Gastbeitrag zur Energiewende Realitätsfremde Politik

Stephan Kohler ist Chef von Energy-Efficiency-Invest-Eurasia, war bis Ende 2014 Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Sie erreichen ihn unter: [email protected]
Es hat wohl noch nie ein Projekt in Deutschland gegeben, in dem die Kluft zwischen Anspruch, Zielen und der Realität so groß war wie bei der Energiewende und dem Klimaschutz. Nicht mehr Fakten zählen, sondern Ideologie und die Produktion von Szenarien, die mit der Realität wenig bis nichts mehr zu tun haben.
In den sogenannten Zielszenarien wird mit Computermodellen aufgezeigt, dass wir bis zum Jahr 2050 die von der Politik beschlossenen 95 Prozent CO2-Reduktion erreichen können, mit einer Vollelektrifizierung Deutschlands. Mit Hilfe der sogenannten Sektorkoppelung sollen zukünftig mit elektrischem Strom unsere Gebäude beheizt und unsere Autos betrieben werden.
Namhafte Institute zeigen in komplexen Szenarien auf, was bis zum Jahr 2050 getan werden muss. So muss etwa der Energieverbrauch aller Gebäude, auch der bestehenden Gebäude, um 50 bis 60 Prozent reduziert werden. Der dann noch verbleibende Wärmebedarf soll mit 16 Millionen elektrischen Wärmepumpen und Fernwärme gedeckt werden. Gleichzeitig soll der Mobilitätssektor fast vollständig auf Elektrofahrzeuge umgestellt werden.
Für diese Strategie werden bis zum Jahr 2050 mindestens 600.000 Megawatt an Photovoltaik (PV) und Windkraft benötigt. Für die Integration dieser gewaltigen Leistung, den Anschluss der elektrischen Wärmepumpen und den Aufbau der elektrischen Ladeinfrastruktur im Mobilitätsbereich müssen die elektrischen Netze auf allen Spannungsstufen um rund 300.000 Kilometer erweitert werden. Da auch im Jahr 2050 die Sonne nicht 24 Stunden scheinen wird und der Wind nicht immer zur Verfügung steht, werden gewaltige Speichersysteme benötigt, die Versorgungssicherheit gewährleisten.
Spätestens nach dieser Aufzählung ist klar, dass mit dieser „All-electric-Strategie“ die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele nie erreichen kann. Trotz der vielfältigen Aktivitäten Berlins sieht die Wirklichkeit düster aus. Das belegt der jüngste Monitoringbericht des Wirtschaftsministeriums: Weder die Effizienzziele im Gebäudebereich noch die Zuwachsraten an E-Autos noch der nötige Stromnetzausbau, aber auch nicht die Klimaschutzziele im Jahr 2020 werden erreicht.
Die Energiewende ist kein Erfolg
Heute ist klar, dass das von der Politik beschlossene CO2-Reduktionsziel von minus 40 Prozent bis 2020 nicht erreichbar ist. Dies ficht die heute zuständigen Ministerien aber nicht an. In einer Broschüre des Bundeswirtschaftsministeriums heißt es vollmundig: „Die Energiewende in Deutschland ist kein fernes Zukunftsprojekt – sie ist erfolgreich und längst Gegenwart.“
Realität ist, dass die Netze für den Stromtransport vom Norden in den Süden immer noch fehlen und der Stromverbraucher im Jahr 2016 rund eine Milliarde Euro für die Abregelung von Windkraftwerken im Norden und das zusätzliche Betreiben von alten Ölkraftwerken im Süden bezahlen musste. Fakt ist, dass die Bundesnetzagentur immer häufiger Betreiber von Kohle- und Erdgaskraftwerken anweisen muss, ihre Kraftwerke weiterzubetreiben, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Fakt ist auch, dass sich diese Lage bis zum Jahr 2022 noch weiter verschärfen wird, wenn die restlichen deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden, insbesondere auch im Süden. Dann reichen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nicht mehr nur deutsche Kraftwerke aus, sondern müssen zum Beispiel französische Kraftwerke genutzt werden, wie ein Bericht der Bundesnetzagentur belegt.
Die Energiewende ist kein Erfolg, schon gar nicht für den Klimaschutz. Deshalb muss die nächste Bundesregierung ihre Energie- und Klimapolitik faktenorientiert gestalten und Innovationen eine Chance geben. Nicht der stupide Zubau von PV- und Windkraftwerken und die staatlich verordnete Zwangsabnahme über das EEG sind die Zukunft, sondern die Systemoptimierung mit intelligenten Geschäftsmodellen und dem Ziel, die CO2-Emissionen möglichst kostengünstig zu reduzieren. Deshalb sollte sich die Politik darauf beschränken, sektorspezifische CO2-Reduktionsziele vorzugeben, die die Akteure mit den für sie besten Instrumenten erreichen müssen.
Nicht einseitige Fixierung auf Strom, Photovoltaik und Wind ist zielführend, sondern die intelligente Einbeziehung von Erdgassystemen. Erdgas ist ein Multitalent, mit dem Blockheizkraftwerke Strom und Wärme erzeugen können, aber auch mit Erdgasautos die Mobilitätsansprüche bedient werden können. Zudem kann mit Biogas, aber auch mit Power to Gas, grünes Gas bereitgestellt werden. Technologieoffenheit und Innovation muss mehr Raum gegeben werden.
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Wie Recht Herr Kohler hat! Die aktuelle Energiepolitik hat uns in eine Sackgasse fahren lassen, die trotz gigantischen Finanzvolumina (die aus dem Erneuerbaren Energie Gesetz stammenden Kostenverpflichtungen haben längst eine Größenordnung von 500 Milliarden Euro überschritten!) nicht tragfähig ist. Kraftwerke sind unwirtschaftlich geworden. Die Versorgungssicherheit ist nach Abschalten aller Grundkraftwerke akut gefährdet. Eine technisch-wirtschaftliche Lösung für die Stromspeicherung zeichnet sich nicht ab. Unsere Strompreise sind für den Abnehmer grotesk überhöht. Die Politik bedient sich ungeniert des EEG-Topfes für spezielle Themen, die nur mittelbar mit erneuerbare Energien zu tun haben (Erdverkabelung, Finanzierung von Lobbygruppierungen).
Die deutsche Energiewirtschaft legt am Boden. Wenn eines Tages mal für drei Tage die Lichter ausgehen, wird das Geschrei groß sein und die Suche nach den Schuldigen beginnen. Aber dann ist es zu spät. Warum läßt man nicht Fachleute an das Thema ran, die den Verhau der Vorschriften durchkämmen und eine ideologiefreie Energiepolitik konzipieren. Noch ist etwas Zeit...Spätestens bei Wegfall der Kernkraft und der Braunkohle wird es hochproblematisch.