1. Startseite
  2. Meinung
  3. Gastbeiträge
  4. KI: Europa ist dabei, sich freiwillig abhängen zu lassen

GastkommentarKI: Europa ist dabei, sich freiwillig abhängen zu lassen

Es herrscht ein schädlicher Mix aus Ignoranz, Unkenntnis und Technologieaversion. Statt Regulierungen zu erlassen, sollte die EU lieber große Player formen, meint Andreas Liebl. 15.05.2023 - 04:00 Uhr
Artikel anhören

Andreas Liebl ist Managing Director der KI-Initiative appliedai.

Foto: Gerd Altmann/pixabay, PR

KI-Pioneer Geoffrey Hinton hat seinen Job bei Google aufgegeben, um frei vor den Gefahren der Künstlichen Intelligenz zu warnen. Die müsse kontrolliert werden, bevor sie intelligenter ist als der Mensch. Prominente KI-Größen wie der kanadische Informatiker Yoshua Bengio, Unternehmer wie Apple-Gründer Steve Wozniak und Historiker wie Yuval Noah Harari fordern ein Moratorium für die Entwicklung großer Modelle Künstlicher Intelligenz (KI) und bei Nicht-Einhaltung das Eingreifen von Staaten.

Wir erleben gerade sehr anschaulich die Auswirkungen des exponentiellen Wachstums im KI-Bereich. Selbst als KI-Experte ist es kaum noch möglich, die Dynamik der letzten Wochen nachzuvollziehen.

Nach der Veröffentlichung von ChatGPT und GPT-4 machte Meta sein Sprachmodell LLaMa öffentlich. Wichtige Parameter des Modells gelangten an die Öffentlichkeit, und in kürzester Zeit wurden zahlreiche Open-Source-Modelle wie GPT4all, Alpaca oder Vicuna verfügbar. Hunderte neuer Anwendungen entstanden.

Ganze Berufszweige fragen sich nun völlig zu Recht, welchen Wert ihre Tätigkeit in Zukunft noch haben wird. Start-ups stehen vor der Entwertung ihrer Geschäftsideen, etablierte Geschäftsmodelle werden infrage gestellt. Wir alle werden in Zukunft mit sehr hochwertigen, nicht mehr von Menschen erzeugten Inhalten geflutet werden - für positive wie negative Zwecke.

Europa fehlt ein Plan für die Förderung von KI

Und wo bleibt Europa?
Die Anbieter: Aus technologischer Perspektive gibt es bis auf sehr wenige Ausnahmen noch nicht einmal ansatzweise Unternehmen, die mithalten können. Seitens der etablierten Wirtschaft ist kein eigenes wettbewerbsfähiges Sprachmodell in Sicht.

Unter den europäischen Start-ups gibt es nur ein bis zwei, die versuchen mitzuhalten, jedoch mit der zehn- bis 100-fach niedrigeren Kapitalausstattung als ihre Pendants in den USA. Universitäten spielen in der Entwicklung großer Modelle wegen der notwendigen massiven Investitionen nur noch eine nachrangige Rolle. Im kleinen Kreis hat eine große europäische KI-Initiative bereits davon gesprochen, man denke darüber nach, die Aktivitäten zu beenden, da man die US-Rivalen nicht mehr einholen könne.

Die Politik: Die EU-Kommission will mit dem AI-Act risikoreiche Anwendungen regulieren, kommt aber kaum hinterher, aktuelle Entwicklungen einzuarbeiten, und riskiert schon vor Beginn, veraltet zu sein. Der Nebeneffekt des europäischen Alleingangs ist, dass die wenigen wettbewerbsfähigen europäischen KI-Start-ups damit abgewürgt werden und abwandern. Auch erreicht die Kommission nicht die Spieler mit bösartigen Absichten, die der Regulierung nicht folgen und beispielsweise lieber Wahlen und Meinungen beeinflussen.

Die Bundesregierung fokussiert sich derweil auf parteipolitische Verteilungskämpfe, statt sich ernsthaft mit der wichtigsten Technologie unserer Zeit auseinanderzusetzen - die sich im Übrigen auch wunderbar für neue Ansätze im Klimaschutz einsetzen lässt. Die reservierten Gelder für KI sind, so munkelt man, längst anderweitig ausgegeben.

Die Gesellschaft: Der deutsche Ethikrat hat ein Papier veröffentlicht, das auf einem sehr traditionellen Menschenbild basiert und einen unrealistischen moralischen Imperativ erzeugt, der indirekt zu Zurückhaltung und Verlangsamung aufruft.

Wir müssen mit privaten und staatlichen Mitteln ein bis zwei Unternehmen in der Größe von OpenAI aufbauen

Wir sind gerade dabei, selbst verschuldet mit einem Mix aus Ignoranz, Unkenntnis und Technologieaversion jegliches Mitspracherecht abzugeben und wirtschaftliche Relevanz zu verlieren. Wir beobachten erstaunt von außen, was in den USA und in China gebaut wird, und können nur mutmaßen über die Fähigkeiten der KI-Modelle oder die zugrunde liegende Technologie.

Das Ergebnis wird dabei leider nicht sein, dass KI nach unseren moralischen Maßstäben entwickelt wird. Statt dessen folgt daraus, dass KI unkontrolliert mit ganz anderen Werten unsere unvorbereitete Gesellschaft und Wirtschaft dominieren wird.

Es ist illusorisch, zu glauben, dass dem Moratorium chinesische Unternehmen Folge leisten. Ähnlich wird der Ansatz auch in den USA kein Gehör finden. Noch ist es Zeit, dem entgegenzuwirken. Doch dazu sind Aufmerksamkeit und ein aktiver Gestaltungswille in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gefragt.

Konkret müssen wir aufhören mit der Gießkannenpolitik und stattdessen ein bis zwei Unternehmen in der Größenordnung von OpenAI mit erheblichen privaten Mitteln und staatlicher Förderung aufbauen, um technologisch und in der Diskussion über gesellschaftliche Auswirkungen nicht vollkommen abhängig zu sein. Solange die Chipindustrie massiv subventioniert werden kann, sollte dies auch für KI möglich sein.

Dazu muss parallel zum AI-Act eine umfassende Unterstützung des KI-Innovationsökosystems aufgebaut werden mit dem Ziel, die Kosten und Zeit zur regulatorischen Compliance minimal und Innovation in Europa zu halten. Zuletzt muss insbesondere die deutsche Regierung KI klar in den Ministerien zuordnen, ein Steuerungszentrum aufbauen und Bildungsmaßnahmen deutlich ausweiten.

Wir dürfen unsere Fähigkeit zur Gestaltung nicht verlieren oder freiwillig abgeben. Vergessen wir nicht den Effekt des exponentiellen Wachstums. Die Geschwindigkeit wird weiter zunehmen, und KI wird unser Leben massiv beeinflussen. Ob wir wollen oder nicht.


Der Autor:

Verwandte Themen
Europa
USA
OpenAI
Europäische Union
Künstliche Intelligenz
ChatGPT

Andreas Liebl ist Managing Director der KI-Initiative appliedai.


Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt