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Gastkommentar Die Politik hätte besser auf die Pandemie vorbereitet sein können

Die Politik hat in der Coronakrise versagt – und sucht sich zahlreiche Ausflüchte, auch in der Zoologie. Empathie und ein klarer Blick wären wichtiger.
23.04.2020 - 19:30 Uhr 3 Kommentare
Miriam Meckel ist Gründungsverlegerin von ada in der Handelsblatt Media Group. Quelle: Frank Beer [M]
Die Autorin

Miriam Meckel ist Gründungsverlegerin von ada in der Handelsblatt Media Group.

(Foto: Frank Beer [M])

Es macht einen großen Unterschied, ob man einen schwarzen Schwan oder ein graues Rhinozeros vor sich hat – nicht nur was die akute Gefährdung des eigenen Lebens angeht. Vielmehr scheint es ein Leichtes, am schwarzen Schwan vorbei in die Zukunft zu schauen, während das Rhinozeros einem doch in seiner physischen Wucht den Blick verstellt.

Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt. Der schwarze Schwan gilt als Metapher für das Unvorhersehbare, für die große Krise, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Der US-Risikoanalyst Nassim Nicholas Taleb definiert in seinem gleichnamigen Buch den schwarzen Schwan als ein Ereignis, das durch drei Kriterien bestimmt wird: Es ist extrem selten, extrem wirkungsvoll und erst in der Retrospektive erklärbar.

In dieser Lesart hat sich das Tier auch als beliebtes Fabelwesen in der Zoologie der menschlichen Ausflüchte etabliert. Als anerkanntes Narrativ der Entscheidungen, die Menschen in Führungspositionen nicht treffen konnten, weil was da kam, einfach nicht absehbar war.

Meistens stimmt das gar nicht. Meistens ist durchaus absehbar, was da auf uns zukommt. Dann haben wir es nicht mit einem schwarzen Schwan zu tun, sondern mit einem Rhinozeros. Das steht dick und fett im Bild. Es zu sehen ist keine Frage des Könnens, sondern eine des Wollens.

Das gilt auch für Covid-19. Die Virusinfektion ist eben nicht der schwarze Schwan, auf den man nicht gefasst sein konnte, wie es die Beteiligungsgesellschaft Sequoia in einem gleichnamigen Beitrag formulierte. Man hätte wissen können. Nicht alles, aber vieles. Wenn man hingeschaut hätte. Eine Risikoanalyse der deutschen Bundesregierung aus dem Jahr 2012 hat eine umfassende Dokumentation zu einer möglichen „Pandemie durch Virus Modi-Sars“ vorgelegt.

Zusammenarbeit und Krisenmanagement

Das Robert Koch-Institut und weitere Bundesbehörden erarbeiteten ein Szenario mit sechs Millionen erkrankten Deutschen auf dem Höhepunkt der Krise. Natürlich spiegelt dieses „Maximalszenario“ nicht eins zu eins die aktuelle Entwicklung von Covid-19, aber sie ist das Rhinozeros, das seither unbeachtet im Raum stand.

US-Tech-Unternehmer Bill Gates warnte in einem „TED Talk“ 2015 vor einer Virusepidemie als größter Bedrohung für die Menschheit und kam zu dem Ergebnis: „Wir sind nicht darauf vorbereitet.“ Und US-Regierungsbehörden spielten erst 2019 ein groß angelegtes Szenario unter dem Decknamen „Crimson Contagion“ durch.

Es ähnelt erschreckend der Coronakrise: Ein neues Grippevirus wird von China aus durch Reisende in die USA importiert. 110 Millionen Erkrankte und fast 600.000 Tote sowie viele Mängel in der Zusammenarbeit und im Krisenmanagement der Behörden hätten Grund genug sein können, genauer hinzuschauen. Da stand es, das große graue Tier, direkt vor unseren Augen.

Die US-Autorin Michele Wucker beschreibt das Rhinozeros als Phänomen, das die Gefahren unserer Zeit verkörpert. Wer hinsieht, erkennt es. Dafür muss man den Blick schulen, aber auch die innere Bereitschaft, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Um auf es vorbereitet zu sein, bedarf es einiger Führungs- und Entscheidungskompetenzen, die in Krisenzeiten besonders wichtig werden: Gibt es jemanden, den man hinzuziehen kann, um vertrauensvoll miteinander zu reden und Entscheidungsszenarien durchzuspielen? Gibt es jemanden im Team, der einem sagt, was man selbst nicht hören möchte, aber unbedingt hören sollte? Und ist das eigene Team, das in die Entscheidung einbezogen wird, divers genug, um die Entscheidungswege aus unterschiedlichen Richtungen zu denken und auf die Probe zu stellen?

Führungsverständnis wichtig

Wer sich in einer Führungsposition diese Fragen mit „Ja“ beantworten kann, ist gut vorbereitet, um dem grauen Rhinozeros ins Auge zu sehen. Wer noch immer glaubt, Führung äußere sich am eindrucksvollsten durch einsame despotische Entscheidungen in einem Festakt der eigenen Großartigkeit, wird das Horn des Tieres alsbald zwischen den eigenen Rippen zu spüren bekommen.

Das Problem ist: Hat das Rhino erst einmal Schwung genommen, fegt es nicht nur die blinde Führungskraft hinweg, sondern auch viele Menschen, die ihr anvertraut sind. So gehen Unternehmen unter oder ganze Wirtschaftszweige brechen ein, wie es in der Finanzkrise ab 2008 zu erleben war. Auch da war kein schwarzer Schwan im Spiel.

Vielmehr dachten viele Beteiligte, sie könnten auf dem Rhinozeros mit vollen Taschen und in einem Vakuum der Verantwortungslosigkeit in die Abendsonne reiten. So entstehen aus Führungs- und Entscheidungskrisen systemische Risiken.

Auch diese Vertreter eines falschen Führungsverständnisses gilt es zu erkennen. In der Zoologie der menschlichen Ausflüchte sind sie der weiße Elefant. Ihn sehen alle, aber keiner traut sich so recht anzusprechen, dass er da ist. Ein Exemplar sitzt derzeit an der Spitze der Regierung der Vereinigten Staaten.

Und wir beobachten täglich, was es bedeutet, wenn ein Entscheider nichts von anpassungsfähiger Führungskultur versteht. Diese weißen Elefanten nähren sich nicht aus den Anfechtungen des nützlichen Widerspruchs, sondern beißen lieber die Hände ab, die sie wohlwollend füttern wollen. Wer widerspricht, wird entlassen.

Empathie und klarer Blick

Der US-Wissenschaftler Larry Brilliant, einer der weltweit führenden Epidemiologen, der unter anderem geholfen hat, die Pocken auszurotten, beschreibt Trumps Gebaren in der Krise sehr direkt als „das unverantwortlichste Verhalten eines gewählten Präsidenten, das ich in meinem Leben je gesehen habe“.

Wann immer es um die großen Krisen geht, die uns in der historischen und sozialen Revolution der Menschheitsgeschichte immer wieder befallen werden, brauchen wir Entscheider, die das Rhinozeros sehen können. Wir brauchen auch solche, die den weißen Elefanten nicht nur sehen, sondern sagen, dass er da ist.

Dafür bedarf es der Empathie, eines klaren Blickes und einer Anpassungsfähigkeit an neue Bedingungen. Auch für Führungspositionen gilt in Anlehnung an Charles Darwin: „Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern eher diejenige, die am ehesten auf Veränderungen reagiert.“

Mehr: Lange Zeit wurden nachhaltig wirtschaftende Unternehmen von Konkurrenten belächelt. Das sollte sich spätestens in diesen Krisenzeiten massiv ändern. Ein Kommentar.

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3 Kommentare zu "Gastkommentar: Die Politik hätte besser auf die Pandemie vorbereitet sein können"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Risikovorsorge war nicht, z.B. das Einlagern von Schutzmasken, als diese für Centbeträge zu haben waren.
    Das ist schlicht Politikversagen in der Kenntnis, dass globale Pandemien und ihr Aufkommen seit Jahren von Virologen diskutiert wurde.
    Das Verantwortungübernehmen für Fehlentscheidungen oder Nichthandeln von politisch Verantwortliche ist leider vollständig außer Mode gekommen und man bemüht Floskeln wie "nach vorne schauen, nicht zurück" und ähnliche sedierende Rhetorik.

  • Eine treffende Analyse. Leider in der Zuordnung von Verantwortlichkeiten etwas zu zurückhaltend. Man muss sich schon fragen, was ein Gesundheitsministerium im Bund mit 700 Mitarbeitern an Risk-Management so treibt. Spahn und Vorgänger bis 2012 sind Versager. Und das RKI hat sich im stillen Gehorsam unterwürfiger Höflinge geübt.

  • Exzellent, Frau Dr. Meckel - man hätte den Kern kaum besser herausarbeiten können. Danke für die Klarheit!

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