Gastbeitrag: Ein schneller Kohleausstieg könnte fatale Folgen haben

Wolfgang Clement war Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit.
Kommissionen gibt es in der politischen Wirklichkeit unseres Landes zur Genüge. Der Bedarf müsste eigentlich gedeckt sein. Doch es gibt eine neue. Sie hat den Namen „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Der Repetitor, der mein juristisches Studium begleitete, hätte das eine „schriftliche Lüge“ genannt.
Denn die Aufgabe der politisch sorgfältig ausgeklügelten Kommission mit immerhin 42 Köpfen ist in ihrem Kern schlicht und ganz klar: Sie soll bis zum Jahresende ein Datum für den Ausstieg aus der Kohle & Mineralien, Großhandel|Anthrazitbergbau & Steinkohlebergbau|Fettkohle & Braunkohle|Kohlenbergbau|Braunkohle festlegen.
Richtig, das hatten wir ganz ähnlich schon. Und es ist uns teuer zu stehen gekommen. Damals war es eine „Ethikkommission für sichere Energieversorgung“, die nichts als die Aufgabe hatte, aus dem Drama von Fukushima, für das es hierzulande kein vergleichbares Szenario gab, dennoch zu schlussfolgern, dass es für den Ausstieg aus der Atomenergie höchste Zeit sei.
Das geschah und die Folgen sind bekannt: 2022 ist Schluss mit der Nutzung der Kernenergie. Die öffentlichen und privaten Kosten dieses weit vorzeitigen Ausstiegs, den kein Land auf der Welt – nicht einmal Japan – ähnlich vollzieht, belaufen sich auf etliche Milliarden. Und weil wir mit dem Abschalten der Atommeiler seit 2011 die CO2-ärmsten konventionellen Energiequellen vom Netz nehmen, verfehlen wir seither alle selbst gesetzten klimapolitischen Ziele.
Das wiederum ist der Grund, weshalb die Aussteigerlobby rund um Agora, den BUND und sonstige NGOs auch der Braunkohle den Garaus machen will. Das Vorgehen ist immer gleich: Eine hochprofessionelle Kampagnenindustrie setzt alle öffentlich erreichbaren Klangkörper in Betrieb, um der Kohle ein möglichst frühes Ende zu bereiten. „Spätestens 2030“, lautet die Faustformel.
Über Kosten redet man nicht
Und die Folgen? Über Kosten redet man nicht. Nur in Fachkreisen scheint man sich ernsthaft mit der Frage zu befassen, was es bedeuten könnte, wenn mit dem Atomausstieg im Jahr 2022 die Zeit zu Ende ginge, in der uns eine gesicherte Energieversorgung zur Verfügung steht.
Wer hingegen nicht will, dass der Klimawandel in diesem Land von massiven Wohlstands- und Jobverlusten namentlich im industriellen Sektor begleitet wird, der sollte wissen: Die Auskohlung in der Lausitz wie am Niederrhein verläuft planmäßig und endet in der Mitte der 40er-Jahre dieses Jahrhunderts. Wer also bis 2050 den CO2-Ausstoß auf null bringen will – an der Kohle wird er nicht scheitern!
Das heißt: Ein vorzeitiger Ausstieg aus den rechtlich wie privatwirtschaftlich abgesicherten Daten der Braunkohleindustrie macht klimapolitisch keinerlei Sinn. Er ist Humbug. Und nur dazu angetan, andere Sektoren vor eigentlich notwendigen Veränderungen zu schützen.
Am Niederrhein geht es um annähernd 10.000 Jobs in der Braunkohle und gut 20.000 bei den Zulieferern. In der Lausitz werden es etwas, aber nicht viel weniger sein. Bundeswirtschaftsminister Altmaier ist dazu zitiert worden: „Wir machen die Geschwindigkeit des Strukturwandels abhängig von der Geschwindigkeit der Schaffung neuer Arbeitsplätze.“
Schicht im Schacht
Das ist ein Wort. Wenn es über die Zeit der aktuellen Auseinandersetzung hinaus hält, was es verspricht, wird ein Ausstieg aus der Braunkohle vor 2045 ausgeschlossen sein.
Wer das nicht glauben mag, dem empfehle ich einen Besuch im Ruhrgebiet, am besten in der Emscher-Lippe-Region. In den Städten dort, wo im Dezember dieses Jahres auf der Zeche „Prosper-Haniel“ die letzte Schicht gefahren wird und die Steinkohleförderung in Deutschland endet, ist zu besichtigen, was Strukturwandel im Gefolge industriellen Rückzugs bedeutet.



Im Ruhrgebiet hat er vor ziemlich genau 60 Jahren begonnen. Aber die Arbeitslosigkeit im Norden des Reviers ist immer noch zweistellig. In Gelsenkirchen lag sie im Juni bei 13,2 Prozent, in Herne bei elf und im Kreis Recklinghausen bei 9,2 Prozent. In der Metropolregion Ruhr liegt sie in diesem Jahr endlich unter zehn Prozent.
Einen gründlichen Blick auf diese Lage im Ruhrgebiet kann man der Kommission nur empfehlen. Strukturwandel ist eine Generationenaufgabe. Sie kostet zwei bis drei Arbeitsleben. Die Schließung einer Zeche oder eines Kraftwerks geht schnell, der Abbau der Arbeitsplätze auch. Aber der Aufbau neuer Unternehmen und die Schaffung neuer Jobs, das kostet viel Motivation, Kreativität und Kraft.
Natürlich auch Geld. Und es kostet Zeit, übrigens auch (vielleicht erst recht) in der digitalen Welt von heute. Die, die jetzt dem schnellen Ausstieg aus der Braunkohle das Wort reden, sollen wenigstens wissen, was sie ohne Not anzurichten drohen.





