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Gastkommentar Karliczek: Deutschland braucht Agentur für Entwicklung neuer Impfstoffe

Jetzt müssten die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Pandemie gezogen werden, sagt Forschungsministerin Anja Karliczek. Sie fordert eine neue Agentur für Pandemievorsorge.
09.04.2021 - 04:00 Uhr 3 Kommentare
Die Bildungsministerin fordert, dass der Staat für künftige Gesundheitskrisen vorsorgt. Quelle: Photothek via Getty Images
Anja Karliczek

Die Bildungsministerin fordert, dass der Staat für künftige Gesundheitskrisen vorsorgt.

(Foto: Photothek via Getty Images)

Die Corona-Pandemie ist eine epochale Herausforderung – auch für die Gesundheitsforschung und vor allem dafür, wie wir in Deutschland und Europa die Fortschritte der Wissenschaft rasch zugunsten der Menschen umsetzen. Die nun schon über ein Jahr andauernde Krise hat eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft demonstriert: von der Etablierung der ersten PCR-Tests, mit denen die Grundlage zur weltweiten Verfolgung der Pandemie gelegt wurde, bis zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe, die hoffentlich dazu führen, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen.

Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, woran es in der öffentlichen Pandemievorsorge fehlt: an einer Agentur, die wie eine Spinne im Netz die Forschenden und die Entwickler aus Wissenschaft und Industrie verbindet, damit aus den exzellenten Forschungsergebnissen in möglichst kurzer Zeit einsetzbare Produkte entstehen. Das hat auch einen Grund. Im Gegensatz zur Entwicklung neuer Arzneimittel gegen häufig auftretende Erkrankungen wie Krebs oder Herzkrankheiten haben Impfstoffe und Medikamente zur Pandemieprävention in Nicht-Krisenzeiten kein wirtschaftliches Potenzial.

Dabei können wir es aber nicht bewenden lassen. Denn diese Pandemie zeigt unmissverständlich: Der Staat steht in der Verantwortung, die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten durch langfristige Forschungs- und Entwicklungsprogramme zu sichern. Außerdem muss er den Kapazitätsaufbau im Bereich der industriellen biomedizinischen Forschung und Entwicklung stärken. Dazu sind Wissenschaft und Wirtschaft allein nicht in der Lage.

Es gibt ein gutes Vorbild: Etwas neidisch blicken wir derzeit auf die USA, die mit der Biomedical Advanced Research and Development Authority (Barda) eine Organisation haben, die diese Rolle erfüllt. Dort lösten die Erfahrungen nach den 9/11-Terroranschlägen die Gründung der Barda aus, die Forschung und Entwicklung von Maßnahmen zur Abwehr biologischer und radiologischer Gefahren vorantreibt.

Die Pandemie zeigt, dass Deutschland eine vergleichbare Agentur für die Entwicklung neuer Impfstoffe und Therapieansätze zur Pandemieprävention braucht. Sie sollte darauf ausgerichtet sein, Impf- und Wirkstoffe, die für die öffentliche Gesundheit von großer Bedeutung sind, prophylaktisch vorzubereiten und zu entwickeln, um sie bei Bedarf schnell in die Produktion und Verteilung bringen zu können.

Es geht also um den Aufbau von Entwicklungsprogrammen und Produktionsstätten. Die wären auch in normalen Zeiten nicht nutzlos. Im Gegenteil: In Nicht-Krisenzeiten würden sie für Produkte genutzt, die für die öffentliche Gesundheit wichtig sind, zum Beispiel neue Antibiotika. Diese Kapazitäten wären so immer auf dem neuesten Stand und in der Krise unmittelbar für die Forschung und Entwicklung solcher Impf- und Wirkstoffe verfügbar.

Denn ein schnelles Hochfahren der Impf- und Wirkstoffforschung ist in Krisensituationen nur auf der Grundlage bestehender Strukturen möglich. Dafür müssen Kompetenzen, Technologieplattformen und Prozesse aus akademischer und industrieller Forschung jetzt noch stärker gebündelt und die gemeinsame Entwicklung von Impf- und Wirkstoffen zielgerichtet durch ein neues System von Förderungen und Anreizen verzahnt werden. Diese Förderungen und Anreize sollten von der neuen Agentur ausgehen.

Es müssen frühzeitig No-go-Entscheidungen getroffen werden

Auf den Punkt gebracht: Die Agentur müsste wie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung einer erfolgreichen Pharmafirma agieren. Nur dass die Agentur anstelle der Gesellschafterinteressen die Interessen der öffentlichen Gesundheit verfolgt. Sie sollte im Hinblick auf die wissenschaftlichen Arbeiten unabhängig von politischen Einflüssen arbeiten können. Der Staat gibt das Ziel vor, aber der beste wissenschaftliche Weg, um dieses Ziel zu erreichen, muss von den für die Agentur tätigen Wissenschaftlern und Pharmaexperten bestimmt werden können.

Von Anfang an müssen die Forschungsarbeiten auf schnelle Entwicklung und industrielle Produktion ausgerichtet sein. Dazu gehört auch, frühzeitig No-go-Entscheidungen zu treffen und Vorhaben abzubrechen, wenn sich zeigt, dass sie das Ziel nicht erreichen werden. Eine solche Agentur wird auch die deutsche Biotechbranche stärken. Bislang haben wir in der Gesundheitsforschung immer nur bis zur ersten klinischen Studie gefördert.

Die Erwartung war, dass vielversprechende Technologien und Kandidaten dann ihren Weg in den Markt aus eigener Kraft schaffen. Der Erfolg der mRNA-Impfstoffe zeigt, dass eine Förderung der Entwicklung von Produkten mit Relevanz für die öffentliche Gesundheit bis zu einer – bedingten – Zulassung auch in andere Anwendungsbereiche solcher neuartigen Technologien ausstrahlt.

Mit der Zeit, und auch hier lohnt sich ein Blick in die USA, entsteht um eine solche Agentur ein Ökosystem von kleinen und mittleren Unternehmen entlang des biomedizinischen Produktentwicklungsprozesses, deren Geschäftsmodell auf einer Mischfinanzierung aus öffentlicher und privater Förderung und erwirtschafteten Einnahmen beruht. Auf mittlere Sicht entstehen hier nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze, sondern auch innovative Produkte, von denen wir weit über den Kontext der Pandemieprävention hinaus vielfältig profitieren werden.

Deutschland will Impulsgeber sein

Sicherlich ist das keine allein nationale Aktivität. Auch auf europäischer Ebene gibt es mit der HERA-Initiative Überlegungen in diese Richtung, die wir begrüßen. International wird im Rahmen der internationalen Covid-Initiative ACT-Accelerator über den Aufbau von zusätzlichen Produktionsketten in verschiedenen Regionen der Welt diskutiert – als Alternativmodell zu einer „My country first“-Politik.

Nur so können wir unserem Anspruch gerecht werden, dass auch in einer Krise keiner zurückgelassen werden darf. Denn: „No one is safe until everyone is safe!“ Das Motto des WHO-Generaldirektors Tedros Adhanom Ghebreyesus bringt es auf den Punkt.

Deutschland will als starker Forschungs- und Entwicklungsstandort von Anfang an Impulsgeber und auch Vorreiter sein. Deshalb ist jetzt die Zeit zum Handeln. Wir können nicht warten. Der Weg ist klar. Wir müssen jetzt losgehen. Und die Bundesregierung sollte vor der Sommerpause den Grundstein dafür legen. Jedes Zögern wäre unverzeihlich.

Noch liegt der Fokus auf der Bekämpfung der Pandemie. Darüber hinaus müssen wir aber jetzt schon die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Pandemie ziehen. Ja, wir werden auch hier eine Menge Geld einsetzen müssen. Ich stelle mir vor, dass wir dieses Jahr mit 50 Millionen Euro starten und nach der Aufbauphase ein Jahresbudget von rund einer Milliarde Euro erreichen. Wir müssen kraftvoll agieren. Diese Pandemie hat uns gezeigt, dass sich Vorsorge lohnt. Sparen an der Vorsorge kann teuer werden.

Wir müssen groß denken. Diese Pandemie ist eine Jahrhundertkrise, und so müssen auch unsere Antworten aussehen – gerade bei der Entwicklung und Produktion künftiger Arzneimittel und Impfstoffe.

Die Autorin: Anja Karliczek ist Bundesministerin für Bildung und Forschung. Bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 errang die CDU-Politikerin im Wahlkreis Steinfurt III das Direktmandat.

Mehr: Dubai und Moskau locken Europäer zum Impfen.

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3 Kommentare zu "Gastkommentar : Karliczek: Deutschland braucht Agentur für Entwicklung neuer Impfstoffe"

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  • Endlich mal eine vernünftige Überlegung. Aber warum denn eine Agentur? Wäre es nicht an der Zeit, die volle Kompetenz auf den Bund zu legen? Im Verteidigungsfall gibt es auch keine Länderkompetenz. Warum dass bei dieser Jahrhundertkatastrophe anders sein soll, verstehe ich nicht.

  • Noch mehr Gremien, noch mehr staatlich Lenkung führt leider meistens in die Langsamkeit. Die Fachfirmen in Deutschland und Europa brauchen staatliche Anreize und Zielvereinbarungen um Projekte in Kooperation schnell abzuarbeiten, die aus heutiger Sicht nicht wirtschaftlich sind aber gesellschaftlich bedeutsam sind.

    Nutzen wir das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter von Industrie und Forschung. Mitarbeiter aus öffentlichen Verwaltungen oder Politiker in Regierungsverantwortung können nach den aktuellen Erfahrungen im Umgang mit dem Virus da leider nicht Schritt halten, weil Ihnen Wissen, Praxis und Umsetzungsgeschwindigkeit in aller Regel berufsbedingt fehlen.

  • Neue Behörden bringen nur noch mehr Bürokratie und Kompetenzgerangel und das bei Seuchen genau das Falsche.
    Zuerst einmal sollte definiert werden, was eine gefährliche Seuche ist, die das Eingreifen des Staates erfordert. Bei welcher Sterberate reden wir von "gefährlich"?
    Wenn wir eine solche Agentur bekämen, sollten wir vielleicht das RKI schließen. Die sind ihrer Aufgabe, ordentliche und verlässliche Zahlen zu beschaffen, eh nur sehr unzureichend nachgekommen.

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