
Christian Frommert kam 2005 als Leiter der Sponsoring-Kommunikation zur Telekom-Tochter T-Mobile, später bekleidete er diesen Posten auch bei der Muttergesellschaft. Bis zum Ausstieg des Konzerns aus dem Radsport-Sponsoring Ende November 2007 war er auch für die Kommunikation der Radsportmannschaft von T-Mobile verantwortlich.
Heute geht es bei der Tour de France 2012 erstmals in die Berge, gleich mit einem Anstieg der höchsten Kategorie. Bei jener Radrundfahrt also, auf die einst auch hierzulande alle drei Sommerwochen lang viele abfuhren und die Herzen selbst der höher schlagen ließ, die ansonsten nicht allzu viel anfangen konnten mit Ausreißern und Peloton, Flamme Rouge oder Red Polka Dot Jerseys. Etappe 10 verspricht Spannung: Kann Cadel Evans einen Angriff auf Spitzenreiter Wiggins starten? Oder kommt Christopher Froome heran? Oder fällt die Entscheidung eine Woche darauf, auf der Königsetappe, einst Feiertag der Pedaleure, der Tag, an dem der Tour aufs Dach gestiegen wird? In Deutschland bekommt es kaum noch jemand mit.
Und nun, ausgerechnet in dieser Situation, zwei Jahre nachdem die letzte Etappe für ein Team aus hiesigen Gefilden in Paris zu Ende ging, denkt das Pharma- und Kosmetikunternehmen Dr. Wolff daran, unter seiner Marke „Alpecin“ wieder ein deutsches Team an den Start zu bringen? Eines zumindest mit maßgeblich sportlichem wie wirtschaftlichem Einfluss aus dieser Republik der Profi-Radsport-Ignorierer?
Auf 20 Etappen und dem Prolog werden insgesamt 3.497 Kilometer gefahren. Es gibt 37 Start- bzw. Ankunftsorte. 765 Städte und Dörfer werden insgesamt in drei Ländern durchquert (695 in Frankreich, 52 in Belgien, 18 in der Schweiz).
Während der Tour sind zehn Notärzte, eine Narkoseschwester, sieben Krankenwagen, zwei Notarztwagen und ein Motorrad im Einsatz.
47 Motorradpolizisten sind im Einsatz, dazu 13 Beamte, die den permanenten Polizeiausschuss bilden. An den Strecken werden insgesamt 23.000 lokale Einsatzkräfte mobilisiert.
2011 waren 2.300 Medienvertreter von 700 verschiedenen Parteien akkreditiert. Darunter befanden sich 320 Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Website, 100 TV-Sender, 80 Fotoagenturen und 70 Radiostationen. Die Fernsehbilder werden in 190 Länder übertragen, neu dabei sind 2012 Albanien, Kanada und die Mongolei. 2011 gab es weltweit 4.700 Stunden Berichterstattung und 3,5 Milliarden Zuschauer.
Es gibt 43 Partnerunternehmen, davon sechs neue. Eine Auswahl: Vier sind so genannte Club-Partner, neun offizielle Partner, 14 offizielle Lieferanten, sieben technische Partner und fünf offizielle Unterstützer.
Rund 12 Millionen Zuschauer werden sich das Spektakel vor Ort ansehen, davon sind 65 Prozent männlich, 55 Prozent unter 50 und 80 Prozent aus Frankreich. 38 Nationalitäten sind vertreten - und 95 Prozent der Zuschauer kommen nicht allein.
Von den Hoch-Zeiten eines Jan Ullrich, Erik Zabel oder Andreas Klöden ist nicht mehr viel geblieben. Tief sind die diversen Doping-Affären nicht nur um Deutschlands einstigen Vorzeigeradler Jan Ullrich ins Gedächtnis einer peinlich-berührten Öffentlichkeit eingegraben. Lance Armstrong, Floyd Landis, Alberto Contador und Co. haben das Bild nicht mehr schlimmer, nur noch skurriler werden lassen. Und ARD und ZDF sind längst ausgestiegen aus der Liveübertragung, einzig Eurosport bereitet der Tour noch die Bühne.
Ist die Tour deshalb tot? Mitnichten! Diese Ikone einer ganzen Bewegung liefert heute wie damals Geschichten, Dramen, Epen, Komödien, Heroen, Versager – sie erfüllt all das, nachdem sich PR-Experten geradezu sehnen: Sie ist entweder im Gespräch oder im Gerede. Sie ist in und out, wird geliebt und verabscheut. Egal ist die Tour niemandem.
Auch nicht der deutschen Radsport-Gemeinde. Einer, die immer stärker wird: Nichts treibt die teilweise finanziell üppig ausgestatteten Hobbyathleten stärker an und um und schließlich in den Handel und die Fachgeschäfte hinein, wie der Radsport. Längst sind die Jogger im Ranking der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen abgehängt. Die Veranstalter von Velomarathons, Cyclassics und Co. werden von Anfragen mehr oder manchmal auch weniger ehrgeizbeseelter Pedaleure nach Startplätzen geradezu überrollt.

1 Kommentar zu "Gastkommentar: Die Zeit ist überreif für ein neues Radsportteam"
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Christian Frommert liegt mit seiner Einschätzung des Stellenwerts des Straßenradsports in Deutschland meiner Meinung nach vollkommen richtig. Immer mehr Frauen und Männer widmen sich aktiv, ob in Wettkämpfen, RTFs oder auch "nur" so zum Spaß dem faszinierenden Erlebnis, sich fast lautlos an frischer Luft Roll- und Luftwiderstand sowie der Hangabtriebskraft mehr oder weniger erfolgreich zu widersetzen. In einer alternden Bevölkerung bietet dieser Sport geradezu ideale Bedingungen, gesundheitsfördernden Sport zu betreiben, ohne sich stetig bis zur K-Grenze zu belasten. Außerdem gibt es kaum eine andere Bewegungssportart, bei der Leistungen nicht von vornherein durch das Lebensalter oder das Geschlecht limitiert werden. Beim Hobbyradsport zeigt selbst der gut trainierte 76-jährige so manchem 25- jährigen das Hinterrad.
Dass Hobbyfahrer und Amateurlizenzfahrer/innen sich auch für das Profigeschehen interessieren ist dabei selbstverständlich. Auch wenn sie überwiegend Doping verurteilen, übt die Profiszene in vielfältiger Hinsicht auf sie einen großen Reiz aus, auch wenn man inzwischen manche Leistungen zu relativieren weiß. Vor diesem Hintergrund empfinde ich es als skandalös, dass sich die Macher des öffentlichrechtlichen Fernsehens nach wie vor weigern, ihrer Informationspflicht gegenüber dem Gebührenzahler nach zu kommen und von radsportlichen Großereignissen auch live zu berichten. Anderen Dauerleistungssportarten wie Biathlon, Skilanglauf und Leichtathletik widmet man Sendezeit ohne Ende. Doping als Thema ist dort nahezu tabu, obwohl jeder Kundige weiß, dass der einzige Unterschied zum Profiradsport in dieser Beziehung nur in der Kontrolldichte und der Kontrollqualität liegt. Es ist geradezu grotesk, dass ausgerechnet die Sportart boykottiert wird, in der in den letzten Jahren am intensivsten gegen Doping vorgegangen worden ist.