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Gastkommentar Harald Christ: 2021 – Wir machen uns auf den Weg in ein unbekanntes Land

Die Corona-Pandemie könnte ähnliche Umbrüche hervorrufen, wie einst der Buchdruck oder das Internet. Denn anders als bei der Finanzkrise gelten alte Weisheiten nicht einfach weiter.
27.11.2020 - 14:35 Uhr Kommentieren
Harald Christ ist ein deutscher Unternehmer und Politiker. Bis Dezember 2019 war er SPD-Mitglied. Danach trat er der FDP bei. Quelle: Wikipedia
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Harald Christ ist ein deutscher Unternehmer und Politiker. Bis Dezember 2019 war er SPD-Mitglied. Danach trat er der FDP bei.

(Foto: Wikipedia)

An dieser Stelle hätte eigentlich ein Rückblick auf das Jahr 2020 entstehen sollen, eine Bilanz des Vergangenen mit Ausblick auf Kommendes. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kontinuitäten, Brüche auch – aber das Ganze in der wohltemperierten Mischung, die uns in den vergangenen Dekaden zur bequemen Einrichtung geworden ist.

Aber nun ist alles anders gekommen. Dieses Jahr, dessen langfristige Bedeutung wir erst in fernerer Zukunft begreifen werden, hat einen Umbruch, ja Umsturz vieler Parameter gebracht, sodass ein vorsichtiger Ausblick auf das direkt vor uns liegende Jahr einer retrospektiven Betrachtung vorzuziehen ist.

2021 wird anders, ganz anders, als wir alle es uns noch vor zwölf Monaten vorstellen konnten! Was vor allem daran liegt, dass viele elementare Gewissheiten, die uns noch zu Beginn des zu Ende gehenden Jahres Halt gegeben haben, für immer verloren sind. Überkommenes ist fort, Neues oft erst in Ansätzen im Entstehen – die klassische Definition einer Zeit des Übergangs.

Zunächst ein Blick auf die ökonomischen Rahmenbedingungen. Der massive weltweite Einbruch der Weltwirtschaft im Frühjahr, der Riss transkontinentaler Lieferketten hat nicht mehr und nicht weniger als die Grenzen der Globalisierung aufgezeigt. Rein nach Zahlen werden sich die ökonomisch stärksten Staaten 2021 womöglich wieder erholen – auch nach der Finanzkrise 2008 ging es rasch wieder aufwärts. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass seinerzeit die alten Weisheiten weiter gelten konnten.

Schon zwei Jahre später war der kurzzeitige Blackout des Geldsystems kaum mehr als ein in weiter Ferne gehörter Knall. Das ist diesmal völlig anders. Viel ist darüber geschrieben worden, dass die Pandemie 2020 in mancherlei Hinsicht nur ohnehin vorhandene Probleme offengelegt und wie in einem Brennglas fokussiert hat. Das ist sicher so, wirft allerdings ein mattes Licht auf unsere Fähigkeit, Notwendiges auch ohne Katastrophe zu erkennen.

Das betrifft zum Beispiel die Frage, welche Anforderungen Unternehmen an sich und ihr wirtschaftliches Skelett stellen. Branchen, deren Geschäftsmodell einzig darin besteht, in ohnehin überhitzten Märkten kurzfristig Wachstumszahlen vorzulegen, um neue Investoren zu gewinnen – ohne das dem eine belastbare Renditeprognose zugrunde liegt –, werden es mittelfristig deutlich schwerer haben.

Umbrüche betreffen viele Firmen

Andere, deren Bestand eine Ewigkeitsgarantie zu haben schien, müssen ihr Geschäftsmodell überdenken und erweitern. Bestes Beispiel ist der Handel. Die Krise hat Lieferdiensten einen ungeahnten Push verschafft. Und aus Umfragen wissen wir, dass viele derjenigen, die im Frühjahr erstmals bei Amazon und Co. eingekauft haben, dem örtlichen Handel auf Dauer verloren gehen werden.

Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf das Gesicht der Innenstädte, in denen viele Geschäfte aufgeben werden. Das wiederum hat negative Auswirkungen auf die Steuerkraft der Kommunen, Folgen für die gesamte Infrastruktur und so weiter...

Gleiches gilt zum Beispiel für die Hotellerie. Gerade in größeren Städten und im höheren Preissegment waren Geschäftsreisen, Kongresse und Großveranstaltungen das wirtschaftliche Rückgrat. Das ist nun gebrochen. Ähnlich wie im Handel wird ein Großteil der Marge, die sich in Videokonferenzen und Online-Events verflüchtigt hat, auf mittlere Sicht nicht zurückkommen.

Bill Gates hat in dieser Woche beim Symposium der „New York Times“ die Prognose geäußert, dass dauerhaft 50 Prozent der Geschäftsreisen wegfallen werden. Die dahinterstehenden Dienstleitungs-Lieferketten wird das irreparabel beschädigen. Zahllose Arbeitsplätze werden verloren gehen, ganze Branchen wie die Luftfahrt kämpfen schon jetzt ums Überleben.

Ob die Handelnden dies alles erkannt haben und bereit sind, die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, muss bezweifelt werden. Wenn sich, wie in Brandenburg, eine Gewerkschaft mit allen Mitteln dagegen sträubt, vor Weihnachten zwei zusätzliche verkaufsoffene Sonntage zuzulassen, dann deutet das nicht gerade auf eine tiefe Einsicht in die Brisanz der Lage. Mit so mickrigen Chips spielt sichs nicht am großen Tisch!

Die EU steht unter Beobachtung

Politisch betrachtet wird 2021 die tiefe Zäsur offenlegen, die die Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres nicht ausgelöst, aber ebenfalls stark getriggert haben. Die US-Wahl hat gezeigt, wie tief gespalten die wirtschaftlich noch immer stärkste Macht der Welt ist.

Dass sich die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit kraftvoll auf der weltpolitischen Bühne zurückmelden werden, ist eher unwahrscheinlich – selbst wenn der künftige Präsident Joe Biden den von Trump gekündigten multilateralen Formaten wieder beitritt.

Für uns in Europa heißt das: Wir müssen unsere Beziehungen zu anderen potenten Playern auf eine solide und vernünftige Basis stellen – vor allem zu China und Russland. Einfach wird das nicht, hält man sich vor Augen, dass die EU in grundsätzlichen Fragen – z. B. beim Thema Rechtsstaatlichkeit – so gespalten ist wie selten in ihrer Geschichte.

In Peking und Moskau wird sehr genau registriert, wenn es zwei Regierungschefs aus Ostmitteleuropa gelingt, mit ihrem Festhalten an rechtspopulistischen Positionen in Brüssel den ganzen Laden lahmzulegen. Die zwei Schlussfolgerungen sind jede auf ihre Art für die EU bedrohlich: Autoritäre Strukturen haben in Brüssel Stimmen und eine Bühne – und: Die Union ist nicht (mehr) in der Lage, sich auf einen Konsens allgemeiner demokratischer Werte zu verständigen.

Wie widerstandsfähig ist unser Gemeinwesen?

Womit ein weiteres Phänomen aufscheint, welches uns in den kommenden Monaten und Jahren beschäftigen wird und muss. Auch bei uns, in einer auf solidem wirtschaftlichem Fundament stehenden Gesellschaft, bröckelt der Konsens und damit die Basis der parlamentarisch-demokratischen Konstruktion.

Natürlich sind unterschiedliche Meinungen über das richtige Vorgehen im Kampf gegen eine Pandemie statthaft, in einer Demokratie sogar erforderlich. Aber der anschwellende Protest, die sich formierende Front gegen entschiedenes Handeln gibt doch großen Anlass zur Sorge.

Wenn Ärzte, die sich an Massenimpfungen beteiligen wollen, beschimpft und bedroht werden, wenn Verschwörungstheorien mehr werden als die spinnerten Flausen Einzelner, dann ist Gefahr im Verzug. Auch deswegen, weil sich mittlerweile in den demokratischen Institutionen mit der AfD eine Kraft etabliert hat, die bereit ist, um jedes noch so kleinen taktischen Vorteils willen jeden noch so absurden Humbug mitzumachen.

Helmut Schmidt war Zeit seines Lebens davon überzeugt, dass die Deutschen ein „gefährdetes Volk“ sind. Und schon Goethe mahnte mit Blick auf seine Landsleute einst: „Der Baum neigt zum Verwildern.“ Das kommende Jahr wird uns den Hinweis darauf liefern, wie stark und widerstandsfähig unser Gemeinwesen gegen jene Kräfte ist, die durch die Pandemie entgrenzt und mancherorts geradezu entfesselt wurden. Übrigens: Auch hier gilt wiederum die Analogie zum Brennglas, das bereits vorhandene oder im Kern angelegte Entwicklungen fokussiert, verstärkt, beschleunigt.

Ereignisse, die welthistorische Umbrüche nach sich ziehen, spielen sich oftmals zunächst abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit ab. Kaum jemand ahnte 1455, was sich in der Mainzer Studierstube des Johannes Gutenberg abspielte und wie das die Welt reformieren sollte; nur wenige registrierten 1991 die Geburt des Internets, das schon wenige Jahre später den Globus veränderte.

Der Einschlag des Corona-Meteoriten vollzog sich dagegen vor aller Augen. Gleichwohl könnten die Auswirkungen langfristig von ähnlicher Tragweite sein. Auch deshalb wird 2021 ein entscheidendes Jahr für die Frage nach dem Wohin.

Mehr: Was uns die Corona-Pandemie für die Zukunft lehrt

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