Gastkolumne In einer Wettbewerbswirtschaft sind Marktbereinigungen ein normaler Prozess

In der Coronakrise zeigt sich, dass mindestens ein Drittel bis zur Hälfte der deutschen Unternehmen mit überschaubaren Größenverhältnissen zu den Grenzbetrieben zu zählen sind.
Jeder Ökonom lernt frühzeitig, dass in einer Wettbewerbswirtschaft neben renditestarken, thesaurierungsaffinen und damit wettbewerbsfähigen Unternehmen auch solche bestehen, die eine durchschnittliche Ertragslage und begrenzte Wachstumschancen auszeichnen.
Und da sind dann noch die Unternehmen, die mit Minimargen, geringem Eigenkapital und hoher Verschuldung im Markt als meist zeitlich befristete Erscheinung geduldet werden: Sie nennt man Grenzbetriebe. Bisher war man davon ausgegangen, dass diese Gruppe in einer hinreichend funktionierenden Marktwirtschaft von nicht mehr als zehn bis 25 Prozent der Betriebe variierend über alle Branchen besetzt ist.
Sie sind systemimmanent und -relevant, denn ihr (absehbares) Ausscheiden ermöglicht es neuen Unternehmern, mit den freigesetzten qualifizierten Arbeitnehmern innovative Märkte und Chancen zu nutzen.
Die Unternehmensszene in Deutschland wurde im internationalen Wettbewerb immer auch deswegen als Vorbild gefeiert, weil starke kleinere und mittlere Unternehmen, ganz überwiegend eigentümergeführt und familiengebunden über Generationen, den großen und stabilen Kern des wirtschaftlichen Erfolgs generieren: rendite- wie eigenkapitalstark, nachhaltig investiv und risiko- wie kostenbewusst.
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Nach einer anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungphase – wie sie seit vielen Jahren in Deutschland bestand – stellen sie das kerngesunde Bollwerk dar, das keine mittlere bis größere, zeitlich befristete Krise vom Markt fegen kann. So weit die Theorie.
Nun lernen wir in diesen krisengeschüttelten Monaten, dass mindestens ein Drittel bis zur Hälfte der deutschen Unternehmen mit überschaubaren Größenverhältnissen zu den Grenzbetrieben zu zählen sind – oder sich nach Auffassung ihrer Interessenvertreter dazu zählen. Gelegentlich scheint dabei allerdings Verlust mit Umsatz verwechselt zu werden.
Muss die Theorie neu geschrieben werden oder könnte hier das Schmierentheater von den „privatisierten Gewinnen und sozialisierten Verlusten“ erneut zur Aufführung gebracht werden?
Um es deutlich zu sagen: Es geht nicht um die große Zahl von bedauernswerten und tragischen Einzelverhältnissen, unverschuldeten Abhängigkeiten und insolvenzgeschüttelten Produzenten, Lieferanten, Arbeitnehmern und Kunden. Aber es geht sehr wohl für die Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte darum, zu überprüfen, welche Grenzbetriebe sie in ihrem Verantwortungsbereich haben und (zu) lange querfinanzierten.
Denn man kennt auch den Erfahrungssatz „Jede Krise ist eine Chance für die Besseren“ – hoffentlich keine weitere, allein theoretisch überzeugende Phrase.
Der Autor ist geschäftsführender Herausgeber von „Der Aufsichtsrat“. Lesen Sie mehr in der Juliausgabe. [email protected]
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