Gastkommentar Bosch-Chef Denner: „Automobilindustrie kann für den Klimaschutz mehr tun“

Volkmar Denner ist der Vorsitzende der Geschäftsführung von Bosch.
Schwer zu erklären ist das Auf und Ab in der öffentlichen Aufmerksamkeit für den Klimawandel. Groß war die Aufregung, als die USA vor Jahresfrist ihren Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutz-Abkommen ankündigten. Berechtigt war die Kritik aus Europa, aber auch ziemlich billig.
Denn gerade erst ist die deutsche Bundesregierung aus ihren eigenen Klimaschutz-Zielen für das Jahr 2020 „ausgestiegen“ – mit der beinahe fatalistischen Begründung, diese Ziele seien sowieso nicht zu schaffen. Diese „merkwürdige Gelassenheit“ angesichts einer globalen Gefahr, wie sie der Potsdamer Klimafolgen-Forscher Hans Joachim Schellnhuber kürzlich konstatiert hat, erscheint geradezu unverständlich.
Und auch der Weltklimarat mahnt jüngst „beispiellose Veränderungen“ an, soll die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius noch gelingen. Wie ernst nehmen wir etwa die Prognose der Weltbank, nach der bis 2050 nahezu 140 Millionen Klimaflüchtlinge drohen? Sehen wir darin bloß Alarmismus? Oder die Aufforderung an jeden Einzelnen, nicht länger auf die Anderen zu warten, sei es auf die Gesetzgebung oder die internationale Politik?
Ich finde: Auch die Automobilindustrie kann für den Klimaschutz mehr tun, als sie muss. Vor allem sollte sie ihn weniger eng angehen als bisher. Dies ist ein Plädoyer für ein neues CO2-Bild vom Straßenverkehr – das hilft der Umwelt, aber auch jedem Autofahrer.
Es geht also nicht nur um die neuen Grenzwerte, wie sie die EU für die nächste Dekade abstecken wird. Es geht auch um die Frage, was erfasst wird. Auf zwei Punkte kommt es an: einerseits auf die „real driving consumption“, den Kraftstoffverbrauch möglichst realitätsnah zu ermitteln, andererseits auf „well to wheel“, die ganze Energiekette von Kraftwerken und Raffinerien bis zu den Fahrzeugen zu betrachten.
Wir müssen das eine wie das andere genauer in den Blick nehmen. Erst dann sehen wir deutlicher als bisher wo wir ansetzen müssen, um die Kohlendioxid-Bilanz des Straßenverkehrs zu verbessern.
Was aber ist der Weg dorthin? Wie also lassen sich Effizienz- und Klimaschutzziele realitätsnäher als bisher ansteuern? Es geht in die richtige Richtung, dass künftig der weltweit harmonisierte Testzyklus WLTP Anwendung findet. Und es ist zu begrüßen, dass die Europäische Union den Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß neuer Fahrzeugtypen in der nächsten Dekade auch mit „On-Board-Messungen“ erfassen will.
Noch sind nicht alle Fragen gelöst, da die realen Verbrauchswerte auch stark schwanken können – etwa je nach Fahrweise oder dem Betrieb der Klimaanlage, um nur Beispiele zu nennen. Gleichwohl zeichnet sich ab, dass die „real driving consumption“ in der EU Maßstab für den „CO2-Footprint“ der Fahrzeuge wird. Das schafft mehr Transparenz für den Verbraucher, und vor allem sehen wir damit genauer Aufwand und Ertrag einer jeden Maßnahme zur Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes.
Auch elektrisches Fahren ist nicht klimaneutral
Je umfassender wir den CO2-Ausstoß erfassen, desto wirksamer kann der Kampf gegen den Klimawandel sein. Wer für Klimaschutz ist, kommt auch um eine Kohlendioxid-Gesamtbilanz des Straßenverkehrs nicht herum. In diesem Sinne plädiert Bosch für eine umfassende Betrachtung – „well-to-wheel“ und nicht nur „tank-to-wheel“, also von der Quelle und nicht bloß vom Tank bis zum Rad. Denn für das Weltklima zählt nicht bloß der direkte Ausstoß des Autos, vielmehr auch die Emission der Kraftstoff- und Stromerzeugung.
Diese Gesamtbilanz sollte in die nächste Runde der CO2-Gesetzgebung einfließen. Wer elektrisch fährt, wird dann nicht mehr glauben, er sei schlicht klimaneutral unterwegs – mit einer Kohlendioxid-Belastung gleich Null. Würde der derzeitige Strommix in Europa in die Berechnung eingehen, käme ein Elektroauto der Kompaktklasse auf eine CO2-Bilanz von 40 Gramm pro Kilometer – und legt man den deutschen Strommix zugrunde, wären es sogar 80 Gramm.
Stromer und Verbrenner liegen nicht weit auseinander
Jetzt und in naher Zukunft liegen Verbrennungsmotor und Elektroantrieb in der Kohlendioxid-Gesamtbilanz nicht weit auseinander. So geht es keineswegs um ein schlichtes Entweder-Oder zwischen Verbrenner und Stromer. Es ist an der Zeit, nicht das eine gegen das andere auszuspielen, sondern auf beiden Seiten die richtigen Hebel anzusetzen.
Und das heißt konkret: Der Verbrenner muss mehr CO2-reduzierte Kraftstoffe, der Elektroantrieb mehr regenerativen Strom nutzen können. Es mag sein, dass gerade überzeugte Klimaschützer es gerne einfacher hätten – manche sehen den Verbrennungsmotor bereits „auf dem Müllhaufen der Geschichte“. In diesem Punkt möchte ich klar widersprechen: Je ernster wir den Klimaschutz nehmen, desto differenzierter müssen wir ihn angehen.
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