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GastkommentarDynamische Stromtarife werden für Anbieter zur Herausforderung

Ab 2025 müssen alle Energieproduzenten und -lieferanten in Deutschland dynamische Stromtarife anbieten. Vor allem die Stadtwerke könnten sich damit schwertun, meint Marion Nöldgen. 27.08.2024 - 04:16 Uhr Artikel anhören
Die Autorin Marion Nöldgen ist Gründerin des Unternehmens Clear‧impact. Zuvor war sie Deutschlandchefin des Energielieferanten Tibber. Foto: imago / privat [M]

Dynamische Stromtarife sind derzeit in aller Munde. Dabei handelt es sich um Tarife, bei denen sich der Preis pro Kilowattstunde (kWh) nach dem tagesaktuellen Preis an der Strombörse richtet. Das bedeutet: Wenn viel Strom verfügbar ist, sinken die Preise; übersteigt die Nachfrage das Angebot, steigen die Kosten.

Solche Tarife sind für Deutschland unverzichtbar, wenn das selbst gesteckte Ziel erreicht werden soll, den Stromverbrauch vollständig aus erneuerbaren Energien zu decken. Der Ertrag aus Solar- und Windenergie ist weder planbar noch steuerbar. Daher ist es am effizientesten, den Strom dann zu verbrauchen, wenn er gerade verfügbar ist, und das soll über ein direktes Preissignal geregelt werden.

Die Umstellung auf dynamische Tarife bedeutet erhebliche Veränderungen im operativen Geschäft

Seit etwa vier Jahren gibt es dynamische Stromtarife für Haushalte in Deutschland, bisher meist angeboten von Start-ups. Doch das reicht nicht aus, um den notwendigen flächendeckenden Effekt zu erzielen. Die Bundesregierung hat daher im Rahmen des Gesetzes zum Neustart der Energiewende beschlossen, dass alle Stromanbieter in Deutschland – darunter auch die rund 900 Stadtwerke – ab 2025 verpflichtet sind, dynamische Tarife anzubieten.

Die Umstellung auf dynamische Tarife wird erhebliche Veränderungen im operativen Geschäft der Stadtwerke nach sich ziehen. Derzeit bieten die meisten Stadtwerke ihren Haushaltskunden zwölfmonatige Verträge mit einem festen kWh-Preis an. Das bedeutet, sie wissen im Voraus, zu welchem Preis sie welche Strommenge verkaufen, und können ihre Beschaffung entsprechend planen.

Einmal im Jahr wird überprüft, wie viel Strom tatsächlich verbraucht wurde – entweder durch einen Mitarbeiter, der den Zähler abliest, durch die Selbstablesung der Kunden oder durch Schätzungen. Auf dieser Basis erhalten die Kunden ihre Jahresabrechnung mit einer eventuellen Nachzahlung oder Gutschrift.

» Lesen Sie auch: Wie Sie mit Tibber und Co. am negativen Strompreis verdienen

Dynamische Tarife hingegen erfordern eine völlige Umstellung dieses Prozesses. Plötzlich spielt es eine Rolle, wann genau welche Strommenge verbraucht wurde, da sich der Preis kontinuierlich verändert. Anstatt einmal jährlich einen Zählerstand zu erfassen, müssen Datenströme täglich automatisiert verarbeitet werden, die sowohl den Verbrauch als auch den Zeitpunkt des Verbrauchs abbilden. Diese Daten müssen dann mit dem aktuellen Marktpreis abgeglichen werden, um eine präzise Abrechnung zu gewährleisten. Statt monatlicher Abschläge und einer groben Jahresabrechnung wird dies zu einer monatlichen Herausforderung, die höchste Präzision erfordert.

Bislang war Strom für den Kunden ein klassisches „Low-Involvement-Produkt“ – das ist nun vorbei

Bislang war Strom ein klassisches „Low-Involvement-Produkt“, mit dem sich Kunden kaum beschäftigen. Das bedeutete auch, dass der Kundenservice schlank aufgestellt werden konnte. Bei einem Produkt mit dynamischen Preisen und monatlicher Abrechnung wird der Aufwand in der Kundenbetreuung erheblich steigen. Und das, bevor überhaupt technische Innovationen wie Echtzeitdarstellungen des Verbrauchs oder die Anbindung von E-Autos und Wärmepumpen berücksichtigt wurden. Jahresverträge mit dynamischen Preisen sind zudem aus Verbraucherschutzgründen schwer umsetzbar. Die Planbarkeit für die Stadtwerke entfällt weitgehend, was die Strombeschaffung erheblich komplexer macht.

Es stehen also gerade etwa 900 Stadtwerke von der Entscheidung, wie genau sie die Einführung von dynamischen Tarifen umsetzen wollen. Ein Weg sind Kooperationen. Die Stadtwerke Wuppertal beispielsweise setzen auf akademische Unterstützung und haben bereits 2015 ein Projekt mit der Universität Wuppertal gestartet, um Flexibilitätspotenzial für Industrie, Kleingewerbe und Haushalte in ihrem Gebiet zu heben. Die Stadtwerke in Halle bieten einen dynamischen Tarif in Zusammenarbeit mit dem Ökoenergieanbieter Rabot Charge an.

Ob weitere Anbieter dynamischer Tarife ihre Vorreiterrolle nutzen und in Zukunft auch als Tech-Anbieter für Stadtwerke fungieren, bleibt abzuwarten.

Die kommenden Monate werden entscheidend sein, ob und wie die Stadtwerke die Herausforderungen meistern und ob innovative Lösungsansätze neue Wege in der Energiebranche eröffnen werden.
Marion Nöldgen

Aber es gibt auch Unternehmen mit neuen Ideen, zum Beispiel Exnaton, gegründet 2020 als Spinn-off eines ETH-Zürich-Projekts. Es bietet eine Plattform an, die Energieunternehmen befähigt, dynamische Stromtarife als „Plug-and-Play-Lösung“ anzubieten.

Aus dem Gesetz zum Neustart der Energiewende geht nicht eindeutig hervor, was passiert, sollten sich Stadtwerke und andere Anbieter nicht an die Pflicht zur Einführung dynamischer Tarife halten. Bußgelder drohen wohl nur im äußersten Fall. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, ob und wie Stadtwerke diese Herausforderung meistern und ob innovative Lösungsansätze neue Wege in der Energiebranche eröffnen werden.

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Die Autorin:
Marion Nöldgen ist Gründerin des Unternehmens Clearimpact. Zuvor war sie Deutschlandchefin des Energielieferanten Tibber.

Mehr: Wie viel Strom verbrauchen die Deutschen?

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