Gastkommentar Cooling-off – keine zweite Chance für gescheiterte Vorstände!

Die Cooling-off-Phase könnte die Fehler des Automanagers verdrängen.
Ausgeschiedene Vorstandsmitglieder halten sich selbst für die alternativlos richtige Besetzung des Aufsichtsrats der einst von ihnen geführten Unternehmen. Die Diskussion um die „Cooling-off“-Periode war daher lange Zeit ein rechter Aufreger. Hinweise auf die internationale Praxis prallen noch heute bei den Betroffenen ab. Sie halten ihre Führungserfahrung und Unternehmensvertrautheit für einen unvergleichbaren Fundus für eine unmittelbar effiziente Überwachung ihres eigenen Wirkens.
Die Entwicklung seit der Gesetzesänderung vor zehn Jahren hält viele Varianten einschließlich wenig eleganter Umgehungen bereit: Vom (zulässigen) aktionärsverantworteten Verzicht auf diese Besetzungsregelung bis hin zur tagesgenauen Berücksichtigung der Fristenvorgabe erweist sich die Praxis als eine Mustersammlung von Eitelkeiten und Egotrips. Mit der Empfehlung C. 7 des DCGK 2020 wird die Besetzungsbeschränkung weiterhin den Anteilseignern anheimgestellt.
Während also anwendungspluralistische Vielfalt herrscht, zeichnet sich in der aktuellen Unternehmenspraxis ein vollkommen neuer „Wert“ der missliebigen Regelung ab. Für Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche könnte sich die „Cooling-off“-Periode als Geschenk des Himmels erweisen. Das Gesicht mit dem berühmten Schnauzer ist gegen Ende seiner aktiven Karriere ins Gerede gekommen. Seine ehemals gepriesenen Verdienste werden zunehmend kritisch gesehen, und sein Abgang wird daher als positive Chance für das Dax-Unternehmen interpretiert.
Eine Entwicklung, die keine stimmige Hintergrundmusik für die angestrebte Übernahme des Daimler-Aufsichtsratsvorsitzes nach gegebener Frist darstellt. Und so könnte es dazu kommen, dass ihm die bislang als Potenzialbremse verstandene Sperr-Vorschrift eine zweite Chance geben könnte. Ohne Cooling-off-Regelung hätte Zetsche sich wohl keine große Hoffnung auf eine Amtsübernahme machen können.
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
„Cooling-off“ als segensreiche „Out of mind“-Sperrfrist, die das vergangene Versagen dem kollektiven Vergessen überantwortet. Dies wohl antizipierend, hat der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser eine solche Hängepartie schon eigenmächtig verkürzt: Er berief sich „aus eigenen Gnaden“, solange noch im Vorstandsamt, zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Energy AG, sogar mit vier Monaten Überlappung im Dienste der AG.
Die „Cooling-off“-Regelung sollte zu einer qualitativen Verbesserung der Aufsichtsratsbesetzungen führen. Die Abkühlphase könnte sich aber als Überlebenschance für in Ungnade gefallene Vorstandsvorsitzende auf ihrem Weg an die Aufsichtsratsspitze erweisen: ein Kollateralschaden der ganz besonderen Art.
Der Autor ist geschäftsführender Herausgeber von „Der Aufsichtsrat“. Lesen Sie mehr in der Septemberausgabe. [email protected]
Mehr: Zetsches teures Erbe: Daimler zahlt Milliarden im Dieselskandal.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.