Gastkommentar: Deutschland kann viel von Frankreich lernen

Klaus Schweinsberg ist Direktor des European Center for Digital Competitiveness an der École Supérieure de Commerce de Paris (ESCP).
Der Auftritt von Olaf Scholz und Emmanuel Macron auf der Munich Security Conference (MSC) Anfang dieses Jahres sprach Bände darüber, wo Deutschland und Frankreich aktuell stehen. Anders als vom MSC-Vorsitzenden stolz angekündigt, gab es auf der Bühne nicht das Zusammentreffen eines „new French-German couple“ zu bestaunen.
Stattdessen sah man einen deutschen Bundeskanzler, der nach seiner selbstgefälligen Rede eilig und mürrisch den Saal verließ. Und man erlebte einen französischen Staatspräsidenten, der sportlich und freudig auf die Bühne sprang, erstaunt feststellte, dass Scholz bereits das Weite gesucht hatte, die Brüskierung wegschmunzelte, um dann mit klaren Worten und ehrlicher Zugewandtheit das Publikum für sich zu gewinnen. Das Ergebnis: Nach seiner Rede drängten sich viele – vor allem deutsche – Wirtschaftsbosse um ihn.
Frankreich und sein Staatspräsident liefern aktuell genau das, was Unternehmern, Investoren und Managern in Deutschland fehlt: Weitblick, Wachstum, Wille und Wertschätzung.
Macron setzt harte Reformen trotz Massenprotesten durch
Weitblick: Macron hat sehr früh ein leistungsfähiges Team um sich geschart, das eine Strategie für den Standort Frankreich entwickelt hat und bis heute konsequent abarbeitet. Wie diszipliniert und umsetzungsorientiert die dortige Regierung arbeitet, zeigen die Erfolge im Bereich der Ansiedlung von Spitzentechnologie.
Eine 2020 von Macron gestartete Initiative hat bisher etwa sechs Milliarden Euro an Investitionen generiert, die nächsten drei Jahre sollen weitere sieben Milliarden folgen.
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Frankreich ist damit das führende Ökosystem für die Finanzierung neuer Technologien in Europa geworden. Viele Start-up-Firmen sind von Berlin nach Paris abgewandert. Zu den Geldgebern in Frankreich zählen inzwischen auch deutsche Investoren wie die Allianz.
Auch in anderen Bereichen weiß Frankreich, wohin es will, und bündelt seine Kräfte, um global Einfluss und Marktanteile auszubauen: von A wie Atomkraft bis Z wie Zugtechnologie.
Wachstum: Nach dem Coronaschock ist Deutschlands westlicher Nachbar deutlich besser aus der Kurve gekommen. Und auch in diesem Jahr wächst Frankreich, während man hierzulande allenfalls darüber rätseln kann, um wie viel die Volkswirtschaft schrumpft.
Ein ähnliches Bild ist auch für das nächste Jahr zu erwarten: Für das Nachbarland prognostizieren die Ökonomen ein Plus von mehr als einem Prozent, für Deutschland muss man froh sein, wenn es nicht beim Krebsgang bleibt.
Wille: Frankreich ist es gelungen, sogar im Zeitraum der Massenproteste gegen die Rentenreform, die das Land teilweise lahmlegten, zu wachsen. Dies wie auch der Umstand, dass Emmanuel Macron den Mut hat, notwendige Reformen gegen den Willen breiter Teile der Bevölkerung hart anzugehen und auch durchzuhalten, hat die Vertreter der Wirtschaft in Deutschland schwer beeindruckt.
Zumal vorher auch schon andere Strukturreformen umgesetzt wurden. In der Ampelregierung ist indes weder der Wille noch die Stamina für harte Reformen zu erkennen.
Der französische Präsident ruft CEOs bei wichtigen Themen selbst an
Wertschätzung: Der Kern des Erfolgs des Nachbarlands liegt meines Erachtens aber in der Zugewandtheit des Staatspräsidenten gegenüber der Wirtschaft. Von etlichen Vorstandschefs habe ich gehört, wie er sich höchstpersönlich um das Standortmarketing kümmert.
Wenn Macron zum deutsch-französischen Unternehmergipfel in Evian einschwebt, weiß er genau, auf wen er trifft. Selbst Teilnehmer, die das erste Mal dabei sind, spricht er sofort mit Namen an.
Bei wichtigen Anliegen greift Macron selbst zum Telefon und ruft den CEO an. Legendär sind seine Einladungen an Wirtschaftsführer nach Versailles im Vorfeld des World Economic Forum (WEF). Damit ist er ein Gegenschnitt zu Olaf Scholz, der sich einem ernsthaften Dialog mit wichtigen CEOs inzwischen verweigert oder diese, wie beim jüngsten Chemiegipfel, gar öffentlich vorführt.
Es wäre höchste Zeit, dass das Kanzleramt sich der Wirklichkeit stellt und erkennt, dass Frankreich in Sachen Wirtschaft aktuell vieles richtig macht und für die anstehenden Herausforderungen in Europa ein verdammt guter Partner wäre. Ohne ein funktionierendes „new French-German couple“ wird es nicht gehen. Vielleicht war ja das Fischbrötchen, das Scholz und Macron unlängst beim deutsch-französischen Kabinettstreffen am Hamburger Hafen zu sich nahmen, ein Anfang.
Den Auftritt von Emmanuel Macron in München empfanden viele im Saal der MSC als eine ausgestreckte Hand Frankreichs. Der Ball liegt seither in Berlin.
Der Autor:
Klaus Schweinsberg ist Direktor des European Center for Digital Competitiveness an der École Supérieure de Commerce de Paris (ESCP).






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