Gastkommentar China bringt sich durch aggressives Auftreten ins Abseits

Bernd Ziesemer ist Publizist. Der ehemalige Chefredakteur des Handelsblatts schreibt seit 40 Jahren für deutsche und angelsächsische Medien regelmäßig über China.
Sigmar Gabriel und Rudolf Scharping haben den Westen in einem Gastkommentar im Handelsblatt vor einer „destruktiven Konfrontation“ mit China gewarnt. Dazu gehört in diesen Tagen schon eine gehörige Portion Weltfremdheit. In Wahrheit ist es die Führung der KP Chinas, die seit Wochen außenpolitisch immer aggressiver auftritt.
Um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen: die Sanktionen gegen deutsche Mitglieder des EU-Parlaments und westliche China-Experten, der Boykottaufruf gegen die schwedische Textilkette H&M, die immer schrilleren Drohungen mit militärischer Gewalt gegen Taiwan oder die Beschimpfung des amerikanischen Außenministers Antony Blinken vor laufenden Kameras.
Gabriel und Scharping bedienen sich einiger durchsichtiger Tricks, um ihre These von der westlichen (sprich: amerikanischen) Aggression zu begründen. Die „Eliten Ostasiens“ seien nicht mehr bereit, die Führung der Amerikaner oder Europäer zu akzeptieren. In Wahrheit erneuern die Japaner und Südkoreaner nach den chaotischen Trump-Jahren gerade ihre Zusammenarbeit mit den USA. Die Führung der KP Chinas spricht gewiss nicht für die „Eliten Ostasiens“.
Und die neue Administration in Washington bemüht sich derzeit, sich auch mit der Europäischen Union auf eine neue gemeinsame China-Politik zu verständigen. Jüngst betonte Außenminister Blinken, die USA wollten die Europäer nicht vor die Alternative „Wir oder die“ stellen. Sie seien sich der komplexen Beziehungen zwischen Europa und China bewusst. Gegenwärtig gibt es in der Tat nur eine Supermacht, die uns zu politischem Gehorsam und Einstellung jeder Kritik zwingen will: die Volksrepublik China.
Die Führung der KP Chinas versucht seit der Staatsgründung 1949, Länder an sich zu binden, die gegen Chinas außenpolitische Feinde Front machen. Vor allem gegen die USA, zeitweise auch gegen die Sowjetunion. Europa gilt als „Mittelgruppe“, die man mit Druck und Lockrufen auf die eigene Seite bringen will. Was unter früheren Parteiführern noch als eher weiche Diplomatie erschien, verwandelt sich unter Xi Jinping in eine harte Auseinandersetzung.
Xi Jinping hat unbegrenzte Macht
Der Staats- und Parteichef möchte als „zweiter Mao“ in die Geschichte eingehen und verfügt über unbeschränkte Macht. Die Staatsmedien veranstalten einen Personenkult, der zuweilen an die Kulturrevolution erinnert. In Deutschland betreiben die chinesischen Kommunisten mittlerweile ein großes Netzwerk von Einflussinstitutionen. Um die 120 Diplomaten, acht deutschsprachige Websites, 19 sogenannte Konfuzius-Institute, zahlreiche Gruppen für „deutsch-chinesische Freundschaft“, mehrere Vereine für „patriotische Auslandschinesen“ beackern den deutschen Meinungsmarkt.
Besonders zu schätzen wissen die Chinesen „alte Freunde“ wie den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping, der seit vielen Jahren mit seiner Beratungsgesellschaft Geld an der Schnittstelle zwischen Deutschland und China verdient. Während die KP Chinas jede Kritik aus dem Ausland als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ abbürstet, mischt sich China immer stärker in unsere Gesellschaft ein.
Gabriel und Scharping vertreten in vielen Streitfragen die offizielle Linie Pekings. Allerdings ohne das ausdrücklich zu sagen.
So sei das gemeinsame Investitionsabkommen zwischen der EU und China ein großer Erfolg, weil sich die Führung in China zum ersten Mal „in puncto Arbeitsschutz auf Standards“ verpflichtet habe wie nie zuvor. In Wahrheit kommt das Abkommen auch an diesem Punkt nur mit unverbindlichen Absichtserklärungen daher – und klammert das Thema Zwangsarbeit sogar völlig aus. Schließlich will die Führung in Peking ihren „Partnern“ in aller Welt verbieten, die Arbeitslager in der Provinz Xinjiang überhaupt nur zu erwähnen.
Niemand will China unter „Hausarrest“ stellen
Kein verantwortlicher Politiker in Europa und den USA will die Volksrepublik China unter einen „globalen Hausarrest“ stellen. Es geht um etwas ganz anderes. Zuallererst um das Recht, unsere eigenen westlichen Werte in unseren eigenen westlichen Ländern weiterhin vertreten zu können, ohne von den Führern der KP Chinas und ihren „Wolfskriegern“ unter Beschuss zu geraten.
Zweitens um das Recht, China Technologien zu verweigern, die für die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung oder für militärische Abenteuer gegen Taiwan oder andere Anrainer des Ostchinesischen Meeres eingesetzt werden könnten. Und drittens um eine wirtschaftliche Partnerschaft, bei der sich wirklich beide Seiten gleichberechtigt begegnen und nach den Regeln eines fairen Welthandels verhalten.
Wahr ist: Unter Donald Trump sind die USA ein gutes Stück von diesem vernünftigen Weg abgekommen. Ihm ging es allein um einen „Deal“, der „America first“ befördern sollte. Doch nun sind die USA zur Vernunft zurückgekehrt – halten aber trotzdem an einer harten Haltung gegenüber China fest.
Die KP-Führer schotten Chinas Volk ab
Nicht der Westen bringt die Welt durch Abschottung und Entkopplung aus der Balance. In Wahrheit schotten die Führer der KP Chinas ihr eigenes Volk mit allen Mitteln – unter anderem über 60.000 Zensoren – von der Außenwelt ab. Die Chinesen verbreiten bei uns ihre Propaganda über Twitter, verbieten die Plattform aber zu Hause. Das zeigt die ganze Heuchelei des Regimes.
Und Entkopplung? In der Tat verfolgen große Teile der amerikanischen Elite quer über alle politischen Grenzen hinweg eine Strategie der partiellen wirtschaftlichen Abkopplung von China. Immer größere Teile der europäischen Eliten schließen sich dieser Idee inzwischen an – enttäuscht vom immer aggressiveren Auftreten Pekings. Dabei geht es aber eben nicht um eine Strategie der vollständigen Isolierung.
Nach einer Studie der deutschen Bertelsmann-Stiftung und der amerikanischen Rhodium Group gelten 83 Prozent aller deutschen Exporte in die Volksrepublik China auch jenseits des Atlantiks in Washington als völlig unproblematisch, vor allem die wichtigen Geschäfte der Autohersteller. Letztlich geht es bei den westlichen Überlegungen lediglich darum, der Volksrepublik China beispielsweise so lange die allerneuesten Chips zu verweigern, wie sich das Land nicht an die Regeln der internationalen Gemeinschaft hält oder nicht auf Gewalt im Chinesischen Meer verzichtet.
Von „wirtschaftlicher Entkopplung“ reden in diesen Wochen die Führer der KP Chinas mehr als der neue US-Präsident Joe Biden. Staatschef Xi Jinping treibt seine Konzerne an, sich noch während des laufenden Fünfjahresplans auf den entscheidenden Hochtechnologiefeldern der Zukunft „vollständig“ vom Westen unabhängig zu machen. Dahinter steckt auch, wie amerikanische Militärexperten vermuten, die Idee eines möglichen militärischen Angriffs auf Taiwan, der unvermeidlich schwere westliche Sanktionen auslösen würde. China bereitet sich jetzt bereits auf dieses Worst-Case-Szenario vor.
Gerade die Vermischung von wirtschaftlichen und militärischen Ambitionen, verbunden mit einer massiven Einschüchterungsstrategie gegen Europa, macht die jetzige Gemengelage so gefährlich. Wir sollten aufhören, naiv mit der Volksrepublik China umzugehen.
Der Autor: Bernd Ziesemer ist Publizist. Der ehemalige Chefredakteur des Handelsblatts schreibt seit 40 Jahren für deutsche und angelsächsische Medien regelmäßig über China.
Mehr: USA und EU kündigen Zusammenarbeit bei China und Russland an
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.