Analyse zur Bundestagswahl Wie Armin Laschet doch noch Kanzler werden kann

Wichtigstes Wahlziel aus Sicht der Union: Die absolute Mehrheit für ein Jamaika-Bündnis darf auf keinen Fall verloren gehen.
In der Wahlnacht sah sich der selbstbewusste Spitzenkandidat schon als nächster Bundeskanzler. Seine Partei hatte ihre Kampagne ganz auf ihn zugeschnitten, hatte im Wahlkampf auf Werte wie Verlässlichkeit und Kontinuität gesetzt – und die Strategie ging auf: Mit deutlichem Vorsprung kam man als stärkste Partei ins Ziel. Die Kür zum Regierungschef erschien dem Kandidaten nur noch als Formsache, schließlich hatte er die Wahl gewonnen. Oder etwa nicht?
Die Rede ist von der Bundestagswahl 1969, als Kurt Georg Kiesinger mit der Union nur ganz knapp an einer absoluten Mehrheit der Mandate vorbeischrammte. Doch dann koalierte die FDP lieber mit der SPD. Willy Brandt wurde erst Kanzler und dann Legende. Kiesinger blieb mit drei Jahren Amtszeit ein Kurzzeit-Kanzler.
Aus der Sicht des Wahlkampfendspurts 2021 betrachtet hält diese Analogie Trost für die Union bereit. Zwar sehen seit Mittwoch alle namhaften Umfrageinstitute die SPD deutlich vor CDU/CSU – auch Allensbach ist nun auf diesen demoskopischen Mainstream eingeschwenkt. Doch wie schon 1969 gilt: Der Wahlsieger ist noch lange nicht Kanzler.
Diese Frage entscheidet sich auch diesmal nicht am 26. September, sondern erst beim anschließenden Koalitionspoker.
Sicher, Olaf Scholz hat sich in einer bemerkenswerten Aufholjagd von der Außenseiter- in die Favoritenrolle geschoben. Doch wenn die Union für die verbleibenden gut zwei Wochen bis zur Wahl ihre Ziele neu kalibriert, in der Wahlnacht die Nerven behält und in den Koalitionsverhandlungen ihre Karten gut spielt, kann Armin Laschet immer noch Bundeskanzler werden.
Was die Union jetzt schaffen muss: Drei zentrale Wahlziele
Ob man dieses Szenario als Verheißung oder Bedrohung empfindet, hängt von der eigenen politischen Präferenz ab. An den strategischen Überlegungen ändert das nichts.
Wichtigstes Wahlziel aus Sicht der Union: Die absolute Mehrheit für ein Jamaika-Bündnis darf auf keinen Fall verloren gehen. Allensbach sieht Union, FDP und Grüne derzeit bei 50 Prozent. Bei Forsa sind es 49 Prozent. Für eine absolute Mehrheit der Mandate sollte das reichen. Aber das bedeutet: Es darf auf keinen Fall weiter abwärtsgehen mit der Union – und auch nicht mit FDP oder den Grünen. Hauptgegner der Union muss im Wahlkampfendspurt die SPD sein.
Das passt zum zweitwichtigsten Wahlziel der Union: eine absolute Mehrheit für Rot-Rot-Grün zu verhindern. Nicht so sehr, weil Deutschland dann die kommunistische Lastenrad-Diktatur droht, sondern um SPD-Spitzenkandidat Scholz diese Koalitionsoption zu verstellen.
SPD, Linke und Grüne kommen derzeit bei Allensbach auf 48,5 Prozent, bei Forsa auf 48 Prozent. Das wird sehr knapp, denn bei dieser Wahl werden Überhangmandate nicht mehr komplett ausgeglichen. Die Überhangmandate, die die CSU voraussichtlich in Bayern gewinnen wird, könnten hier die Entscheidung bringen.
Das dritte Wahlziel der Union: Das Ergebnis darf nicht nach dem Desaster aussehen, um das es sich in Wahrheit natürlich handelt. Wenn die Union tatsächlich unter die 20-Prozent-Marke rutscht, wie es Forsa derzeit prophezeit, und der Abstand zur SPD auf fünf oder mehr Prozentpunkte anwächst, dann wird sich kaum noch ein Regierungsauftrag für Laschet legitimieren lassen.
Auch FDP-Chef Christian Lindner würde dann seinen Rheinbund mit dem CDU-Kandidaten aufkündigen und sich für die ungeliebte Ampelkoalition mit SPD und Grünen öffnen müssen. Einen knapp Zweitplatzierten kann man vielleicht noch ohne Gesichtsverlust ins Kanzleramt wählen, einen haushoch geschlagenen Loser nicht.
Die CDU muss der Versuchung zur öffentlichen Abrechnung widerstehen
Sind diese drei Ziele erreicht, gilt es für die Union vor allem, Nerven und Geschlossenheit zu wahren und an Laschet nicht vorzeitig jene öffentliche Abrechnung zu vollziehen, nach der es so vielen in der Partei dürstet. Solange er noch Aussichten aufs Kanzleramt hat, kann Laschet eine solche Palastrevolte vielleicht verhindern. Danach nicht mehr.
Bleibt schließlich noch die Aufgabe, die Grünen in ein Jamaika-Bündnis zu ziehen. An diesem Punkt könnte Laschets Schwäche sogar förderlich wirken: Unter einem Kanzler Laschet könnten die Koalitionspartner deutlich heller strahlen als unter einem notorisch selbstbewussten Kanzler Scholz. Schmerzhaft sind den Grünen noch die rot-grünen Jahre in Hamburg in Erinnerung, als sie unter dem damaligen Bürgermeister Scholz inhaltlich kaum etwas Wesentliches durchgebracht haben.
„Auf den Kanzler kommt es an“, hatte die CDU 1969 plakatiert. 2021 gilt leicht abgewandelt: Auf das Kanzleramt kommt es an.
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Sehr geehrte Handelsblatt-Redaktion,
allein schon die Auswahl der Kanzlerkandidaten ist leider nicht geprägt vom Willen des Volkes, sondern bestimmt von eigennützigen Überlegungen der Parteien. Wäre es anders, so könnte man hochachtend auf unsere Volksvertreter blicken. Das ist wohl vorbei, denn offensichtlich fehlt es unisono an entscheidungserheblicher Stelle an einem zukunftsorientierten Gespür für ein Grundmaß an Solidität und Verlässlichkeit.
Man begnügt sich vielmehr mit Traumgebilden, die nicht realisierbar sind. Aber die dafür verantwortlichen Politiker werden werden so lange ihr Unwesen treiben, wie sie vom Kompost einer zunehmend zerstörten Gesellschaft fürstlich profitieren können. Allein das ist gegenüber uns Bürgern schon weitaus mehr als fahrlässig. Die Strategen scheuen auch keine Mühen, unseren zukünftigen Generationen einen gewaltigen Schuldenberg zu- zumuten, der nach volkswirtschaftlich entscheidungserheblichen Randbedingungen niemals auf seriöse Weise abgetragen werden kann. Im Wahlkampfgetümmel und in Coronazeiten wird es besonders deutlich, dass es der Politik schon lange nicht mehr darum geht, was die Bürger wollen, sondern darum, was wir Bürger sollen. Diese Kamikazestrategie werden die Bürger kaum länger honorieren und die ersten Anzeichen
im Wahlverhalten lassen dies auch schon erkennen.
Mit besinnliche Grüßen
aus 21442 Toppenstedt
Dipl.-Ing. Harald Rasche
Dumm nur, dass Scholz und Baerbock einander öffentlich ihre jeweilige deutliche Präferenz geäußert haben. Und selbst für die Grüne als Partei gilt lediglich im Zweifel nach rechts zu koalieren, und zwar dann wenn der 'natürliche' eher linke Partner SPD ausfällt. Das Gegenteil ist gerade der Fall!
Herr Schweda: da möchte ich Ihnen dringend widersprechen! Dieser Tote ist nicht herunter geschmissen worden, sondern gefallen. Die Leute, die da in Baumhäusern sitzen und aus Prinzip alles herunter werfen incl. Fäkalien haben mit echten Protesten nichts zu tun; das sind berufsmäßige Randalierer. So Kommentare braucht keiner.
natürlich kann Herr L......
Der Laacher See kann auch ausbrechen.
Wünschenswert ist beides nicht.
Herr L. sollte in Amtshaftung für den toten Journalisten bei der Hambach-Räumung genommen werden.