Gastkommentar Es liegt an Deutschland, Europa von der EZB-Geldpolitik zu befreien

Der französische Kolumnist und Ökonom Guillaume Duval fordert in der Strategiedebatte der EZB die Deutschen zur Kursänderung auf.
Liebe Nachbarn und Freunde, noch vor dem Amtsantritt von Christine Lagarde hat die Europäische Zentralbank (EZB) einen Neustart des „Quantative Easing“ (QE) angekündigt, also der Politik, die der europäischen Wirtschaft Liquidität zuführen und das Wachstum stützen soll. Diese Nachricht sorgte für Aufruhr in Deutschland. Und es ist berechtigt, die Geldpolitik der EZB scharf zu kritisieren.
Diese Politik ist sehr ungerecht. Sie trifft die Ersparnisse der Armen und der Mittelschichten, die mittlerweile immer häufiger sogar mit Negativzinsen belegt werden, während sie gleichzeitig die Preise von Immobilien und Aktien erhöht. In Deutschland wie auch anderswo besitzen die Reichsten den größten Teil dieser Vermögen. Die Ungleichheiten auf diesem Gebiet sind überall viel ausgeprägter als bei den Einkommen.
Die Politik der EZB erlaubt es den sehr Reichen, große Kapitalgewinne zu erzielen, wenn sie Vermögenswerte verkaufen. Der damit einhergehende Anstieg der Immobilienpreise erschwert, trotz niedriger Zinsen, den Zugang zum Wohneigentum für diejenigen, denen es an Vermögen mangelt.
Er treibt auch die Mieten in die Höhe und mindert die Kaufkraft der Mieter. Und die Spekulanten und Vermittler auf den Finanzmärkten – genau die, die uns 2008/09 an die Wand gefahren haben! – erzielen ein mehr als nur angenehmes Einkommen und Provisionen.
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Gleichzeitig tragen die Armen und die Mittelschicht die Hauptlast der Sparmaßnahmen, die ihre Kaufkraft durch Steuererhöhungen mindern und ihren Lebensstandard durch Einschränkung öffentlicher Dienstleistungen verringern, auf die sie angewiesen sind. Es stimmt auch, dass die Politik der EZB auf lange Sicht eher unwirksam ist und schon jetzt immer weniger wirkt.
Die Deutschen verhindern, dass die Politik geändert wird
Obwohl durch die unkonventionelle Politik der EZB seit 2014 rund 2,4 Billionen Euro in die Wirtschaft der Euro-Zone geflossen sind, ist die Wirtschaft nur vorübergehend aufwärtsgegangen. Die Zentralbank hat ihr Ziel nicht erreicht, die Inflation auf zwei Prozent zu erhöhen, um das Risiko einer dauerhaften Deflation in der Euro-Zone zu vermeiden.
Indem Kredite billiger als je zuvor gemacht wurden, hat diese Politik auch das Überleben vieler „Zombie-Unternehmen“ ermöglicht, das heißt Unternehmen, deren Geschäft nicht rentabel ist, weil sie nicht innovativ und effizient genug sind. Dies hat die Modernisierung des Wirtschaftsgefüges verlangsamt. Das QE behindert auch den ökologischen Wandel, indem es die wahllose Weiterausübung aller Aktivitäten erleichtert, die unserer Umwelt schaden.
Mit diesen Instrumenten bestimmt die EZB die Geldpolitik in Europa
Ihr Deutschen habt Anlass, die Geldpolitik der EZB scharf zu kritisieren. Das Problem ist jedoch, dass es hauptsächlich die Deutschen sind, die verhindern, dass diese Politik geändert wird. Es ist die Haltung aufeinanderfolgender deutscher Regierungen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik in Europa (mit der breiten Unterstützung der deutschen öffentlichen Meinung), die es unmöglich macht, das QE aufzugeben.
Die deutsche Regierung beharrte auf Haushaltskürzungen schon im Jahr 2010 und forderte ihre Nachbarn, insbesondere die am stärksten von der Krise betroffenen Länder auf, drastische Maßnahmen zur Senkung der Arbeitskosten und zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes nach dem Vorbild von Gerhard Schröders Reformen in den frühen 2000er-Jahren zu ergreifen. Dieser schrecklich giftige Cocktail hat den Euro-Raum in eine Deflation und Rezession zurückversetzt und damit die Erholung gebrochen, die 2010 einsetzte.
Druck auf eine restriktive Finanzpolitik
Um aus dieser Falle herauszukommen, musste die EZB das „Quantative Easing“ beginnen. Ab 2017 hat sie jedoch versucht, ihre Geldpolitik zu normalisieren und der europäischen Wirtschaft keine zusätzliche Liquidität mehr zuzuführen.
Gleichzeitig wurde aber weiter vor allem vonseiten der Bundesregierung und der deutschen Öffentlichkeit Druck auf eine restriktive Fiskalpolitik und eine deflationäre Arbeitsmarktpolitik im Euro-Raum ausgeübt. Und das vorhersehbare Ergebnis, verstärkt durch zunehmende geopolitische Unsicherheiten, ist eingetreten: Die europäische Wirtschaft stagniert wieder und zwingt die EZB zur Wiederaufnahme des QE.
Ihr wollt es nicht mehr? Sehr gut. Es liegt an euch, die „schwarzen Null“ nicht mehr zu idolisieren. Es liegt auch hauptsächlich an euch Deutschen, die Nachbarn nicht mehr glauben zu machen, dass ein „Race to the bottom“ im sozialen Bereich das A und O der Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft sei.
Die deutsche Industrie beweist ja, dass das genaue Gegenteil zum Erfolg führt. Wenn ihr aufhört, der Euro-Zone eine Deflationspolitik aufzuzwingen, wird die EZB in der Lage sein, eine vernünftigere Geldpolitik zu verfolgen, die euren Wünschen besser entspricht!
Mehr: Diese vier Risiken für das Finanzsystem im Euro-Raum machen der EZB Sorgen.
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Das geht ganz klar wieder in Richtung: Schulden machen! Dies war noch nie die Lösung der Probleme! Auch, wenn oft genug das Gegenteil behauptet wird, Wirtschaften auf Pump funktioniert nicht. Das sollte man sich mal intensiv in der "Privat"-Industrie umschauen. Dort gibt es viele Unternehmen ohne Schulden mit gut gefüllten Kassen. Dort wird noch strategisch über Generationen gewirtschaftet!