Gastkommentar Deutschland braucht mehr Gründermut

Uwe Fröhlich ist Co-Vorstandsvorsitzender der DZ Bank und Mitglied im Bundesvorstand des CDU-Wirtschaftsrats.
Es ist eine zentrale volkswirtschaftliche Aufgabe von Banken, Gründern und Unternehmern finanziellen Spielraum zu ermöglichen. Auf dem Handelsblatt-Bankengipfel wird zu Recht davon die Rede sein, dass der Mut von Gründern und Unternehmern zu den entscheidenden Triebfedern unserer Wirtschaft gehört. Sie sorgen für Innovationen und schaffen Arbeitsplätze – zuletzt rund eine halbe Million neuer Vollzeitstellen im Jahr.
Jeder siebte Gründer geht mit einem Produkt oder einer Leistung an den Markt, die es zuvor nicht gegeben hat. Noch wichtiger ist der Beitrag, den Unternehmer mit ihren Innovationen leisten, um Antworten auf große gesellschaftliche Herausforderungen zu finden, etwa den Klimawandel, die Digitalisierung oder die demografische Entwicklung. Diese Aufgaben werden sich ohne die Kreativität und den Mut von Gründern nicht bewältigen lassen.
Umso alarmierender für die deutsche Wirtschaft ist es, dass der Wille, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, hierzulande wie erlahmt wirkt: Bei der Gründungsquote liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf einem der letzten Plätze, wie der „Global Entrepreneurship Monitor“ kürzlich gezeigt hat. Das Bundeswirtschaftsministerium stellt fest: Die Zahl der Gründer hat sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert, mittlerweile will gut ein Viertel aller Studierenden lieber im öffentlichen Dienst statt in der Wirtschaft arbeiten.
Unsere eigenen Untersuchungen und Kundengespräche zeigen, dass selbst in vielen erfolgreichen Familienunternehmen ein Mangel an Nachfolgern herrscht und deshalb die Existenz einiger Betriebe gefährdet ist. Offensichtlich erscheint es vielen unattraktiv, unternehmerisch tätig zu werden. Was sind die Gründe? Oft werden der vermeintlich schlechte Zugang zu Wagnis- oder Wachstumskapital oder auch die überbordende deutsche Bürokratie als Hindernisse genannt. Auch in unseren Analysen tauchen bürokratische Hemmnisse immer wieder als ein Hauptbelastungsfaktor auf.
Die angebliche Bürde des Unternehmertums
Kein Zweifel: In Deutschland gibt es strukturelle Schwierigkeiten für Unternehmen. Und es gibt für jede dieser Schwierigkeiten ein ganzes Füllhorn an Forderungen, wie sie zu beseitigen sind. Diese Debatten sind wichtig – dennoch decken sie nur einen Teil der Aufgabenstellung ab. Zum einen erweist man dem Gründermut einen Bärendienst, wenn im öffentlichen Diskurs die Bürden des Unternehmertums und die Probleme von Gründern zu sehr im Vordergrund stehen.
Zum anderen sind es vielfach nicht vorrangig strukturelle und regulatorische Schwierigkeiten, die potenzielle Unternehmer abschrecken.
Das Unternehmertum in Deutschland muss vielmehr mit einem Hemmschuh kämpfen, der kultureller Natur ist: Unsere Bürger haben erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Lebensentwurf des Unternehmers. Umfragen zufolge attestieren nur noch 41 Prozent der Deutschen dem Beruf des Unternehmers ein hohes oder sehr hohes Ansehen.
Das ist ein alarmierender Befund, weil der Wert satte 14 Prozentpunkte geringer ausfällt als im Jahr 2017. Im Vergleich mit dem Ansehen anderer Berufsgruppen liegen Unternehmer nur noch im unteren Mittelfeld. Außerdem bringen viele Bürger unternehmerische Arbeit vor allem mit großen Risiken in Verbindung. Für 36 Prozent aller Erwerbstätigen kommt die Selbstständigkeit laut einer KfW-Studie schon deshalb nicht infrage, weil sie Angst vor dem Scheitern haben. Wichtigster Faktor ist die Sorge vor dem finanziellen Ruin. Die ist im internationalen Vergleich bei uns überdurchschnittlich groß.
Die Vorbehalte sind umso bemerkenswerter, als sie im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen. Denn der Mut zahlt sich für den einzelnen Unternehmer in der Regel aus. Unternehmertum schafft Wohlstand – auch für den Einzelnen. Der Aufbau eines Unternehmens ist neben Erbschaften die wichtigste Quelle für den Vermögensaufbau. Selbst wer nicht reich wird, hat zumindest gute Chancen, langfristig ein gutes Auskommen zu haben.
Wir benötigen höhere Gründerquoten
In Zeiten, in denen finanzieller Erfolg auf der Prioritätenliste junger Menschen nicht mehr ganz oben steht, gewinnt noch ein anderes Argument an Bedeutung: Unternehmertum sorgt für Zufriedenheit. Gründer sind mit ihrem Leben im Vergleich zur gesamten Erwerbsbevölkerung überdurchschnittlich zufrieden, wie eine Untersuchung der Leuphana-Universität zeigt. Um die faktische Attraktivität des Unternehmertums in höhere Gründerquoten umzumünzen, müssen wir wieder mehr Mut und Begeisterung wecken. Dafür gibt es drei wesentliche Ansatzpunkte.
Erstens sollten wir das Bildungssystem stärker darauf ausrichten, dass junge Menschen Eigenverantwortung übernehmen können und wollen – sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch. Das beginnt damit, ökonomische Bildung endlich bundesweit zu einem verpflichtenden Unterrichtsbestandteil an allgemeinbildenden Schulen zu machen. Dazu gehören auch erlebbare Beispiele.
Es ist unverständlich, dass ökonomische Inhalte in deutschen Schulen noch immer ein Schattendasein fristen, obwohl sie ein essenzieller Bestandteil des Lebens in einer demokratisch und marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaft sind.
Zweitens sollten wir Voraussetzungen dafür schaffen, dass etablierte Unternehmen und Konzerne wieder selbst zu einer Keimzelle von Gründermut werden. Arbeitsabläufe und Anreize müssen so konstruiert werden, dass Entrepreneurship im eigenen Unternehmen gefördert wird. Es geht also auch darum, neue Geschäftspotenziale zu entdecken, die manchmal sogar zu erfolgreichen Spin-offs führen können.
Einige Unternehmen haben mit agilen Innovationslaboren und vom Unternehmen unabhängigen Thinktanks bereits erste Schritte gemacht, um eine solche unternehmerische Arbeitskultur zu etablieren. Diesen Weg müssen wir konsequent fortsetzen.
Soziale Marktwirtschaft nicht gefährden
Drittens brauchen wir im öffentlichen Raum mehr sichtbare Vorbilder: gestandene Unternehmer, die eine positive Haltung zum Unternehmertum vermitteln und deren Geschichten junge Menschen inspirieren können. Dazu müssen wir Plattformen für erfolgreiche Unternehmer schaffen, damit sie ihren Gründermut weitertragen – von Austauschformaten an Universitäten bis hin zu Mentoringprogrammen mit angehenden Gründern.
Hier muss auch die Öffentlichkeitsarbeit der einschlägigen Verbände ansetzen. Wir müssen Gründergeschichten erzählen. Fürsprecher des Unternehmertums können die Gründer eines milliardenschweren börsennotierten Biotech-Unternehmens ebenso sein wie diejenigen, die in ihrer Kleinstadt eine Genossenschaft ins Leben gerufen haben, um das lokale Kino zu betreiben.
Alle Unternehmer eint, dass sie in besonderem Maße Verantwortung für sich selbst und ihr Umfeld übernehmen. Letztlich ist dieser Anspruch, Verantwortung zu übernehmen, nicht nur die Grundlage für ein gesundes Unternehmertum, sondern auch für das Gelingen unserer Sozialen Marktwirtschaft. Das sollte nicht in Vergessenheit geraten.
Der Autor: Uwe Fröhlich ist Co-Vorstandsvorsitzender der DZ Bank und Mitglied im Bundesvorstand des CDU-Wirtschaftsrats.
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