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GastkommentarEine lose Schuldenbremse zementiert die Ineffizienz des Staates

Die Kommission zur Reform der Schuldenbremse hat die Arbeit aufgenommen. Neue Milliarden klingen nach Aufbruch – doch sie täuschen über Strukturprobleme hinweg, meint der Ökonom Jörg Rocholl. 22.09.2025 - 18:05 Uhr Artikel anhören
Jörg Rocholl ist Präsident der ESMT Berlin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Foto: Moment/Getty Images

In der letzten Woche kam erstmals eine 15-köpfige Kommission aus Politik und Wissenschaft zusammen, um über eine mögliche Reform der Schuldenbremse zu beraten. Bisher ist über diese Beratungen nichts nach außen gedrungen. Die Erwartungen sind immens, denn die Haushaltslöcher für die kommenden Jahre werden immer deutlicher. Viele sehen in einer Lockerung der Schuldenbremse den Königsweg, um dringend benötigte Spielräume für Investitionen zu schaffen. Die Rechnung klingt verlockend: weniger strikte Haushaltsregeln, mehr Investitionen, mehr Wachstum. Doch dieser Zusammenhang hält einer genaueren Betrachtung nicht stand.

Die jüngere Vergangenheit zeigt bereits, dass zusätzliche Verschuldungsmöglichkeiten nicht automatisch zu höheren Investitionen führen. Teile des Sondervermögens aus dem Frühjahr werden vielmehr als Verschiebebahnhof genutzt: Investitionen, die ursprünglich im Kernhaushalt vorgesehen waren, wanderten dorthin. Der frei gewordene Spielraum im Kernhaushalt eröffnete neue Möglichkeiten, andere politische Wünsche zu finanzieren.

» Lesen Sie auch: Gefährdet Deutschland seinen Ruf als sicherer Hafen?

Selbst wenn frisches Geld tatsächlich für Investitionen vorgesehen wird, ist keineswegs garantiert, dass es effizient eingesetzt wird. Deutschland leidet seit Jahren unter trägen Strukturen, komplexen Verfahren und geringer Umsetzungskraft. In einem solchen Umfeld droht jeder zusätzliche Euro eher bestehende Ineffizienzen zu zementieren, als neue Dynamik zu entfalten. Investitionen müssen Wirkung entfalten, das bloße Bereitstellen von Geld reicht dafür nicht aus.

Ein Blick nach Frankreich zeigt zudem, welche Gefahren dauerhaft hohe Defizite bergen. Dort haben wachsende Haushaltslöcher dazu geführt, dass die Kontrolle über den Staatshaushalt zunehmend verloren geht. Deutschland ist dank der Konsolidierung der letzten 15 Jahre zwar weit entfernt von einem solchen Szenario. Doch auch hierzulande steigt besonders über die Sondervermögen die Verschuldung. Der Übergang von solider zu unsolider Finanzpolitik kann abrupt erfolgen – und verloren gegangenes Vertrauen ist nur schwer zurückzugewinnen.

Die besondere Verantwortung Deutschlands

Deutschland trägt zudem eine besondere Verantwortung. Als größte Volkswirtschaft Europas genießt es eine Ankerfunktion für den gesamten Kontinent. Gerade in Krisenzeiten richtet sich der Blick der Investoren unweigerlich nach Berlin. Wer jetzt leichtfertig die Verschuldung ausweitet, gefährdet nicht nur die eigene Stabilität, sondern auch die europäische Zukunft. Ein stabiles, verlässliches Deutschland ist im Interesse aller – und sollte im Mittelpunkt jeder Debatte über die Schuldenbremse stehen.

Gleichzeitig dürfen wir die eigentlichen Motoren des Wachstums nicht übersehen. Weltweit findet ein Investitionswettlauf privater Unternehmen in Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz, grüner Transformation und Biotechnologie statt. Diese Investitionen sind bereits heute ein Vielfaches höher als die staatlichen. Die entscheidende Frage lautet daher: Wie gelingt es, diese Kräfte zu mobilisieren und mit klugen Rahmenbedingungen zu verstärken?

Staatliche Investitionen bleiben wichtig, doch sie entfalten ihre volle Wirkung nur im Zusammenspiel mit einem starken privaten Sektor. Die deutsche Politik täte gut daran, den Fokus stärker auf die Hebelung privater Mittel zu legen – anstatt auf neue Schulden. Effizienzsteigerungen im öffentlichen Sektor, verlässliche Rahmenbedingungen für Unternehmen und gezielte Anreize können weit mehr bewirken als ein Aufweichen der Schuldenbremse.

Schwierige Aufgabe für die Kommission

Die Kommission zur Reform der Schuldenbremse steht vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss zwischen dem nachvollziehbaren Wunsch nach Investitionen und der Notwendigkeit fiskalischer Stabilität vermitteln. Deutschland hat sich durch die Konsolidierung der letzten 15 Jahre eine robuste Ausgangslage erarbeitet, die es von anderen Industriestaaten positiv abhebt.

Deutschland war sowohl in der globalen Finanzkrise als auch in der Coronapandemie in der Lage, kurzfristig enorme zusätzliche Mittel bereitzustellen – und zwar gerade deshalb, weil zuvor solide gewirtschaftet wurde. Diese Stabilität ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer klaren fiskalischen Linie. Wer sie jetzt ohne Not aufgibt, riskiert nicht nur die finanzielle Zukunftsfähigkeit des Landes, sondern auch seine Rolle als Stabilitätsanker in Europa.

Deutschland braucht Investitionen. Diese sollten durch bessere Prioritätensetzung, höhere Effizienz und die Mobilisierung privater Kräfte vorangetrieben werden. Die Kommission wäre gut beraten, diese Perspektive in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen – und die Stabilität, die Deutschland auszeichnet, nicht aufs Spiel zu setzen.

Der Autor: Jörg Rocholl ist Präsident der ESMT Berlin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.

Verwandte Themen Deutschland Berlin Schuldenbremse Europa Wirtschaftspolitik

Mehr: Wie sich mehr privates Kapital für Wachstum mobilisieren lässt

Erstpublikation: 22.09.2025, 03:59 Uhr.

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