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Gastbeitrag zur Zukunft der Demokratie Die Ohnmacht der Experten

Im Wahlkampf wird viel über Themen, aber wenig über die Entwicklung der Demokratie debattiert. Das muss sich ändern, fordert Richard von Weizsäcker Fellow Parag Khanna – und bricht eine Lanze für mehr Technokratie.
04.09.2017 - 16:11 Uhr Kommentieren
Parag Khanna ist Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy in Berlin. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com
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Parag Khanna ist Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy in Berlin. Sie erreichen ihn unter: [email protected]

Deutschland steht vor der Wahl – und der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Wohin man auch schaut: Plakate, Anzeigen, Interviews, Reden auf Marktplätzen und als vermeintlicher Höhepunkt das TV-Duell. So weit, so gut, so überraschungsfrei.

Was dagegen nicht zur Wahl steht, ist die Demokratie selbst. Das ist auch gut so. Aber heißt das, dass auf absehbare Zeit alles so bleibt, wie es ist? Hoffentlich nicht. Für das immer komplexer werdende 21. Jahrhundert ist meiner Ansicht nach die geeignetste Form der Regierung eine Mischung aus direkter Demokratie – also der Stimme des Volkes, direkt aufgegriffen durch Wahlen, Abstimmungen, Umfragen – und Technokratie. Ein Begriff, der in Deutschland – wie ich finde, zu Unrecht – keinen Beifall auslöst. Denn Technokratie bezeichnet ein Team aus Experten, die befugt sind, Szenarien zu entwerfen und Entscheidungen zu treffen, die den allgemeinen Wohlstand steigern und die Gesellschaft vor Krisen und Gefahren bewahren. Diese Mischung könnte man als direkte Technokratie bezeichnen. Also weniger Ideologie, weniger Rituale, dafür mehr und direktere Beteiligung und effektiveres politisches Handeln.

Schon Platon ahnte, dass Demokratie zu Tyrannei führen kann. Er beschrieb ein Spektrum möglicher Herrschaftsformen, von der Aristokratie bis zur Tyrannei; die Demokratie ordnete er auf der vorletzten Stufe ein. Nach Platon basiert der Erfolg einer Polis im Wesentlichen auf zwei Elementen: einem gebildeten, aktiv beteiligten Bürgertum und einer weisen Führungsklasse. Würde Platon heute leben, er wäre wohl ein Anhänger der direkten Technokratie.

USA Negativbeispiel erster Klasse

Zurück in die Gegenwart. In den USA zum Beispiel gibt es mehr als genug Demokratie. Was fehlt, ist mehr Technokratie. Es fehlen Experten, die zum Wohle des Volkes handeln – und die das auch können. Gleiches gilt für Großbritannien. Nach der Bekanntgabe der Ergebnisse zur Brexit-Abstimmung musste in aller Eile erst einmal ein Ausschuss zusammengetrommelt werden, der die Auswirkungen dieser Entscheidung untersuchen soll. In funktionierenden Technokratien dagegen spielt der öffentliche Dienst solche Szenarien ständig durch. Das Brexit-Debakel zeigt, dass – ähnlich wie in den USA – auch in Großbritannien die Politik über die Vernunft triumphiert.

Auf der Liste der Top-20-Regierungen im Bereich Regierungsqualität (jährlich herausgegeben von „The Economist“ und dem Forschungsinstitut Freedom House) stehen fast ausschließlich mehrparteiliche parlamentarische Staaten. Aber es geht um mehr als Demokratie an sich. Laut der Weltbank bedarf es für Good Governance auch noch anderer Tugenden wie Rechtsstaatlichkeit, umfangreiche Ausbildung, Innovationsförderung, starker Mittelstand, kompetente Bürokratie und wenig Korruption.

Viele Demokratien in der Krise

Deutschland steht bei all dem besser da als andere Staaten. Aber nichts ist von Dauer. Auch für Demokratien ist Anpassungsfähigkeit eine hohe Tugend. Die USA sind auch hier ein Negativbeispiel erster Klasse. Dort hat es seit den 70er-Jahren keine bedeutende Verfassungsreform gegeben. Ergebnis: Eines der demokratischsten Länder der Welt befindet sich an der Grenze der Unregierbarkeit. Die Verknüpfung zwischen Demokratie und Technokratie wird noch wichtiger im digitalen Zeitalter, in dem fortschrittliche Regierungen für universellen Breitbandzugang sorgen und Onlinepetitionen fördern. Volksabstimmungen wie in der Schweiz sind dann noch leichter möglich als bisher. Sogar Länder wie Belgien oder Singapur, in denen die Wahlbeteiligung verpflichtend ist, werden sich diesen neuen Möglichkeiten der Beteiligung perspektivisch kaum entziehen können. Aber diese „Hyper-Demokratie“ braucht umso mehr Technokratie, um Kosten-Nutzen-Kalkulationen zu erarbeiten und zusammen mit Politikern Kompromisse zu entwerfen.

Momentan befinden sich viele Demokratien in einer Krise mangelnder Legitimität aufgrund versagender Politik. Die jüngere Generation äußert laut verschiedener Meinungsumfragen eine Präferenz für mehr Effektivität statt für mehr Demokratie.

Aber das ist ein falscher Gegensatz. Die Notwendigkeit, Technokratie in unser westliches politisches System einzuführen, ist keine Nivellierung der Demokratie, sondern ihre Erhöhung. Die Demokratie muss kein Auslaufmodell werden. Sie muss sich nur wie jedes von Menschen erdachte System entwickeln – durch Anpassung an sich schnell verändernde Realitäten und Herausforderungen. Gesellschaften, die sich nicht weiterentwickeln, bestraft das Leben.

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