Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Gastkommentar Europa braucht eine Wirtschaftsagenda 2030

Die Europäische Union muss Unternehmen stärken und darf sie nicht durch überzogene sozialpolitische Vorgaben schwächen, fordern Rainer Dulger und Pierre Gattaz.
04.08.2021 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
Rainer Dulger ist Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Pierre Gattaz ist Präsident des europäischen Arbeitgeberverbands Business Europe. Quelle: Thomas Meyer/Ostkreuz; Sébastien d'Halloy/MEDEF
Die Autoren

Rainer Dulger ist Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Pierre Gattaz ist Präsident des europäischen Arbeitgeberverbands Business Europe.

(Foto: Thomas Meyer/Ostkreuz; Sébastien d'Halloy/MEDEF)

Angesichts der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg hat die Europäische Union nie da gewesene finanzielle Ressourcen mobilisiert. Jetzt ist es an der Zeit, den Blick nach vorn zu richten und den Weg für eine nachhaltige Erholung zu ebnen. Der Schlüssel dafür liegt in der Wirtschaft.

Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, treiben Innovationen voran und investieren in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für einen erfolgreichen und zugleich sozialen Aufschwung müssen wir deshalb den Fokus verstärkt auf Unternehmen setzen.

Daraus leitet sich ein klarer Appell ab: Unternehmen dürfen nicht weiter belastet werden. Einerseits finanzielle Unterstützung bereitzustellen, um die Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft abzufedern, und andererseits weitere restriktive sozialpolitische Gesetze einzuführen ist inkonsequent.

In den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen liegt eine große Chance, unsere Volkswirtschaften zu transformieren und Produktivität, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Damit die Mittel auch zukunftsorientiert und nachhaltig eingesetzt werden, müssen wir uns auf drei Prioritäten konzentrieren.

Erstens: Wir brauchen eine gezielte europäische Wirtschaftsagenda 2030, die den Schwerpunkt auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit legt. Denn beide sind Motoren für Beschäftigung und Wohlstand.
Zweitens: Wir müssen bestehende Gesetze umsetzen und gleichzeitig neue Belastungen für Unternehmen und Arbeitnehmer reduzieren. Denn die Dichte an Verordnungen und Richtlinien würgt schon jetzt den Binnenmarkt ab und gibt nationalem Protektionismus Raum.

Drittens müssen wir die Integrität des Binnenmarkts vollständig wiederherstellen. Die Krise hat Kernelemente der EU infrage gestellt, sie war ein ungeplanter Stresstest für den Binnenmarkt. Gerade in wirtschaftlichen Krisen muss das Rückgrat der europäischen Wirtschaft reibungslos funktionieren.

Derzeit beobachten wir einen beunruhigenden Trend: Die EU versucht, immer mehr Kompetenzen in der Sozialpolitik für sich zu beanspruchen oder die Kompetenzen der Mitgliedstaaten zu umgehen. Im Rahmen des Aktionsplans zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte sind die Mindestlöhne-Richtlinie und die Entgelttransparenz-Richtlinie nur einige aktuelle Beispiele, die tief in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und Sozialpartner eingreifen. Durch solche Richtlinien werden die Unternehmen weiter geschwächt, gerade deren Stärke aber ist die Basis für ein soziales Europa.

Kritik der Mindestlöhne-Richtlinie

Die von der EU-Kommission vorgeschlagene europäische Mindestlöhne-Richtlinie verletzt die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Sozialpartnern. Der Vorschlag widerspricht der Vielfalt der Systeme der Lohnfestsetzung. Die Richtlinie würde erheblich in die Strukturen der nationalen Arbeitsbeziehungen eingreifen und hätte letztlich negative Auswirkungen auf das Lohn- und Tarifsystem sowie die Tarifautonomie der Sozialpartner.

Fakt ist: Die Sozialsysteme und Arbeitsbedingungen in der EU gehören zu den besten der Welt. Wir bekennen uns dazu, sie weiter zu verbessern. Die Europäische Säule sozialer Rechte scheint jedoch zunehmend zweckentfremdet zu werden, um zusätzliche EU-Rechtsetzung mit bedenklichen Ergebnissen im Bereich der Sozialpolitik zu legitimieren.

Es besteht Einigkeit, dass die soziale Dimension der EU weiterentwickelt werden muss. Aber für uns liegt die eigentliche Antwort darin, Bedingungen zu schaffen, die es Unternehmen ermöglichen, zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen. Die rechtlichen Grenzen der Verträge wurden in einem so stark divergierenden Bereich wie der Sozialpolitik aus sehr guten Gründen festgelegt.

Nicht jeder Legislativvorschlag, der auf eine Sozialunion abzielt, wird zu einem sozialeren Europa führen. Weitreichendere EU-Regelungen können den sozialen Fortschritt sogar untergraben, wenn sie Hindernisse für Wachstum und Beschäftigung schaffen.

Die Kommission überschreitet damit nicht nur die von den Europäischen Verträgen gesetzten Grenzen. Sie geht auch mit vereinfachenden Lösungen über komplexe soziale Gemengelagen hinweg. So wird die Rolle des Mindestlohns überschätzt.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel

Der Mindestlohn soll die vermeintlich einfachste Lösung vieler Probleme sein: Er soll Armut verringern, Renten erhöhen, Altersarmut abschaffen und den Fachkräftemangel bekämpfen. In Wirklichkeit lassen sich diese Herausforderungen jedoch nicht durch einen europaweit harmonisierten Mindestlohnrahmen lösen. Die Antwort liegt stattdessen in einer Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung der nationalen Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten.

Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel: Denn ein wettbewerbsfähiges Europa ist die Grundlage für Beschäftigung, soziale Sicherheit und Wohlstand. Wir brauchen zweifellos einen beschäftigungsfreundlicheren Ansatz in der europäischen Sozialpolitik. Das bedeutet, dass wir Investitionen in Qualifikationen und Arbeitsplätze durch die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne fördern – und sicherstellen, dass die Europäische Säule sozialer Rechte nicht zu zusätzlichen Belastungen führt.

Das gelingt, indem wir die Belastungen für Unternehmen verringern, damit sie sich darauf konzentrieren können, die Krisenfolgen zu bewältigen und mehr Personal einzustellen. Die Agenda für bessere Rechtsetzung kann hier eine unterstützende Rolle spielen. Die versprochene Umsetzung des „One in, one out“-Prinzips, wonach neue Belastungen nur in dem Maße eingeführt werden dürfen, wie bisherige Belastungen abgebaut werden, hat sich jedoch als Enttäuschung herausgestellt.

Es wird bei vielen Legislativvorschlägen der Kommission nicht angewendet. Es ist besorgniserregend, dass einige europäische Vorschläge – etwa zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten und zur nachhaltigen Finanzierung – über das Ziel hinausschießen. Die Warnungen der Unternehmen vor den direkten und indirekten Kosten übermäßiger Regulierung müssen berücksichtigt werden.

Keine einseitigen Einschränkungen der Freizügigkeit

In dieser herausfordernden Zeit sollten die Mitgliedstaaten eng mit der Kommission kooperieren und einseitige Einschränkungen der Freizügigkeit vermeiden. Um einen funktionierenden Binnenmarkt wiederherzustellen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir unsere Grenzen offenhalten. Die Mitgliedstaaten sollten von weiteren Beschränkungen der Freizügigkeit absehen und die digitalen EU-Covid-Zertifikate, die den freien Personenverkehr innerhalb der EU erleichtern, konsequent umsetzen.

Inmitten dieser beispiellosen Krise sollte die EU einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung anstreben, bei dem sie die Bemühungen der Mitgliedstaaten unterstützt, das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen durch wettbewerbsfähige Unternehmen zu sichern. Denn ohne wettbewerbsfähige Unternehmen kann es keinen dauerhaften Aufschwung geben. Der aber ist unverzichtbar, soll das gemeinsame europäische Haus gestärkt werden.

Die Autoren: Rainer Dulger ist Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Pierre Gattaz ist Präsident des europäischen Arbeitgeberverbands Business Europe.

Mehr: Regierungsberater fordern Generalinventur bei Genehmigungsverfahren

Startseite
Mehr zu: Gastkommentar - Europa braucht eine Wirtschaftsagenda 2030
1 Kommentar zu "Gastkommentar : Europa braucht eine Wirtschaftsagenda 2030"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%