen von Modellökonomien geht. „Unsere Absolventen haben keine Probleme auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Truger. Dullien berichtet dasselbe, räumt aber ein, dass der Übergang zum Masterstudium an klassischen Universitäten manchen etwas schwerer falle. „Einige müssen sich im Master in mathematisch orientierten Fächern etwas mehr anstrengen, um zu denen aufzuschließen, die ein formal orientiertes Bachelor-Studium absolviert haben.“

Vielfalt der Ansätze geht verloren

Der Zugang zu Master-Programmen an Universitäten ist wichtig für die Bachelor-Studenten beider Häuser, denn sie bieten zwar konsekutive Master-Studiengänge an, bei jeweils rund 70 Prozent Anteil ausländischer Studierender ist die Anzahl der Plätze für eigene Bachelor-Absolventen aber begrenzt.

Die Nachfrage nach den drei bis vier Dutzend Bachelor-Studienplätzen an den beiden Hochschulen ist groß. Viel schlechter als Zwei darf der Abiturnotenschnitt nicht sein, um an der HTW oder HWR angenommen zu werden. Das ist ähnlich wie an den großen Universitäten.

An der HTW signalisiert schon der Name des Bachelor-Studiengangs „Wirtschaft und Politik“, dass hier fachübergreifend unterrichtet wird, wobei aber Wirtschaft klar im Zentrum steht. Aber auch an der HWR gehören Kurse in Politik und Soziologie zum Pflichtprogramm.

„Streng multiparadigmatisch“ werde an der HWR gelehrt, betont Eckard Hein. Das gelte sowohl beim Bachelor als auch bei den beiden englischsprachigen Master-Studiengängen International Economics, den Hein leitet, und Economics of European Integration. Multiparadigmatisch bedeutet, dass jedes Thema aus dem Blickwinkel von mindestens zwei konkurrierenden Theorien betrachtet werde. Auch an der HTW, die neben dem Bachelor-Studiengang Wirtschaft und Politik einen Master International and Development Economics anbietet, dominiert die Anwendung unterschiedlicher Theorieansätze auf konkrete wirtschaftspolitische Fragestellungen.

Dass theorieübergreifende Lehre an den beiden Hochschulen hochgehalten werde, während es an den großen Universitäten wie TU und Humboldt kaum noch stattfinde, erklären Truger und Hein vom HWR vor allem mit dem Lehrkörper. „Wer Theorien abseits des Mainstreams vertritt, hat kaum eine Chance auf eine Professur an einer Uni“, stellt Hein fest. Solche Wissenschaftler gingen an die Hochschulen, wo stärker die Lehre betont wird und Veröffentlichungen in Mainstream-Zeitschriften nicht ganz so hoch gewichtet werden. Entsprechend hätten die Universitäten kaum noch Lehrkräfte, die verschiedene Ansätze vermitteln könnten.

Formale Modelle bereichern

Tatsächlich sind an HTW und HWR eine ganze Anzahl keynesianisch und post-keynesianisch orientierter Hochschullehrer aktiv. An den Universitäten ist dagegen keynesianisches Gedankengut, das bis in die siebziger Jahre dominierte, kaum noch vertreten.

Wie es dem Standard an Hochschulen entspricht, ist ein Semester des dreieinhalbjährigen Bachelor-Studiums an HWR und HTW einem Praktikum vorbehalten. Das bringt Beziehungen zu potenziellen Arbeitgebern und stellt Realitätsbezug her. Beide Hochschulen betonen zudem, dass sie durch Kurse im Rahmen des Bachelors die Diskussions-, Kooperations- und Führungsfähigkeit ihrer Studenten fördern.

Früher waren Fachhochschulabsolventen weniger angesehen und – zumindest im öffentlichen Dienst – schlechter bezahlt als Uni-Absolventen. Heute bekommen Hochschulabsolventen auch beim Staat das gleiche Gehalt. Wer allerdings mit dem Gedanken spielt, eine akademische Karriere als Volkswirt zu versuchen, sollte sich klarmachen, dass Realitätsbezug, Multidisziplinarität und Kenntnis alternativer Theorien und Methoden dafür weniger zählen als die Fähigkeit, formale Modelle um eine interessante Abwandlung zu bereichern – oder fortgeschrittene wirtschaftsstatistische Methoden auf originelle Fragestellungen anzuwenden.

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