Gastkommentar Deutschland muss die Dynamik Asiens im Blick behalten

Philipp Rösler (links) ist Bundesminister a.D. und war FDP-Chef, Mark Hauptmann (rechts) ist Vorsitzender der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, David Gregosz leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Warschau.
In der politischen Arena Aufmerksamkeit zu erzeugen ist dann besonders einfach, wenn es um innenpolitische Richtungskämpfe geht. Markige Forderungen finden ihren Widerhall, wenn Botschaft, Zeitpunkt und Absender zusammenpassen und der Meinungswettstreit sich pressewirksam darstellen lässt.
Außenpolitische Themen dauerhaft im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern ist deutlich schwieriger. Alles hängt mit allem zusammen, und die unmittelbare Betroffenheit ist nicht immer ersichtlich. Obwohl Deutschland mit der Weltwirtschaft verflochten ist wie kaum ein anderes Land.
So ist zu erklären, dass die im September veröffentlichten „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ der Bundesregierung in der breiten Öffentlichkeit – zumal in Corona-Zeiten – wenig Beachtung fanden. Wir meinen zu Unrecht, schließlich akzentuiert man damit eine Notwendigkeit, die Barack Obama schon vor acht Jahren erkannte. Der politische Schwenk nach Asien („Pivot to Asia“) ist für Deutschland mindestens genauso wichtig wie für die USA.
Unternehmerisch ist diese Hinwendung bis weit in den Mittelstand vielfach längst vollzogen. Politisch aber steht sie noch aus. Dies bedeutet in keinem Fall, der transatlantischen Partnerschaft oder dem europäischen Einigungswerk abzuschwören, sondern zu verinnerlichen, dass die Entwicklung der asiatischen Volkswirtschaften das 21. Jahrhundert prägen dürfte – gerade was die Mega-Themen Klima und Digitalisierung betrifft.
Eine Tatsache müssen sich Entscheider und Wählerschaft viel stärker vergegenwärtigen: Etwa fünf Milliarden Menschen leben und wirtschaften in Asien. Die Verschiebung des ökonomischen Gravitationszentrums ist in vollem Gange. Das neue Handelsbündnis RCEP ist dafür nur das jüngste Beispiel, und der aufziehende Hegemonialkonflikt zwischen den USA und China wird sich in der Administration Biden weiter, wenn auch stilbetonter, fortsetzen.
Europas Volkswirtschaften sind extrem herausgefordert
Damit wird sich Deutschland zukünftig in vielerlei Hinsicht positionieren müssen und gleichsam aufzeigen, wie das hiesige Wirtschaftsmodell Wohlstandsmaschine bleibt. Im Raum steht die Frage, welche wirtschaftspolitischen Strategien Berlin und Brüssel dem Aufstiegswillen Asiens entgegensetzen.
Vielfach wird übersehen, dass wichtige asiatische Volkswirtschaften die Corona-Pandemie gut im Griff haben und sich voll auf die Wiedergewinnung ökonomischer Stärke konzentrieren. Die Trias aus industrieller Kompetenz, digitaler Souveränität und einer unbeugsamen Zukunftszugewandtheit ist in Asien keine länderspezifische Ausnahmeerscheinung Chinas.
Bedenkt man die demografische Dynamik, wird diese Trias europäische Volkswirtschaften noch ungemein herausfordern.
Für Deutschland gilt es, den richtigen Umgang mit der Komplexität Asiens, seinen Widersprüchen und unterschiedlichsten Konfliktlinien zu finden. Die handels-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Initiativen Europas und ein kritisch-reflektierter Umgang mit China sind erste Bausteine dafür. Um der wachsenden Bedeutung Asiens Rechnung zu tragen, bedarf es aber mehr.
Keine stumpfe China-Konfrontation
In keinem Fall sollte sich der politische Umgang mit Asien auf trumpistische Entflechtungsgedanken („Decoupling“), eine stumpfe China-Konfrontation oder die Rückabwicklung der globalen Arbeitsteilung reduzieren. Vielmehr sollten wir in die Vertiefung und Diversifizierung unserer europäischen Beziehungen zu Asien investieren. Die „Indo-Pazifik-Strategie“ zeigt Optionen dafür auf und sollte daher breiter diskutiert werden.
Der Dialog mit unseren Wertepartnern, etwa Südkorea, Indien, Japan, Australien oder Neuseeland, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Daher schlagen wir mit der Asienbrücke ein zivilgesellschaftliches Forum vor, das sich dieser Aufgabe annimmt – ein Format, welches sich im transatlantischen Verhältnis längst bewährt hat.
Die von Joe Biden angekündigte Allianz der Demokratien geht in eine ähnliche Richtung und ist vom Gedanken getragen, dass sich globale Fragen in Bezug auf Technologie, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Konnektivität am ehesten gemeinsam mit Wertepartnern erörtern lassen. Wir sind überzeugt, dass sich mit den Demokratien und dialogbereiten Staaten in Asien Absprachen und Standards für die kommenden Jahrzehnte finden lassen. Der Mehrwert läge in der Stabilisierung der regelbasierten Weltordnung.
Auch wenn uns die Eindämmung des Erregers Sars-CoV-2 in Europa noch nicht gelungen ist, sollten wir den Blick in die Zukunft richten. Gerade das euro-asiatische Beziehungsgeflecht bedarf einer Neujustierung.
Es besteht aufgrund der rasanten Ausbreitung des Coronavirus die konkrete Gefahr, dass sich unsere globalisierte Welt voneinander entfernt, Transport- und Lieferketten stärker unter Druck geraten und etablierte Verbindungen zwischen Europa und Asien gekappt werden. Wir sollten diesem – für Frieden und Wohlstand – gefährlichen Trend eine kraftvolle gesellschaftliche wie politische Initiative entgegenstellen.
Mehr: Freihandel in Asien-Pazifik: RCEP ist Asien noch nicht genug
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