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Marcus Schreiber

Gastkommentar Steuerkonzepte im Wahlkampf – Wie mit Framing der Kontext verändert wird

Steuererleichterungen und insbesondere das Zurücknehmen von Sonderbelastungen werden im Wahlkampf als Geschenke dargestellt. So wird Vertrauen verspielt.
27.08.2021 - 14:18 Uhr 1 Kommentar
Die Deutung einer möglichen Senkung der Steuerlast als „Steuergeschenk“ ein klassisches Beispiel für Framing. Quelle: obs
Steuer

Die Deutung einer möglichen Senkung der Steuerlast als „Steuergeschenk“ ein klassisches Beispiel für Framing.

(Foto: obs)

Nicht nur die „taz“, auch meine Münchner Tageszeitung macht derzeit Steuererhöhungswahlkampf. Sie befürworten Steuererhöhungen für „Reiche“. Kronzeuge dieser Debatte ist unter anderem eine beim ZEW - dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung - in Auftrag gegebene Studie. Die sollte aufzeigen, welche Steuerkonzepte zu welchen Steuermehreinnahmen führen und welche hingegen Steuergeld „verpulvern“ würden.

Als Ökonom und politisch interessierter Bürger hätte mich eine Debatte über die dynamischen Effekte und Anreizwirkungen unterschiedlicher Steuerkonzepte interessiert. Also welche Vorschläge würden den „Kuchen“ für die Gesellschaft größer machen, welche kleiner. Stattdessen wird weitestgehend statisch diskutiert, als stünde die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik fest und man müsse nur noch über die Verteilung des Kuchens debattieren. Dies ist ein an sich schon ein seltsames Weltbild. Was dann aber selbst Spieltheoretiker und Verhandlungsprofis beeindruckt, ist die Chuzpe, mit der die Aufteilung des Kuchens beeinflusst und die eigene politische Agenda mit Hilfe von Framing-Techniken vorangebracht werden soll – wie dies gerade auch bei der möglichen Abschaffung des Solidarzuschlags geschieht.

Salopp gesprochen bedeutet „Framing“, einem Sachverhalt einen Twist zu geben oder ihn in einen Kontext zu setzen, welcher der eigenen Argumentation hilft. Von Verhandlungsprofis wird diese Technik neben Fokus- und Ankerpunkten oft in Situationen eingesetzt, in denen sie keinen echten Verhandlungshebel haben. Also wenn man in einer Verhandlung weder dem Gegenüber im Gegenzug für seine Konzessionen etwas versprechen noch beim Ausbleiben selbiger mit relevanten Konsequenzen drohen könnte.

Eines der berühmtesten Beispiele für erfolgreiches Framing in Verhandlungen stammt aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf 1976: Das Wahlkampfteam von Präsident Gerald Ford hatte Plakate und Sticker von Ford drucken lassen, ohne sich vorher dafür die Nutzungsrechte für das verwendete Foto zu sichern. Hätte die Rechteinhaberin davon erfahren, hätte sie einen beliebig hohen Preis verlangen oder die Nutzung komplett untersagen können.

So bat man einen Investmentbanker im Wahlkampfteam, das Problem zu lösen. Dieser erklärte der Bildagentur, man würde für den Wahlkampf eines ihrer Fotos favorisieren, was doch auch eine fantastische Werbung für sie wäre. Zuletzt fragte er, wieviel die Agentur für den Wahlkampf spenden möchte, würde man ihr Foto auswählen. Nach kurzer Bedenkzeit teilte die Agentur mit, eine Spende wäre vielleicht etwas übertrieben, aber es wäre eine Ehre, die Fotorechte umsonst zur Verfügung zu stellen.

Zurück zum aktuellen Wahlkampf. Dort ist die Deutung einer möglichen Senkung der Steuerlast als „Steuergeschenk“ ein klassisches Beispiel für Framing. In einer funktionierenden Marktwirtschaft sollte man grundsätzlich erst einmal davon ausgehen, dass jeder sein Einkommen auch wirklich verdient. Es als Geschenk zu bezeichnen, wenn die Steuerbehörden etwas weniger von diesem Verdienst einziehen, zeugt entweder von einem bizarren Staatsverständnis oder ist äußerst geschicktes und bewusstes Framing.

Das Zurücknehmen von Sonderbelastungen ist kein Steuergeschenk

Die Entsprechung beim Solidarzuschlag geht etwa folgendermaßen. Vor gut 25 Jahren verlangte eine große nationale Herausforderung - die Finanzierung der deutschen Einheit - einen Solidarbeitrag auf Zeit. Und da in Deutschland das Leistungsfähigkeitsprinzip eine tragende Säule unseres Steuersystems darstellt, bedeutet dies, dass Besserverdiener einen an den progressiven Steuersatz angelehnten, stark überproportionalen Beitrag zu leisten haben. So weit so gut. Dass sich die Finanzierung der Einheit etwas länger hinzog – geschenkt. Dass man den „Soli“ erst für 95 % der Steuerzahler abschafft und den Besserverdienenden ein bisschen länger etwas abverlangt – kann man so machen.

Was aber jetzt passiert, ist etwas, das Ökonomen eine unzulässige Einperioden-Betrachtung nennen würden. Die Vergangenheit wird in der Argumentation abgeschnitten und der überproportionale und zeitlich länger laufende Solidarbeitrag der letzten 25 Jahre ignoriert. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages veröffentlichte 2019 ein Gutachten, dass zu dem Schluss kommt, dass der Solidarzuschlag mittlerweile auf verfassungsrechtlich sehr dünnen Beinen steht. Die verspätete Beendigung dieser Sonderbelastung für die letzten 5 % der Steuerzahler als Steuergeschenk darzustellen ist entweder unredlich oder der ganz bewusste Einsatz von Framing-Techniken im Wahlkampf, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Marcus Schreiber ist Gründungspartner und Chief Executive Officer bei TWS Partners. Er verfügt über langjährige Erfahrung im strategischen Einkauf und breites Branchen-Know-how. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich strategischer Einkauf, angewandte Industrieökonomik und Market Design. Außerdem unterstützt er Unternehmen dabei, spieltheoretisches Wissen in komplexen Vergabeentscheidungen anzuwenden.

Es gibt tatsächlich steuerpolitisch größere Herausforderungen in Deutschland als die Frage, ob ein hervorragend verdienender Angestellter zwei- oder fünftausend Euro mehr Steuern zahlt. Die Kombination aus Sozialbeiträgen und einem Spitzensteuersatz ab 57.000 Euro macht die Gruppe der Beschäftigen, die zwischen 50.000 und 85.000 Euro verdienen, zur Melkkuh der Nation. Wer mit einem solchen Einkommen in einer Metropole 2.000 Euro für eine Dreizimmerwohnung und vier Euro für ein Bier zahlt, ist sicher kein Spitzenverdiener. Wenn der Staat es zulässt, dass Steuererleichterungen und insbesondere das Zurücknehmen von Sonderbelastungen als Steuergeschenk dargestellt werden, verspielt er viel politisches Kapital und Vertrauen. Es kostet ihn langfristig deutlich mehr als nur die entgangenen Steuereinnahmen.

Wenn es nach mir ginge, könnte der Spitzensteuersatz theoretisch auf die vom Verfassungsgericht festgelegte Höchstgrenze von 50 % angehoben werden, solange die Steuerprogression mit diesen Einnahmen massiv reduziert wird und der Spitzensatz anschließend wieder auf ein international konkurrenzfähiges Niveau sinken würde. Allein mir fehlt der Glaube. Wie heute beim Soli wäre nach dem Auslaufen einer solchen Sonderbelastung von Steuergeschenken an sogenannte Reiche und Spitzenverdiener die Rede.

Framing andersherum: Vertrauen aufbauen, nicht verspielen

Gerade in Klein- und mittelgroßen Städten kann man sehen, wie Framing andersherum geht. In diesen Städten hängen oft nicht nur viele Arbeitsplätze, sondern auch der Großteil der Steuereinnahmen an wenigen Familienunternehmen. Dort wird Unternehmertum hochgradig personalisiert, es finden kaum Neiddebatten statt und Unternehmen wie Unternehmer erhalten Respekt für ihren steuerlichen Beitrag in ihren Gemeinden. Im Gegenzug entsteht, ganz menschlich, Stolz und Bindung. Unternehmer dieser Art entwickeln dann auch eine nahezu dynastische Bindung zu ihrem Standort und ihrer Heimat und verteidigen sie, sofern sie es sich irgendwie leisten können.

Diese Art des Framings baut sicher mehr Vertrauenskapitel für den Wirtschaftsstandort und die Politik auf, als die verquere Deutung einer verspäteten Beendigung einer Sonderbelastung von Leistungsträgern beim Soli – selbst wenn das handwerklich geschickte Framing selbst erfahrenste Verhandlungsexperten staunen lässt.

Mehr: Steuerbelastung für Unternehmer, Spitzenverdiener, Familien: Wer von welcher Partei profitiert

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1 Kommentar zu "Gastkommentar: Steuerkonzepte im Wahlkampf – Wie mit Framing der Kontext verändert wird"

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  • Viele unbelegte Behauptungen und eine Märchenerzählung. Das Bundesverfassungsgericht hat keineswegs eine Obergrenze von 50% festgelegt, sondern vielmehr im Beschluss vom 18.1.2006 - 2 BvR 2194/99 die Existenz eines sog. Halbteilungsgrundsatzes bei der Einkommen- und Gewerbesteuer ausdrücklich bestritten. Wenn man anderen Framing vorwirft, sollte man es nicht selbst betreiben.

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