Gastkommentar Covid-Tracing: Willkommen in der Datenschutz-Schizophrenie
![Miriam Meckel ist Gründerin und CEO der ada Learning GmbH. Quelle: Frank Beer [M]](/images/die-autorin/26648054/4-format2020.jpg)
Miriam Meckel ist Gründerin und CEO der ada Learning GmbH.
Dem Himmel sei Dank. Oder eher der konstruktiven Zusammenarbeit des deutschen Unternehmens Biontech mit dem US-Konzern Pfizer. Bald soll ein Impfstoff gegen Covid-19 verfügbar sein. Soziale Isolation, sterbende Restaurants, drastische Einbrüche der Wirtschaft, das alles wird dann vielleicht Vergangenheit sein.
Es ist schon beeindruckend, wie sehr die Diskussion über den Umgang mit der Corona-Pandemie von Gegensätzlichkeiten bestimmt wird: Volksgesundheit gegen Ökonomie, Impfen gegen Vorsorgen, Datenschutz gegen Gesundheitsfürsorge. Tatsächlich liegt die Wahrheit wohl irgendwo in der Grauzone dazwischen. In der müssen wir alle dieser Tage navigieren.
Leider ist die Politik dabei eher unbeholfen unterwegs. Ihr gelingt nicht, was vielen Unternehmen, vom Start-up bis zum Großkonzern, immer wieder hilft, sich mit dem Puls der Zeit zu verändern, um die besten Lösungen anzubieten. Pivoting heißt das im Silicon Valley: umschwenken, wenn die Bedingungen es nötig machen.
Beim Einsatz der Corona-Tracing-App wäre das nötig gewesen. Entwickelt in der ersten Phase der Pandemie, ist die App aus einer Situation der Unsicherheit entstanden. Schnell waren Lobbygruppen zur Stelle, um gegen den Einsatz von Tracing-Technologie zu polemisieren. Nur dezentral dürften die Daten der App gespeichert werden, so die Forderung, sonst drohe das Ende der Privatsphäre.
Mitten in der zweiten Corona-Welle wissen wir: Man hätte die Sommermonate nutzen können und müssen, um die Erfahrungen der ersten Pandemiephase auszuwerten und die App grundlegend zu verbessern. Denn diese zweite Welle kam mit Wucht. Wieder ist das soziale Leben eingeschränkt, die Wirtschaft leidet. Hätte die App hier helfen können? Dafür hätte es einen Pivot in Sachen Privacy gebraucht.
Die technischen Grundlagen der App erlauben nur dezentrale Datenspeicherung. Das ist ein wichtiger und richtiger Ansatz, um die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer zu schützen. Aber die Fixierung auf „dezentral“ ist an vielen Stellen zum undifferenzierten Lobbythema verkommen. Wissenschaftliche Studien zeigen nämlich, dass auch dezentrale Lösungen nicht immer vor Missbrauch schützen. An manchen Stellen machen sie den Zugang zu persönlichen Daten sogar leichter.
Vor allem aber gilt: Wer immer Google, Facebook, Tiktok nutzt, liefert in jeder Sekunde seine Daten an die zentralen Server des jeweiligen Unternehmens ab. Das finden wir unproblematisch, weigern uns aber, ähnlich offen mit unseren Daten umzugehen, wenn es um die eigene Gesundheit und die anderer Menschen geht? Um die Möglichkeit, sich zu treffen, im Restaurant zu essen und einen wirtschaftlichen Einbruch zu vermeiden? Wie hat Friedrich Dürrenmatt einst gesagt: Das Rationale am Menschen sind die Einsichten, die er hat. Das Irrationale an ihm ist, dass er nicht danach handelt.
Google zeichnet alles auf
Das führt zu aberwitzigen Situationen: In unserem Nachbarland Schweiz, das eine vergleichbare Tracing-App einsetzt, bitten menschliche Contact-Tracer Betroffene, doch mal gemeinsam in ihre „Google Maps History“ schauen zu dürfen. Die zeichnet nämlich minutiös auf, wann man sich wo aufgehalten hat. Wir nutzen also die umfassende dezentrale Datenspeicherung eines US-Tech-Konzerns, um die Mängel der Covid-App auszugleichen. Willkommen in der Datenschutz-Schizophrenie.
Inzwischen wurde die Corona-App etwa 22 Millionen Mal freiwillig heruntergeladen. Nicht mal ein Viertel der Bevölkerung nutzt sie also. Berechnungen zeigen, dass ein konsequenter Einsatz von Contact-Tracing inklusive funktionsfähiger App etwa 30 Mal kostengünstiger ist als ein Lockdown. Der neuerliche Lockdown für November kann die deutsche Wirtschaft etwa 20 Milliarden Euro kosten. Zugespitzt heißt das: Die Deutschen lassen sich den mangelnden Einsatz und die beschränkten technischen Möglichkeiten des Contact-Tracings erneut pro Person etwa 2500 Euro kosten.
In einer Sozialen Marktwirtschaft verbinden sich die positiven Rechte ökonomischer Freiheit und einer vom Staat weitgehend unbehelligten Lebensweise mit ein paar Verpflichtungen: die Eigeninteressen gelegentlich hintanzustellen, wenn es um das Wohl der Gemeinschaft geht. Im politischen Pandemiemanagement findet diese Abwägung kaum statt. Zu wenig technisches Verständnis paart sich mit viel Angst vor öffentlicher Auseinandersetzung.
Es sieht so aus, als wolle man weiterhin so lange an dem irrlichternden Tanz zwischen Freiheit und Beschränkung festhalten, bis endlich der Impfstoff alle Probleme löst. Das ist schade, kostet es doch viele die Gesundheit und uns alle viel Geld.
Aber vielleicht entwickelt ein Pharmakonsortium ja auch mal eine Impfung gegen Mutlosigkeit und Inkonsequenz.
Mehr: Digitalisierungshelfer Corona: So wirkt sich die Pandemie global aus
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Die App wird von vielen Boykottiert. Die Ausgegrenzten führen über die App einen Stellvertreterkrieg durch. Wer die App nicht nutzt, hat zum Quadrat mehr Einfluss auf den Erfolg der App als ein Nutzer. Das hat sich rumgesprochen. Wenn man sonst nichts zu melden hat in D kann man so der Poltik wenigsens anhand der App die Grenzen aufzeigen und zwar unabhängig davon, ob die Leute Angst vor Daten oder Corona haben. Das kann man im Internet häufiger hören.
Wenn nur einer von 83 Mio nicht mitmacht hat er immerhin die Macht von 2 Leuten.
Wenn aber 50% nicht mitmachen ist der Nutzen der App nur noch (1,00 - 0,50)² = 0,25 = 25%
Wenn 80% nicht mitmachen ist der Nutzen der App nur noch (1,00 - 0,80)² = 0,04 = 4%
Weil dann nur 4% der Corona-Fälle von der APP aufgeklärt und gemeldet werden.
"Das [Google / FB alles aufzeichnen] finden wir unproblematisch, weigern uns aber, ähnlich offen mit unseren Daten umzugehen"
Das denke ich nicht. Viele sind sehr skeptisch den Konzernen gegenüber und geben keine Daten weiter.
Gleiches gilt auch für das Handy. Daher ist auch die Annahmer deutscher Autobauer naiv, die glauben die Kunden würden die Datenabgriffe tolerieren. Viele kaufen einen Youngtimer nach dem anderen, um keine Autos die nach 2013 gebaut wurden, kaufen zu müssen.
Es gibt solche und solche Leute.
Wer vorher Datenskeptisch ist, beibt es auch jetzt.
Allerdings gibt es auch immer mehr Leute, die den Konzernen (und manche sind vermultlich nichtr nur ach so böse) MEHR VERTRAUEN als dem Staat. Die Ereignisse der vergangenen 10 Tage haben nicht nur in den Randbereichen der Gesellschaft was kaputt gemacht. Auch Lockdown-Befürwortern geht die Agrsssivität des Staats zu weit.