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GastkommentarEuropa braucht Künstliche Intelligenz auf allerhöchstem Niveau

KI wird die Welt verändern, ist Stefan Hartung überzeugt. Technik dürfe jedoch nicht zum Selbstzweck werden, sondern müsse dem Menschen dienen. Nötig seien Mut und Wille zur Technologieführerschaft. 24.04.2024 - 08:49 Uhr
Der Autor Stefan Hartung ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH. Foto: dpa

Wenn sich in diesen Tagen die Industrie der Welt in Hannover versammelt, werden die Hotels der Messestadt wohl wie üblich ausgebucht sein. Aber wenn das in fünf oder zehn Jahren auch noch so sein soll, dann müssen wir uns anstrengen. Nicht, weil die Hannover Messe an Bedeutung verlieren wird. Sondern, weil die Besucher vielleicht lieber ihren „digital twin“ oder ein Hologramm schicken werden, anstatt selbst anzureisen. Beim World Economic Forum in Davos sind neulich schon ein paar Teilnehmer in 3-D aufgetaucht – obwohl sie gar nicht im Raum waren. Und wenn wir uns ansehen, mit welchem Tempo die Künstliche Intelligenz (KI) voranschreitet – dann kann man sich den virtuellen Messebesuch schon ganz gut vorstellen. Denn mit KI wird das Undenkbare von gestern heute schon zur Vision für morgen.

KI beschleunigt die KI – die Lücke zwischen Zukunft und Gegenwart schrumpft schneller

Zugleich erleben wir einen erheblichen Gegensatz zwischen einer politisch und wirtschaftlich angespannten Weltlage auf der einen Seite und einer ungeheuren technologischen Dynamik auf der anderen Seite. Es wird leicht übersehen, dass es auf lange Sicht vor allem die KI sein wird, die unsere Welt fundamental verändern wird – mehr noch als jene Krisen, die uns derzeit so in Atem halten. Aber: Sind wir dafür bereit? Haben wir tatsächlich schon erfasst, wie sich das technologische Gefüge unserer Welt gerade wandelt? Ich glaube: nein.

» Lesen Sie auch: „Atemberaubende Geschwindigkeit“ – Wie die KI die Industrie revolutioniert

Das Thema KI ist mittlerweile zwar in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das belegt auch unser Bosch Tech Compass. Mit dieser Umfrage ermitteln wir jährlich die Einstellung von Menschen in sieben Industrieländern zu innovativen Technologien. Demnach halten zwei von drei Befragten weltweit KI für die wichtigste Technologie der kommenden Jahre. Das ist ein erheblicher Anstieg um mehr als 20 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Vermutlich liegt das vor allem an der Begeisterung für generative KI-Anwendungen wie ChatGPT.

Aber die eigentliche Umwälzung besteht ja nicht darin, dass wir uns nun Grußworte oder Lebensläufe vom Computer schreiben lassen können. Das wahre Potenzial der generativen KI wird sich vor allem dann entfalten, wenn sie auch Bilder, Räume oder Zustände deutlich schneller und gründlicher analysieren und beschreiben kann als heute.

Damit sind – in Verbindung mit dem klassischen „Machine Learning“ – ganz neue Anwendungsfälle denkbar. KI ahmt bislang vor allem den menschlichen Wahrnehmungsprozess nach. Mit generativer KI aber können wir diesen Prozess nun viel besser mit der physikalischen Welt der Systeme und Maschinen verbinden.

So erzeugen wir etwa in unseren Werken synthetische Bilder, die wiederum als Grundlage für eine optische Inspektion auf KI-Grundlage dienen. Das heißt: KI beschleunigt die KI. Die Lücke zwischen Zukunft und Gegenwart schrumpft also immer schneller.

Die generative KI wird alte Geschäftsmodelle verdrängen und neue befeuern

Der KI-Markt ist hochdynamisch: Gerade die generative KI wird alte Geschäftsmodelle verdrängen und neue befeuern – ähnlich wie es beim Computer oder Internet der Fall war. Und diese Dynamik ist so groß, dass wir uns gut überlegen müssen, wie wir damit umgehen. KI darf nicht allein technisch gedacht werden.

Dazu sind die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen zu groß. Die Debatte über eine internationale Regulierung hat längst begonnen. Das ist auch richtig so: Wie bei jeder Technologie, deren Folgen nicht hundertprozentig abzuschätzen sind, ist auch bei KI großes Verantwortungsbewusstsein gefragt.

Wir sollten uns aber von dem Gedanken verabschieden, dass sich die globale Entwicklung von KI durch regionale oder gar lokale Verordnungen aufhalten ließe. Was die Europäische Union (EU) in ihrem AI-Act vorschlägt, geht ethisch in die richtige Richtung – doch zugleich sollten wir uns vor übertriebener Bürokratie hüten. Die Welt dreht sich bekanntlich schneller als jedes Stempelkarussell.

Technik darf nie zum Selbstzweck werden, sondern muss immer dem Menschen dienen.
Stefan Hartung
Bosch-Chef

Solange wir einen Missbrauch der KI nicht ausschließen können, müssen wir selbst KI auf allerhöchstem Niveau verstehen und anwenden können. Gesetze sollten deshalb nicht die Technologie an sich, sondern ihre Anwendung und den geordneten Umgang mit ihr definieren. Ein Beispiel dafür wäre eine Pflicht, KI-erstellte Inhalte als solche zu kennzeichnen.

Zumal sich neue Technologien vor allem dann durchsetzen werden, wenn sie für die Nutzer nachvollziehbar sind. Es liegt an uns, ob wir die KI nur als eine Bedrohung der Gegenwart verstehen oder ob wir eher die enormen Chancen wahrnehmen, die neue Technologien für Wirtschaft und Wohlstand bringen können.

Eine Einschränkung gibt es jedoch: Technik darf nie zum Selbstzweck werden, sondern muss immer dem Menschen dienen. Verantwortung aber bedeutet weder Verzicht noch Verzagtheit. Das Tempolimit ist schließlich auch nicht vor dem Auto erfunden worden. Was wir in Deutschland und Europa jetzt brauchen, ist Mut, Realitätssinn – und den Willen zur Technologieführerschaft.

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Das gilt vor allem für die industriell genutzte KI sowie für alle Anwendungen, die ein besonderes Vertrauen in die Entscheidungen der Algorithmen erfordern. In diesen Bereichen liegen Europas Stärken und Chancen – noch ist Zeit, sie zu nutzen.

Der Autor:
Stefan Hartung ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH.

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