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Marcus Schreiber

Gastkommentar Die Rettung der Welt beginnt vor der eigenen Haustür

Extreme Wetterphänomene werden auch in der Frequenz zunehmen. Länder und Gemeinden sollten sich auf die notwendigen Anpassungsmaßnahmen vor Ort konzentrieren.
31.07.2021 - 14:54 Uhr Kommentieren
Die Folgen der Flutkatastrophe sind in Ahrweiler bei Bonn besonders schwer. Quelle: dpa
Ahrweiler nach der Flut

Die Folgen der Flutkatastrophe sind in Ahrweiler bei Bonn besonders schwer.

(Foto: dpa)

Ökonomen sind vordergründig eine herzlose Brut. Während sich Politiker in Gummistiefeln in den Flutgebieten abwechselten, Trost spendeten und schnelle unbürokratische Hilfe anboten, wiesen erste Ökonomen darauf hin, dass es nicht nur ungerecht sei, wenn durch staatliche Hilfen Versicherte und Unversicherte gleichgestellt werden, es würden auch völlig falsche Anreize gesetzt.

Zugegeben, den Empathie-Preis gewinnt man damit nicht. Wenn aber Wissenschaftler gehört werden wollen, müssen sie sich äußern, wenn die Themen brandaktuell sind. Ansonsten ist es ihnen praktisch unmöglich, Gehör zu finden.

Eine überregionale Münchner Tageszeitung schrieb gleich, man könne das nur so sehen, „wenn man ein im Trockenen sitzender Prinzipienmensch sei“. Es ist aber eben die Aufgabe von Ökonomen, völlig nüchtern zu analysieren, wie man mit gegebenen Ressourcen Wohlstand mehren oder in Zukunft Leid abwenden kann – wie im Falle des Klimawandels und den damit verbundenen Wetterkapriolen.

Abgesehen von Kommentaren von ganz rechts („Fluten habe es schon immer gegeben“), gab es im Kontext der Flut nur ein Fazit: dies müsse nun endgültig der Weckruf sein, beim Klimaschutz aufs Gaspedal zu drücken.

Mir als Ökonom fällt keine relevantere spieltheoretische Herausforderung ein als der Klimaschutz. Weil es keine Weltregierung gibt, die Klimaschutz per Dekret anordnen kann, ist es die Herausforderung eines jeden Landes, mit seinem Handeln oder Verhandeln andere dazu zu bewegen, ebenfalls zum gemeinsamen Nutzen zu handeln. Diese Art der „strategischen Interaktion“ ist der Kern der Spieltheorie und das Beispiel des Klimaschutzes befindet sich seit Jahrzehnten in den Lehrbüchern der Ökonomen.

Das Dilemma mit den Eigeninteressen

Allerdings ist die Lösung des Problems manchmal äußerst frustrierend. Selbst noch so kluge und willige Akteure (in der Spieltheorie „Spieler“ genannt) geraten dabei an ihre Grenzen. Nicht umsonst ist das „Gefangenendilemma“ eines der geläufigsten Erklärungskonzepte der Spieltheorie.

Es zeigt, dass selbst wenn ein Akteur weiß, dass es eine für alle Beteiligten optimale Lösung gibt, jeder Beteiligte ein Interesse hat, sein Handeln nicht am Gemeinwohl zu orientieren, sondern im ganz eigenen Interesse zu agieren. Ein Dilemma. Und ein Dilemma bleibt ein Dilemma, auch wenn man noch so sehr das Gute will.

Die spieltheoretische Analyse beginnt immer mit der Überlegung, wie andere Spieler auf eigene Aktionen reagieren. Wenn Städte wie Köln oder Mannheim nun den Klimanotstand ausrufen und sich ein Nullemissionsziel setzen, dann haben sie den – eigentlich hocheffektiven – Mechanismus des europäischen oder nationalen Emissionshandels nicht verstanden.

Auf den Gesamtausstoß an CO2 pro Jahr, der nötig ist um CO2-neutral zu werden, haben sich die Europäer vorweg geeinigt. Jede darüber hinaus gehende CO2-Einsparung von Akteuren wie Mannheim oder Köln senkt den Preis der CO2-Zertifikate.

Weniger motivierte Spieler, beispielsweise Städte oder Unternehmen in Osteuropa, nehmen die billigeren Emissionsrechte dankend an und können bei selbem finanziellen Budget mehr CO2 ausstoßen. Der Netto-Klimabeitrag von Köln und Mannheim wäre gleich Null.

Marcus Schreiber ist Gründungspartner und Chief Executive Officer bei TWS Partners. Er verfügt über langjährige Erfahrung im strategischen Einkauf und breites Branchen-Know-how. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich strategischer Einkauf, angewandte Industrieökonomik und Market Design. Außerdem unterstützt er Unternehmen dabei, spieltheoretisches Wissen in komplexen Vergabeentscheidungen anzuwenden.

Was aber können und sollten Kommunen oder wir als Land dann zusätzlich tun, wenn unser Einfluss auf weitere CO2-Einsparungen so gering ist? Schon 2010 hat der Wissenschaftliche Beirat im Bundesfinanzministerium in einem Gutachten stärkere Anstrengungen eingefordert, sich an den Klimawandel anzupassen. Für mich schließt sich an dieser Stelle der Kreis bei der Frage, was wir aus Flut lernen sollten. Die Wissenschaft ist sich einig, dass, selbst wenn wir uns noch so anstrengen, die Temperaturen weiter steigen und extreme Wetterphänomene sowohl in der Frequenz als auch im Ausmaß zunehmen werden. Da wird es mit einer besseren Versicherungsquote gegen Hochwasserschäden nicht getan sein.

Dort ansetzen, wo der eigene Nutzen die eigenen Kosten übersteigt

Statt sich – über den angemessenen eigenen Beitrag hinaus – die Rettung des Weltklimas vorzunehmen, sollten sich insbesondere Länder und Gemeinden auf die notwendigen Anpassungsmaßnahmen vor Ort konzentrieren. Das beginnt mit der Reduktion der Bodenversiegelung, der Erweiterung und Renaturierung der Auenlandschaften sowie der Anpassung des Baurechts.

Ein Beispiel aus meiner Heimatstadt München. Es wird gnadenlos verdichtet und Bauträger freuen sich. 80 Jahre alte Eichen werden gefällt und als „Ersatz“ spargelähnliche Bäumchen gepflanzt. Schuld ist eine Abstandsregel aus Urzeiten, die 2,5 Meter Abstand zwischen Baum und Zaun verlangt.

Die simple Abschaffung der 2,5m-Regel oder sogar die Pflicht, große Bäume an der Grundstücksgrenze wachsen zu lassen, würde nicht nur den Baumbestand erhöhen, sondern auch die Temperaturen in den Städten senken. Noch extremer sind die Potenziale in der regenerativen Landwirtschaft.

Wenn es uns gelingt, Bodenverdichtung und Erosion aufzuhalten und gesunde Humusböden zu entwickeln, nutzen wir nicht nur deren Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern, sondern diese Böden wirken wie Schwämme und bieten bei Hochwassern einen echten Schutz. Die Liste ließe sich endlos erweitern.

Das Schöne an diesen Maßnahmen ist, dass sie nicht nur die Folgen des Klimawandels für die Menschen hier abfedern, viele davon wären echte Beiträge zum Klimaschutz. Ohne dass sie durch übergeordnete internationale Marktmechanismen, die ökonomisch ihrerseits sehr sinnvoll, wieder konterkariert würden. Ökonomisch gesprochen überstiege der unmittelbare eigene Nutzen die eigenen Kosten der Maßnahmen und es gäbe darüber hinaus auch noch positive externe Effekte für das Klima, von denen alle anderen profitieren.

Der klinische Psychologe, Bestsellerautor und Feindbild der identitären Linken, Jordan Peterson, fasste diesen Ansatz schön zusammen: „Wenn Du die Welt retten willst, fang damit an, dein Zimmer aufzuräumen!“ Den ersten, zweiten und dritten Schritt vor der eigenen Haustür zu machen wäre die erste Pflicht unserer Gemeinden und da existiert ein enormer Nachholbedarf.

Mehr: Hilfen für Opfer des Hochwassers sind populär, aber problematisch

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