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Gastkommentar Beim Thema Wasserstoff ist es Zeit für eine neue Ehrlichkeit

Wasserstoff gilt als Schlüssel zur Dekarbonisierung der Wirtschaft. Doch derzeit gibt es mehr Fragen als Antworten, analysiert Jörg Lichter.
12.10.2021 - 19:19 Uhr 3 Kommentare
Der Autor ist Director Research des Handelsblatt Research Institute. Die Forschungsgebiete des Volkswirts und habilitierten Wirtschaftshistorikers sind Geldpolitik und Energiepolitik. Quelle: Frank Beer für Handelsblatt

Der Autor ist Director Research des Handelsblatt Research Institute. Die Forschungsgebiete des Volkswirts und habilitierten Wirtschaftshistorikers sind Geldpolitik und Energiepolitik.

(Foto: Frank Beer für Handelsblatt)

Wer glaubt, Energie- und Klimaschutzpolitik seien nur im Wahlkampf oder bei Koalitionsverhandlungen ein Thema, der irrt. Diese zwei eng miteinander verbundenen Bereiche werden in den nächsten Jahrzehnten im Zentrum der deutschen Politik stehen.

Nun kann die Bundesrepublik allein sicher nicht das Weltklima retten. Die Welt schaut aber mit besonderem Interesse auf Deutschland, weil es zu den wenigen Ländern zählt, die sich einer doppelten Wende in der Energieerzeugung verschrieben haben: der Reduzierung des Einsatzes fossiler Energieträger wie Kohle, Mineralöl und Erdgas zugunsten erneuerbarer Energien bei gleichzeitigem Verzicht auf Atomkraft als Option zur Verringerung der Treibhausgasemissionen.
Hinzu kommt: Deutschland ist mit seinem hohen Industrieanteil auf eine stabile Energieversorgung angewiesen wie kaum ein anderes Land. Daher ruhen große Hoffnungen auf dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, wie nicht zuletzt die im Juni 2020 veröffentlichte „Nationale Wasserstoffstrategie“ der Bundesregierung zeigt.

Wasserstoff gilt als Schlüsselelement für eine erfolgreiche Energiewende – das chemische Element soll fossile Energieträger, Rohstoffe und Vorprodukte ersetzen und so jene Bereiche der Volkswirtschaft dekarbonisieren, bei denen das über einen direkten Einsatz regenerativ erzeugten Stroms nicht möglich ist, etwa bei der stofflichen Verwendung im verarbeitenden Gewerbe.

Wasserstoff kommt in der Natur nicht vor

So setzt man in der Eisen- und Stahlindustrie große Hoffnungen darauf, durch den Einsatz von Wasserstoff den CO2-Ausstoß um 95 Prozent senken zu können. Das Problem dabei ist: Wasserstoff kommt in der Natur nicht vor, und seine Herstellung ist sehr energieintensiv. Wasserstoff kann also nur dann zum Klimaretter werden, wenn große Mengen sauber erzeugten Stroms zur Verfügung stehen.

Daher plädiert die Bundesregierung dafür, die Volkswirtschaft auf Basis des CO2-freien „grünen“ Wasserstoffs klimaneutral umzubauen. Der wird durch die Aufspaltung von Wasser mithilfe regenerativ erzeugten Stroms produziert. Doch das ist nicht mehr als Zukunftsmusik. Aktuell wird jährlich eine Energiemenge von rund 55 Terawattstunden (TWh) „grauer“ Wasserstoff auf Basis von Erdgas in Deutschland verarbeitet, das sind etwa 3,3 Millionen Tonnen Wasserstoff. Die Produktion von grauem Wasserstoff verursacht hohe CO2-Emissionen.

Die Bundesregierung erwartet, dass sich der inländische Wasserstoffbedarf bis zum Jahr 2030 verdoppeln wird. Langfristig soll der größte Teil des Bedarfs zwar importiert werden, geplant ist aber, dass in den kommenden acht Jahren immerhin rund 14 TWh grüner Wasserstoff hierzulande erzeugt werden, also rund 850.000 Tonnen. Nach den jüngsten Erklärungen von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sollen es sogar 19 TWh werden. Für die Produktion von 14 TWh grünem Wasserstoff benötigte man rund 20 TWh erneuerbare Energie. Etwa ein Drittel der erzeugten Energiemenge geht also unwiederbringlich verloren.
Die kritische Größe beim Aufbau ausreichend großer Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff in Deutschland ist nicht der Bau von Elektrolyseuren, den Produktionsanlagen des Wasserstoffs, sondern der notwendige parallele Ausbau der erneuerbaren Energien. Ein starker Ausbau der erneuerbaren Energien ist unausweichlich, um auch noch die Lücke zu füllen, die der Ausstieg aus Atomkraft und Kohleverstromung hinterlässt.

Weitere 10.000 Windräder müssten installiert werden

Eine Studie des Handelsblatt Research Institute im Auftrag des Energieunternehmens Uniper zeigt: Auf der Basis des offiziellen Ausbaupfads der Bundesregierung im aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) kann im optimistischen Szenario der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 von jetzt rund 46 auf 65 Prozent erhöht werden – bei einem angenommenen konstanten Bruttostromverbrauch. Allerdings ist der zur Produktion von grünem Wasserstoff benötigte Strom dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Nun hat die Bundesregierung ihre Prognosen über den gesamtwirtschaftlichen Stromverbrauch im Jahr 2030 im Juli spürbar nach oben korrigiert. Wenn diese zusätzliche Stromnachfrage wie in den Klimaschutzplänen vorgesehen zu 65 Prozent durch erneuerbare Energien gedeckt werden soll, müssten die erneuerbaren Energien deutlich stärker ausgebaut werden als nach dem EEG derzeit geplant.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat angekündigt, in den kommenden acht Jahren die Onshore-Windkraftanlagen spürbar auszubauen. Bis 2030 müssten neben den bereits jetzt rotierenden 30.000 Turbinen 10.000 weitere Windräder installiert werden. Wie dieses Ziel angesichts nachlassender Akzeptanz von Onshore-Windkraft in der Bevölkerung verwirklicht werden soll, erklärte Schulze nicht.

Darüber hinaus stockte die Ministerin die Zubauziele bei der Photovoltaik noch einmal um 50 Prozent auf. Doch ähnlich wie bei der Onshore-Windenergie bleibt auch hier offen, wie dies erreicht werden kann. Für eine allgemeine Solardachpflicht fehlen zumindest bislang die politischen Mehrheiten. Das bedeutet mit Blick auf den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland: Die Erzeugung des bis 2030 zusätzlich benötigten regenerativen Stroms ist höchst unsicher.

Wird private durch staatliche Nachfrage verdrängt?

Womöglich wird die Inbetriebnahme der Elektrolyseure daher zu einem Crowding-out führen, einer Verdrängung der privaten durch staatliche Nachfrage. In der Konsequenz könnte dies bedeuten, dass Unternehmen bei ihren Elektrolyseuren zum Teil auf Strom aus fossilen Quellen zurückgreifen müssen. Werden die Elektrolyseure jedoch mit Strom betrieben, der im Jahr 2030 noch zu rund einem Drittel aus fossilen Energieträgern gewonnen wird, ist der Wasserstoff nicht mehr CO2-frei, sondern allenfalls CO2-arm.
Dieses Problem kennen die Protagonisten einer grünen Wasserstoffwirtschaft durchaus. Deshalb betonen sie stets, wie notwendig ein rascher Ausbau der erneuerbaren Energien sei, um den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft daran koppeln zu können. Damit lässt sich das Dilemma jedoch nicht lösen: Entweder erfolgt die Marktexpansion mit Rücksicht auf die Ausbaugeschwindigkeit der erneuerbaren Energien – also vergleichsweise langsam –, oder die Wasserstoffwirtschaft wird schnell entwickelt, kann dann aber nicht ausschließlich auf erneuerbaren Energien basieren.
Die Nationale Wasserstoffstrategie ist daher gleichzeitig unter- und überambitioniert. Einerseits wird bis 2030 die Erzeugung von lediglich 14 TWh grünem Wasserstoff geplant, obwohl die erwartete Nachfrage deutlich größer ist. Andererseits ist nicht sichergestellt, dass die zusätzliche regenerative Stromproduktion ausreicht, um auch nur 14 TWh an grünem Wasserstoff in Deutschland zu produzieren.

Auf die nächsten Bundesumwelt- und -energieminister kommt also nicht nur viel Arbeit zu. Es ist auch Zeit für eine neue Ehrlichkeit. Mit reinem Wunschdenken kommen wir schließlich nicht weiter.

Der Autor: Jörg Lichter ist Director Research des Handelsblatt Research Institute. Die Forschungsgebiete des Volkswirts und habilitierten Wirtschaftshistorikers sind Geldpolitik und Energiepolitik.

Mehr: Wirtschaft will beim Wasserstoff schnell Klarheit von der künftigen Koalition.

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3 Kommentare zu "Gastkommentar : Beim Thema Wasserstoff ist es Zeit für eine neue Ehrlichkeit"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Seltsam, dass dieser Kommentar nur die nationale Wasserstofferzeugung beleuchtet und die internationalen Möglichkeiten in sonnen-und windreichen Ländern völlig außer Acht lässt. Genau dort, im Ausland, wird aber unser künftig benötigter Wasserstoff produziert werden. Es ändert sich also nichts im Vergleich zur heutigen Importsituation. Also was soll die Panik.

  • Deutschland wird sinnvoller Weise den Großteil des grünen Wasserstoffs aus Ländern importieren, die für die Produktion wesentlich besser geeignet sind als Deutschland. Das sind Länder, die durch ihre Lage (sonnenreich und/oder windreich) bevorzugt sind, eine geringere Bevölkerungsdichte aufweisen und den bei ihnen produzierten Strom aus erneuerbaren Energien nicht komplett selbst benötigen, sondern exportieren können. Das trifft auf viele Länder zu, beispielsweise Norwegen, Schweden, Spanien, Griechenland, zahlreiche afrikanische Länder, Russland, Ukraine, Australien, Brasilien, Saudi Arabien etc.. Für diese Länder kann der Export grünen Wasserstoffs ein erheblicher Wirtschaftsfaktor werden. Das wurde im Übrigen in der "nationalen Wasserstoffstrategie" auch so erkannt und beschrieben. Sie können deutlich mehr Energie aus Wind und Sonne produzieren, als sie benötigen und der Energieverlust bei der Umwandlung in Wasserstoff ist von untergeordneter Bedeutung.
    In Deutschland gibt es wetterbedingt Zeiten, in denen wir viel zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien produziern (wenig Wind, wenig Sonne), aber auch Zeiten, in denen wir schon heute Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen vom Netz nehmen müssen, weil sie zu viel Strom produzieren und das Stromnetz überlasten würden. Für diese Zeiten ist die Elektrolyse in Deutschland sinnvoll und sonst nicht, weil es ansonsten sinnvoller ist, den Strom direkt zu verbrauchen, weil bei der Elektrolyse ca. 30 % der Ursprungsenergie verloren gehen.

  • Für mich ist das alles Träumerei. Wir stehen bei etwa 17% regenerativer Energieerzeugung im Verhältnis zu allen anderen Energiequellen. Von November bis Februar ist doch kaum Sonne in Deutschland. Sehr windig ist es im Inland auch nicht. 1,4 Milliarden Chinesen und Milliarden Menschen in Entwicklungsländern steigern ihren Lebensstandard kontinuierlich. Da fehlen schlichtweg massive und permanente Energiequelle.

    Meiner Ansicht nach benötigen wir ein Welt-Apollo-Programm für die beschleunigte Entwicklung der Kernfusion um da weiter zu kommen sowie ein Welt-gemeinschaftlicher Ausbau von Solaranlagen, dort wo die Sonne regelmäßig und stark scheint und wo auch Platz ist. Das Gleiche gilt für Windkraftanlagen.

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