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Gastkommentar Auch Joe Biden glaubt an „America first“

Unter dem neuen US-Präsidenten hat sich der Ton verbessert – die Interessengegensätze mit Europa aber bleiben, analysiert Josef Joffe.
22.06.2021 - 04:00 Uhr Kommentieren
Josef Joffe ist Mitglied im Herausgeberrat des Handelsblatts und der „Zeit“. Sein jüngstes Buch: „Der gute Deutsche: Die Karriere einer moralischen Supermacht.“ Quelle: Public Address
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Josef Joffe ist Mitglied im Herausgeberrat des Handelsblatts und der „Zeit“. Sein jüngstes Buch: „Der gute Deutsche: Die Karriere einer moralischen Supermacht.“

(Foto: Public Address)

Abgang Trump, Auftritt Biden, und jetzt wird alles gut? Wir freuen uns über den Neuen, sollten aber bedenken, dass im Umgang der Staaten nicht Personen zählen, sondern Macht und Interessen. Die Altvorderen erinnern sich noch, dass die Geschichte der Nato die Geschichte ihrer Krisen ist: von der Wiederbewaffnung der Deutschen bis zur Nachrüstung, von der Berlin-Krise bis zu Irak II, vom „Hähnchenkrieg“ bis zum Röhrendeal mit den Russen lange vor Nord Stream 2. Amerikanische Abzugsdrohungen waren die Begleitmusik.

Auch Trumps Rüpeleien waren nicht neu; man erinnere sich an Helmut Schmidts Verachtung für Jimmy Carter. So grob wie unter Donald Trump ging es freilich nie zu, nie hätte ein Präsident die Nato für „obsolet“ erklärt oder Strafzölle auf Stahl und Aluminium verhängt.

Verbessert hat sich unter dem 46. Präsidenten der Ton, der bekanntlich die Musik macht; der imperiale Gestus ist weg. Biden hat schon mal Trumps Truppenabzug aus Deutschland kassiert, jüngst zumindest vorübergehend auf einige Sanktionen gegen Nord Stream 2 verzichtet. Die Deutschen dürfen aufatmen, werden aber Konzessionen machen müssen, damit das Gas wirklich fließt.

Eitel Sonnenschein herrscht, abgesehen von dem für Europa wichtigen CO2-Grenzausgleich, in der Klimapolitik. Biden kehrt in die globalen Institutionen zurück, was die Deutschen – reflexhafte Multilateralisten – besonders an ihm schätzen. Fazit: Diese siebzig Jahre alte Ehe braucht derzeit keinen Scheidungsanwalt; die Liebe ist zwar verblasst, aber man weiß, was man aneinander hat. Bloß bleiben die alten Interessengegensätze, ganz gleich, wer gerade im Weißen Haus oder im Kanzleramt sitzt.

China hin oder her – Amerika bleibt an der Spitze der Hierarchie. Deutschland macht sich kleiner, als es ist. Washington hat globale, Berlin regionale Interessen. Die USA sind letztlich immer noch gewillt, Militärmacht rings um die Welt einzusetzen, die Deutschen können im Ernstfall nicht einmal das eigene Land verteidigen, geschweige denn anderswo mit mehr als symbolischen Kontingenten eingreifen.

Biden will die Europäer im Titanen-Duell mit China einspannen

Die Berliner Republik scheut strategisches Handeln wie den Beelzebub; sie sieht sich als Zivil- oder Friedensmacht, was jenseits von London und Paris auch für die Europäische Union als Ganzes gilt. In den nächsten drei Jahren der Biden-Regentschaft bleibt hier die alte Kluft.

Wie Trump will Biden die Europäer im Titanen-Duell mit China einspannen. England und Frankreich schicken Großkampfschiffe Richtung Südchinesisches Meer; Deutschland hat keine Hochseeflotte und nur sechs U-Boote – so viele wie das kleine Israel. Berlin wird sich ad hoc mit Washington zusammentun, etwa gegen Chinas Technologieoffensive, aber nicht auf dem strategischen Schachbrett.

Prinzipiell wird sich Deutschland nicht als Verbündeter rekrutieren lassen. Wirtschaftliche Interessen haben die Oberhand im Verhältnis zum „Reich der Mitte“. Das letzte Mal hat Deutschland 1900 unter Wilhelm II. gegen China interveniert, und da konnte das Land sich nicht wehren. Jetzt rüstet es rasant auf. Biden wird den Druck auf Berlin aufrechterhalten, und Berlin wird lavieren.

Biden geht bei Nord Stream 2 in Vorlage

Ähnliches gilt für Russland, den anderen Rivalen der Weltmacht. Biden ist bei Nord Stream 2 in Vorlage gegangen, aber Berlins hartnäckige Weigerung, die Röhre im Ostseesand zu begraben, liefert einen Vorgeschmack auf künftige Konflikte mit Washington. „Nie den Draht nach St. Petersburg abreißen lassen“ (Bismarck) ist praktisch Staatsräson, verstärkt durch die mörderische Lektion aus zwei Weltkriegen.

Auch ein freundlicher Mensch wie Biden muss dem ausgreifenden Russland Grenzen ziehen; Deutschland wird dagegen versuchen, den „ehrlichen Makler“ zu geben, und denkt nicht an Gleichgewichtspolitik, zum Beispiel an Waffen für die torkelnde Ukraine. Kiew liegt zwar vor der Haustür, aber das große Russland provozieren? Frieden schaffen ohne Waffen ist ein feines Prinzip, das es dem hochgerüsteten Putin überlässt, den Frieden gewaltsam zu diktieren.

Dass nun die Demokraten das Weiße Haus beherrschen, ändert nichts an der Rollenverteilung zwischen Welt- und Regionalmacht. Im Ökonomischen ist das Gefälle nicht so krass. Immerhin kann die Bundesrepublik als viertgrößte Wirtschaft der Welt (mit der EU im Rücken) hier ihre besten Karten ausspielen. Schauen wir aber etwas genauer auf die Strafzölle, die Biden beibehält, blicken wir in die Abgründe der US-Innenpolitik.

Wirtschaftstheorie und -geschichte warnen seit jeher, dass Zölle weder Handelsdefizite schmälern noch das Realeinkommen einer Nation mehren. (Wer genauer wissen will, warum, möge das „Lerner Theorem“ im Lehrbuch ausgraben.) Es profitieren nur favorisierte Industrien und Gewerkschaften. Alle anderen verlieren, zum Beispiel der US-Baumaschinenhersteller, der mit verteuertem Stahl arbeiten muss und so gegenüber japanischen Konkurrenten auf dem Heimat- und Weltmarkt Kunden und Arbeitsplätze verliert.

Schon Obama hantierte mit Strafzöllen

Es mag zwar töricht sein, aber es ist kein Zufall, dass Biden die Trump-Zölle auf Stahl und Aluminium nicht streicht. Schon der nette Obama hatte unter der Devise „gut bezahlte Jobs für Amerikaner“ mit Strafzöllen hantiert. „America first“ ist auch Bidens unartikulierte Parole. Doch was der eigenen Klientel dient, hilft nicht dem Land – und schon gar nicht dem Geflecht des multilateralen Freihandels, das die USA nach Kriegsende aufgebaut und gepflegt hatten.

Die „good news“? Hier helfen Verhandlungen und „Quid pro quo“: Wie ich für dich, so du für mich. Dass die exportabhängigen Deutschen in der EU den Motor spielen sollten, liegt in ihrem schnöden Eigeninteresse. EU-Zölle auf US-Autos sind prozentual zehn Mal höher als umgekehrt.

Nicht so einfach wird es in der großen Arena sein, wo sich bereits seit Obama Amerikas Selbstverständnis wandelt. Trump nannte es „America first“, Obamas Mantra war „It’s time for a little nation-building at home“ – wir haben genug für die Welt getan, jetzt sind wir dran. „Trittbrettfahrer nerven mich“, verriet er mit Blick auf die Europäer, die Sicherheit „made in USA“ zum Discountpreis genießen.

Die Einwärtskrümmung Amerikas kommt zum falschen Zeitpunkt, da nun Russland und China gezielt expandieren – ein paar Nummern kleiner auch Iran und die Türkei. London ist draußen, während Berlin und Paris untergründig um die Vormacht in der EU ringen. Polen und Ungarn gehen ihre eigenen Wege.

Was soll Europa denn ohne Amerika tun?

Allzu langsam wächst in Deutschland die Einsicht, dass die fetten Zeiten vorbei sind, als die USA den Schutzschirm hielten und Europa die Friedensmacht geben konnte. Bis EU plus UK ihr Eigengewicht in die Waagschale werfen, wird noch viel Wasser die Flüsse Rhein, Seine und Themse hinabfließen. Bis dahin wäre es praktisch, die Gunst der Nach-Trump-Stunde zu nutzen, um die alte Ehe zu reparieren.

Was soll Europa denn ohne Amerika tun, und wo fänden die USA einen besseren natürlichen Partner? Zusammen bringen die beiden 800 Millionen hochausgebildeter Bürger, 2,8 Millionen Soldaten und die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts auf. Und wir müssen noch nicht einmal Chinesisch lernen. Unsere Arbeitssprache ist Englisch, und Verständigung kommt von Verstehen.

Der Autor: Josef Joffe ist Mitglied im Herausgeberrat des Handelsblatts und der „Zeit“. Sein jüngstes Buch: „Der gute Deutsche: Die Karriere einer moralischen Supermacht.“

Mehr: Moskau braucht Zuckerbrot und Peitsche

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