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Gastkommentar Eine neue Idee für die Innenstadt muss her

Wir brauchen eine konzertierte Aktion, um Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitgestaltung besser miteinander zu vereinbaren, meint Josef Sanktjohanser.
20.06.2021 - 16:06 Uhr 1 Kommentar
Josef Sanktjohanser ist Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE). Quelle: HC Plambeck
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Josef Sanktjohanser ist Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE).

(Foto: HC Plambeck)

Nach Monaten der Entbehrung und der sozialen Isolation entlässt uns Corona allmählich aus seinem Zangengriff. Zögerlich kehrt das Leben in unsere Städte zurück. Doch auch wenn der Rückgang der Inzidenzen Anlass zur Hoffnung gibt, ist die Coronakrise noch lange nicht ausgestanden. Sie wird unsere Gesellschaft über Jahre hinaus auf eine Belastungsprobe stellen.
Die Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie ist für sich genommen bereits eine Jahrhundertaufgabe. Gleichzeitig hat die Coronakrise weitere Schwächen unseres Systems unübersehbar gemacht – beispielsweise die Defizite bei der Digitalisierung.

Damit ist auch der politische Handlungsrahmen für die nächste Legislaturperiode nach der Bundestagswahl im September abgesteckt: Es wird darum gehen, einen kraftvollen wirtschaftlichen Neustart nach der Krise zu ermöglichen.

Um diese enorme Anpassungsleistung erfolgreich meistern zu können, sind wir auf ein solides wirtschaftliches Fundament ebenso angewiesen wie auf eine stabile Gesellschaft. Umso beunruhigender ist, dass die gesellschaftlichen Fliehkräfte nicht erst seit Corona und dem Aufkeimen der „Querdenker“-Bewegung zunehmen.

Das Erstarken populistischer Kräfte ist dabei nur ein Symptom für die um sich greifende Polarisierung einer Gesellschaft, die zunehmend in unversöhnliche Filterblasen zerfällt. Mit „Die Gesellschaft der Singularitäten“ beschreibt der Soziologe Andreas Reckwitz treffend diesen umfassenden Strukturwandel.

Demokratie ist nicht nur Wählen

Unsere Demokratie erschöpft sich nicht darin, an Wahlen teilzunehmen. Sie lebt vom Engagement und von der Begegnung der Bürgerinnen und Bürger über soziale, weltanschauliche und kulturelle Unterschiede hinweg. Solche Begegnungen entstehen in Kultureinrichtungen und Sportvereinen, in Kiezläden oder Eckkneipen.
In unseren Innenstädten oder Ortskernen kommen Menschen aus unterschiedlichen Milieus und sozialen Schichten zusammen. Deutlich wie nie haben uns die Lockdowns vor Augen geführt, wie sehr unser gesellschaftliches Miteinander öffentliche Räume braucht.

Ebenso unübersehbar ist jedoch, dass viele dieser Begegnungsräume durch die Corona-bedingten Einschränkungen noch stärker unter Druck geraten sind. Wenn Geschäfte und Gastwirtschaften infolge der Lockdowns reihenweise schließen müssen, verlieren Innenstädte ihre Bedeutung, sie verlieren ihre soziale Qualität und Attraktivität.
Corona stellt den Innenstadthandel vor eine nie da gewesene Herausforderung. Er hat im Zuge der Lockdowns in dramatischem Umfang Marktanteile verloren. Zuletzt lag das Umsatzminus im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit bei rund 60 Prozent.

Gleichzeitig wachsen die Onlineumsätze. Im Nicht-Lebensmittelhandel werden bereits knapp 20 Prozent der Erlöse über das Internet erzielt. Auch in Leitbranchen der Innenstädte wie dem Bekleidungshandel steigt der Onlineanteil rasant – 2020 auf fast 40 Prozent.
Um langfristig zu überleben, wird der Handel seine Geschäftsmodelle diesen Entwicklungen anpassen und sich auf ein verändertes Einkaufsverhalten einstellen müssen. In einer Reihe von Innenstädten dürfte der stationäre Handel seine prägende Rolle einbüßen. Deshalb brauchen wir eine neue Idee von Innenstadt.

Wir brauchen neue Ideen für die Innenstädte

Der von der Digitalisierung hervorgerufene strukturelle Wandel erfordert eine grundlegende Metamorphose, die das Nebeneinander der verschiedenen Akteure der Stadtgesellschaft wieder zulässt. Vielerorts behindern allzu starre baurechtliche Vorgaben und hohe Mietpreise in den 1A-Lagen die notwendige Nutzungsmischung aus Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Dienstleistungen, Freizeitgestaltung und Kultur.

Ohne diese Vielfalt und Durchmischung drohen unsere Innenstädte bestenfalls zu Museen ohne echtes Leben zu mutieren, im schlimmsten Fall zu Geisterstädten.

Wenn wir die Verödung und damit den Identitätsverlust unserer Innenstädte verhindern wollen, müssen nun alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Spätestens nach der Bundestagswahl brauchen wir eine konzertierte Aktion Innenstadt, in der Bund, Länder und Kommunen ihre Kräfte bündeln und eine Investitionsoffensive zur Revitalisierung von Innenstädten, Ortskernen und Stadtteilzentren starten. Die konkrete Umsetzung vor Ort sollte in enger Abstimmung mit den Akteuren der Stadtgesellschaft erfolgen.

Es geht bei der Aktion um zusätzliche finanzielle Mittel, wie die zurzeit von der Koalition in Aussicht gestellten 200 bis 300 Millionen Euro, sowie die rasche Umsetzung passgenauer Innenstadtprojekte. Hierzu hat der Handelsverband Deutschland mit den kommunalen Spitzenverbänden im Mai den ersten zertifizierten Best-Practice-Datenpool, die sogenannten Stadtimpulse, aufgebaut, um sich gegenseitig zu unterstützen und voneinander zu lernen.

Zudem müssen die Rahmenbedingungen für die gewünschte Metamorphose der Innenstädte zu multifunktionalen Orten konkret verbessert werden. Das direkte Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen muss wieder zum typischen Merkmal der Innenstädte werden.

100.000 Einzelhandelsgeschäfte sind bedroht

Damit sich das urbane Leben in der Post-Corona-Zeit wieder voll entfalten kann, müssen vor allem Handel und Gastronomie – die beiden Branchen, die von den Lockdowns besonders hart getroffen wurden – massiv gestärkt werden. Über 100.000 Einzelhandelsgeschäfte sind infolge der Krise in ihrer Existenz bedroht. Sie sind nach den monatelangen Lockdowns wirtschaftlich so ausgezehrt, dass sie notwendige Zukunftsinvestitionen aus eigener Kraft kaum stemmen können.

Corona hat wie ein Zeitraffer für den digitalen Strukturwandel im Handel gewirkt und das Verbraucherverhalten nachhaltig verändert. Damit der stark mittelständisch geprägte Innenstadthandel in der durch Corona beschleunigten digitalen Transformation nicht den Anschluss verliert, braucht er Unterstützung bei der Neuausrichtung seiner Geschäftsmodelle.

Das Investitionsprogramm zur Revitalisierung der Innenstädte sollte daher auf zwei Pfeilern stehen: einem Innenstadtfonds, aus dem eine leistungsfähige Infrastruktur für die Stadt von morgen finanziert wird, und einem Digitalisierungsfonds, der durch die Coronakrise unverschuldet in Not geratenen Handelsunternehmen mit Zuschüssen bei der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen unter die Arme greift.

Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung ist es für unser demokratisches Gemeinwesen elementar, öffentliche Räume und Alltagsorte der Begegnung zu stärken. Nach den Lockdowns sind unsere Innenstädte mit ihrem Mix aus Wohnen, Arbeiten, Handel, Gastronomie und Kultur mehr denn je in ihrer Vielfalt bedroht. Damit steht nicht zuletzt auch ein europäisches Kulturgut zur Disposition, um das uns viele auf der Welt beneiden.

Unsere Innenstädte zu revitalisieren und die Stadt von morgen zu gestalten, ist von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Das wird eine der zentralen politischen Aufgaben nach der Bundestagswahl werden.

Der Autor: Josef Sanktjohanser ist Präsident des Handelsverbands Deutschland.

Mehr: Ringen um Staatshilfe für Galeria Karstadt Kaufhof.

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1 Kommentar zu "Gastkommentar: Eine neue Idee für die Innenstadt muss her"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Der Kommentar erhält leider kein Wort zu immer radikal werdenden Anti-Autopolitik in den Städten. Wie es aussieht, hat sich wohl auch der Handelsverband dem Zeitgeist ergeben. Die "Anti-Autopolitik-Radikalen" gehen mittlerweile soweit das Auto vollkommen in der Innenstadt zu verbieten, was ein großer Fehler wäre.
    Ich gehöre zu sogenannten Babyboomer-Generation und in 10 Jahren werde die Alten die Mehrheit in Deutschland stellen. Wer jetzt mit riesigen Infrastrukturinvestitionen die Städte zugunsten Fahrrad und ÖPNV umbaut und die Parkplätze an den Stadtrand verlagert, wird in 10 Jahren wieder alles zurückbauen müssen. Die Politik glaubt doch nicht im Ernst, dass hunderte alter Menschen Park+Ride machen und sich mit ihren Rollatoren in überfüllte Busse und Straßenbahnen zwängen - das ist eine Illusion!!! Auch die Ökoradikalen werden alt und eines Tages auf das Auto (natürlich das Elektroauto) angewiesen sein. Wer jetzt die Innenstadt erneuern will, der muss zuerst an die Alten denken und erst in zweiter Linie an die Träume und Wünsche der Ökohipster-Elite, die die öffentliche Meinung zur Zeit dominiert.

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