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Gastkommentar Die WTO braucht eine Runderneuerung

Mit der neuen Chefin Okonjo-Iweala hat die Welthandelsorganisation jetzt die Chance, weltweit bessere Regeln durchzusetzen, analysiert Renate Schubert.
08.04.2021 - 10:24 Uhr Kommentieren
Die Autorin ist Professorin für Nationalökonomie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und am Singapore ETH-Centre. Quelle: renate-schubert.ch
Renate Schubert

Die Autorin ist Professorin für Nationalökonomie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und am Singapore ETH-Centre.

(Foto: renate-schubert.ch)

Plötzlich scheint ein Happy End in Sicht. Im Februar wählten die WTO-Botschafter und -Botschafterinnen der 164 Mitgliedsländer einstimmig die nigerianische Ökonomin Ngozi Okonjo-Iweala zur Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO). Die Medien hatten ihren neuen Star gefunden: seit Gründung der WTO im Jahr 1994 die erste Frau auf diesem Posten und die erste Person aus Afrika. Berücksichtigt man, dass die WTO aus dem 1948 gegründeten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen hervorging, war die „Durststrecke“ noch viel länger.

Der berufliche Werdegang von Okonjo-Iweala ist in der Tat beeindruckend: Sie war über 20 Jahre Entwicklungsökonomin bei der Weltbank und diente ihrem Land seit 2003 als Finanz-, Wirtschafts- und Außenministerin. Dabei setzte sich die Nigerianerin als Kämpferin gegen die grassierende Korruption in Szene. Sie kennt viele Leiterinnen und Leiter anderer internationaler Organisationen persönlich; 2020 zählte das „Forbes“-Magazin sie zu den 50 einflussreichsten Afrikanerinnen. Was bedeutet ihre Wahl nun für die WTO und deren Zukunft?

Okonjo-Iweala betonte in ihrer Antrittsrede am 1.März, was sie schon früher hervorgehoben hatte: Die WTO müsse grundlegend reformiert werden, zunächst sei jedoch alles daranzusetzen, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie in den Griff zu bekommen. Deshalb sollten im Interesse ärmerer Länder vor allem die Ausfuhrbeschränkungen für Impfstoffe und andere Gesundheitsgüter aufgehoben werden.

Grundlegende Reformen benötigt die WTO ohne Frage. Schon seit Längerem schaffen es die Länder des Nordens und des Südens nicht mehr, gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Okonjo-Iweala muss daher wechselseitige Blockaden aufbrechen – und sie scheint gewillt, die Rahmenbedingungen des weltweiten Handels so zu gestalten, dass möglichst viele positive Effekte und möglichst wenige negative auftreten.

Nützlich ist es, dass Okonjo-Iweala dafür bekannt ist, sich nicht lange mit theoretischen Streitfragen aufzuhalten, sondern pragmatisch Lösungen zu suchen und zu finden. Mit ihrer Tatkraft, die sie bislang bewiesen hat, könnte die Zeit der WTO als zahnloser Tiger bald vorbei sein.

Zahnlos war die WTO zuletzt auch bei einer ihrer zentralen Aufgaben, dem Schlichten von Handelsstreitigkeiten. Die zuständige Berufungsinstanz, der „Appellate Body“, besteht seit Dezember 2019 nur noch aus einer Person und ist arbeitsunfähig. Der Grund: Die USA waren nicht mehr damit einverstanden, wie das WTO-Berufungsgericht Handelskonflikte entschied. Deshalb blockierte Washington die Wahl neuer Richterinnen und Richter.

Ein neues Procedere für den Umgang mit Streitfällen zu finden dürfte daher eine Kernaufgabe der WTO-Generaldirektorin sein. Nur mit geänderten Verfahrensregeln kann sichergestellt werden, dass Länder, die mit dem Ergebnis von WTO-Schlichtungsverfahren unzufrieden sind, die Umsetzung der Schlichtung nicht mehr nach Gutdünken hinauszögern können. Okonjo-Iweala wird dieses unwürdige Schauspiel hoffentlich bald beenden und der WTO die Kraft zurückgeben, die sich aus der wirksamen Androhung von Strafen ergibt.

Ist China eine Marktwirtschaft?

Eine wohl ebenso wichtige Aufgabe der neuen Generaldirektorin besteht darin, China, das 2001 der WTO beitrat, an die geltenden Regeln zu binden. Die Volksrepublik ist gemäß den Beitrittsregeln eigentlich seit Ende 2016 als „Marktwirtschaft“ zu behandeln – obwohl die Mehrheit der chinesischen Unternehmen nach wie vor subventionierte Staatsbetriebe sind und wohl auch bleiben werden.

Dass andere WTO-Mitgliedsländer das Land daher mit Zöllen und anderen protektionistischen Maßnahmen belegen, wirkt nachvollziehbar und zulässig, da die Anerkennung Chinas als Markwirtschaft keine konkreten Folgen in China zeitigte. Chinas laxer Umgang mit geistigem Eigentum oder der erzwungene Technologietransfer bei ausländischen Direktinvestitionen rechtfertigt protektionistische Maßnahmen.

Offen ist aber, wie lange China sich das noch bieten lassen wird und ob Peking nicht etwa das Ende 2020 mit der EU abgeschlossene Investitionsabkommen als „Beweis“ dafür ins Feld führen könnte, dass sich das Land marktwirtschaftlich verhalte. Ein kluges Bekenntnis, China als Marktwirtschaft anzuerkennen, die Anerkennung aber gleichzeitig von kontrollierbaren Rahmenbedingungen abhängig zu machen, dürfte für die künftige Relevanz der WTO von zentraler Bedeutung sein.

Sollte Okonjo-Iweala die WTO-Mitglieder nicht auf einen angemessenen Umgang mit China einschwören können, besteht die Gefahr, dass die Organisation ein Papiertiger wird und im internationalen Handel dem Bilateralismus Tür und Tor geöffnet wird. Aktuelle Tendenzen im Umgang mit der Covid-19-Krise gehen bereits in diese Richtung. Nationale Alleingänge statt globaler Austausch sind gerade „in“. Hier müsste die WTO massiv dagegenhalten und die Vorteile des weltweiten Handels deutlich machen.

Die EU propagiert eine strategische Autonomie

Das dürfte allerdings schwer werden. So propagiert die Europäische Union eine „strategische Autonomie“, mit der sie sich zwar grundsätzlich für globalen Handel ausspricht, aber immer dann selektiv bilaterale Abkommen abschließen will, wenn man sich „unfair“ behandelt fühlt. Das unlängst mit China vereinbarte Investitionsabkommen der EU weist in diese Richtung – und verdeutlicht gleichzeitig die Problematik solcher Alleingänge, denn das Abkommen ist für China deutlich vorteilhafter als für die EU. So gesehen wäre die EU gut beraten, sich für eine rasche und grundlegende Reform der WTO einzusetzen und die neue Generaldirektorin zu unterstützen.

Okonjo-Iweala hat bereits erklärt, erstmals verbindliche WTO-Regeln für den digitalen Handel erarbeiten zu wollen. Das ist überfällig. Die Covid-19-Pandemie hat für eine Beschleunigung der Digitalisierung gesorgt. Außerdem will die WTO-Chefin mit dem bisherigen Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen über Handelsstreitigkeiten brechen. Dieses Prinzip hatte in der Vergangenheit immer wieder Entscheidungen über Marktöffnungen oder den Abbau von Handelshemmnissen unmöglich gemacht.

Möglicherweise muss sie noch einen Schritt weiter gehen und Wege finden, über die Handelsstreitigkeiten zwischen „den Großen“, namentlich China und den USA, anders behandelt werden als zwischen anderen Mitgliedern. Letzteren geht es ja eher weniger um die Vormachtstellung ihres Systems und Machtdemonstrationen, sondern darum, die Bevölkerung mit möglichst vielen und qualitativ hochwertigen internationalen Gütern zu versorgen.

Deutschland äußerte sich erfreut über die Berufung der neuen WTO-Generaldirektorin. Mit ihr, so meinte der Bundeswirtschaftsminister, dürften künftig mehr Handelsbeschränkungen wegfallen – was für ein exportorientiertes Land wie Deutschland natürlich attraktiv ist. Aber werden Deutschland und die EU auch bereit sein, Okonjo-Iwealas Kritik an der Subventionierung des Agrar- und Fischereibereichs Rechnung zu tragen? Im Interesse einer gestärkten WTO und ihrer neuen Chefin jedenfalls müssten auch diese Handelsbarrieren fallen.
Die Autorin: Renate Schubert ist Professorin für Nationalökonomie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und am Singapore ETH-Centre.

Mehr: WTO verbreitet Hoffnung: Welthandel legt wieder zu.

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