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Gastkommentar Die EU-Wirtschaftspolitik muss sich auf Technologie fokussieren – und nicht auf Makroökonomie

Die nächste Bundesregierung muss die EU an die technologische Spitze führen. Dafür müssen besonders Grüne und FDP Prioritäten setzen, meint Wolfgang Münchau.
08.10.2021 - 10:31 Uhr Kommentieren
Wolfgang Münchau ist Direktor von eurointelligence.com. Quelle: Klawe Rzeczy
Der Autor

Wolfgang Münchau ist Direktor von eurointelligence.com.

(Foto: Klawe Rzeczy )

Solange ich denken kann, habe ich mich für die politische und wirtschaftliche Integration Europas eingesetzt. Einiges davon ist verwirklicht worden, wie etwa der Euro. Das meiste bleibt bis heute aber unrealisiert, wie die Fiskalunion.

Ich meine nach wie vor, dass die europäische politische Integration eine Voraussetzung dafür ist, dass Europa seine Interessen in der Welt vertreten kann. Aber im Moment würde ich nicht dazu raten, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs für eine Reform des Stabilitätspakts einsetzen sollten. Es gibt wichtigere Themen.

Man muss der EU zugutehalten, dass sie die makroökonomischen Aspekte dieses Mal weitgehend richtig eingeschätzt hat: Als die Coronapandemie ausbrach, lockerte sie die Finanzpolitik. Aber der schwierige Teil ist die Bewältigung der strukturellen Verschiebung – die Förderung der digitalen auf Kosten der analogen Wirtschaft.

Die Wirtschaftspolitik nach der Pandemie sollte sich auf den Wettbewerb um die technologische Führung in der Welt fokussieren. Das ist im Moment wichtiger als die Makroökonomie. Europa muss beispielsweise Glasfaser- und Mobilfunknetze viel schneller ausbauen, in Künstliche Intelligenz und grüne Technologien investieren. Diese Aufgabe kann nicht allein den Regierungen oder großen europäischen Konzernen überlassen werden.

Dafür wird die Technologiebranche entscheidend sein. EU-Städte liegen in der Rangliste der Start-ups weit hinter dem Silicon Valley, New York und London. Wenn die Menschheit den Klimawandel jemals in den Griff bekommt, wird das aller Wahrscheinlichkeit nach auf Technologien zurückzuführen sein, die erst noch entwickelt werden müssen, und auf Unternehmen, die noch gar nicht gegründet sind.

Grüne und FDP könnten einen Aufbruch erzeugen

Setzt die europäische Politik aber weiterhin unternehmensfreundlich mit korporatistisch gleich, wie sie es in der Vergangenheit getan hat, wird sie dort enden, wo sich die CDU-Führung in den vergangenen Wochen wiederfand: Geschockt von der plötzlichen Erkenntnis, dass sie keine Macht mehr hat.

Ich habe schon oft gesagt, dass künftige Historiker Angela Merkels politische Langlebigkeit nicht bewundern, sondern ihre Amtszeit als die Ära betrachten werden, in der Europa in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit schlafwandelte.

Mit der Bundestagswahl hat aber ein Hauch von Optimismus das politische Berlin erreicht. Grüne und FDP könnten Deutschland und Europa in einen Aufbruch führen, denn sie sind die beiden Parteien der jungen Wähler. Das hat die Wahl bewiesen. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen liegen die Grünen an der Spitze, dicht gefolgt von der FDP. Dahinter erst kommen SPD und CDU/CSU.

Die deutsche Politik ist eine Matrix. Auf der einen Achse gibt es zwar die klassische Links-rechts-Spaltung, aber auf der anderen Seite steht einen Generationenkonflikt. Die Grünen und die FDP trennt zwar vieles, aber sie haben gemeinsam, dass sie beide im digitalen 21. Jahrhundert leben, und sie wissen, dass es der Rest Deutschlands nicht tut. Ebenso wenig wie ihr zukünftiger Koalitionspartner, wer auch immer das sein mag.

Die Grünen betonen stets die Bedeutung des Staates; die FDP ist ein Verfechter der Privatwirtschaft. Aber das ist nicht so unvereinbar, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Großteil der Investitionen zur Rettung des Planeten wird von der Privatwirtschaft kommen. Die öffentliche Hand wird aber eine unterstützende Rolle einnehmen durch öffentliche Infrastruktur, Regulierung, Investitionsanreize und Bildung.

Kompetent genug für ein Selfie

Die große Frage, die deutsche Politiker beantworten müssen, ist also weniger, ob die nächste Koalition Ampel oder Jamaika heißt, sondern ob FDP und Grüne es schaffen, die richtigen Prioritäten zu setzen und ihren künftigen Koalitionspartner für eine Investitions- und Modernisierungsagenda zu gewinnen.

Die Ampelkoalition – SPD, Grüne, FDP – scheint im Moment die Lieblingskonstellation der öffentlichen Wahrnehmung zu sein. Ich kann mir aber nur schwer vorstellen, dass sich eine SPD-geführte Regierung jemals an die Spitze einer Gründer- und Start-up-Kultur setzen wird.

So drohte etwa die Berliner SPD Anfang Januar 2020, nur noch Start-ups fördern zu wollen, die einen Betriebsrat und Tarifvertrag haben. Wenn man Neugründungen verhindern will, dann geht das am effektivsten nicht über Steuern – sondern über Bürokratie.

Das ist auch der eigentliche politische Kampf. Die Ansichten Christian Lindners zum Stabilitätspakt und zur deutschen Schuldenbremse sind dagegen zweitrangig. Mir ist bewusst, dass die Stimmen außerhalb Deutschlands von solchen Themen fast schon besessen sind. Aber die akute Krise Europas ist nicht die einer makroökonomischen Instabilität, sondern die des technologischen Niedergangs.

Die USA und China sind der EU in fast allen Hightech-Kategorien weit voraus. Dabei wird der globale Einfluss der EU weiter schwinden, wenn sie nicht mithalten kann. Strategische Autonomie wäre hier ein erster Schritt, um den Wettbewerb aufzunehmen. Sie sollten jedenfalls nicht glauben – wie einige in Brüssel – dass die EU die Welt durch Regulierung beeinflussen kann. Solange die EU selbst nicht auf dem Markt mitspielt, kann sie auch nicht zum Regulator der Welt werden.

Wir werden erst wissen, ob Europa erfolgreich war, wenn Politiker anfangen, Kryptowährungen als Chance und nicht als Bedrohung wahrzunehmen, wie sie es derzeit tun. Ich habe nicht einmal den Eindruck, dass Grüne und FDP schon so weit sind. Sie hängen einem Verständnis von altmodischer Modernität an. Immerhin sind ihre Parteivorsitzenden kompetent genug, um ein Selfie zu machen – im Gegensatz zu Olaf Scholz und Armin Laschet. Das ist schon mal ein Anfang.

Der Autor: Wolfgang Münchau ist Direktor von www.eurointelligence.com.

Mehr: Nicht die Inflation, sondern der Umgang mit ihr ist das Problem

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