Gastkommentar: Deutschland muss sein außenwirtschaftliches Gleichgewicht neu definieren

Gabriel Felbermayr (l.) ist Direktor des Österreichischen Instituts für Weltwirtschaftsforschung. Martin Braml ist Ökonom und Mitgründer der Beratung Munich Economics.
Deutschland strebt laut dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht an. Soll der Saldo der Handelsbilanz, also die Differenz aus Exporten und Importen, folglich null sein? Dann befände sich die Bundesrepublik seit Jahrzehnten im Dauer-Ungleichgewicht.
Als der Saldo der deutschen Warenhandelsbilanz aufgrund teurer Energieimporte im Mai 2022 in eine rote Null drehte, stimmten viele den Abgesang Deutschlands als führende Handelsnation an.
Dieser Schluss ist aber schon deshalb falsch, weil der Warenhandel nur einen Teil der viel aussagekräftigeren Leistungsbilanz bildet. Letztere beinhaltet auch den zunehmend bedeutsameren grenzüberschreitenden Handel von Dienstleistungen, die 70 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland ausmachen.
Außerdem werden in der Leistungsbilanz auch sogenannte Primäreinkommen erfasst – überwiegend im Ausland erzielte Gewinne von Unternehmen und Kapitaleinkommen. Im Jahr 2021 trugen diese mit 127 Milliarden Euro immerhin 48 Prozent des Leistungsbilanzüberschusses bei.
Höhere Importe sind nicht per se ein Nachteil
Doch auch ein Festmachen des wirtschaftlichen Erfolgs eines Landes am Saldo der Leistungsbilanz wäre falsch. In den letzten Jahren produzierten die Deutschen laufend mehr, als sie konsumierten.





