Gastkommentar: Lässt man allein den Preis entscheiden, werden wir in 20 Jahren wieder abhängig sein – nur von anderen Autokratien
Veronika Grimm ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der FAU Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Seit dem Ende des Kalten Kriegs erschien es vielen unvorstellbar, dass Krieg und Gewalt mitten in Europa wieder Realität werden könnten. Dann aber hat der russische Angriff auf die Ukraine Deutschland wachgerüttelt. Die Bundesregierung verringerte in Rekordzeit die Energieabhängigkeit von Russland und schuf ein kreditfinanziertes Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr. Das kann aber erst der Anfang sein. Um Europas Handlungsfähigkeit in einer zusehends unsichereren Welt zu stärken, stehen wir vor der Aufgabe, unsere Energie-, Klima-, Sicherheits- und Handelspolitik stärker zu verschränken.
Kritische Abhängigkeiten, die im Zuge der Globalisierung durch den Vorrang der Kosteneffizienz von Wertschöpfungsketten entstanden sind, gilt es schnell abzubauen, was aber nicht mit einer weitgehenden Entkopplung von „unfreundlichen“ Staaten einhergehen sollte. Denn die zunehmende Bedeutung globaler öffentlicher Güter wie Klimaschutz und Gesundheit erfordert es, die internationale Kooperation nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Eine herausfordernde Gratwanderung.
Studien zeigen, dass der größte Anteil der nach Europa importierten Waren mit geringen oder keinen Substitutionsmöglichkeiten aus China stammt. Oft sind es Produkte aus dem Technologie- und Gesundheitsbereich. Die EU versucht im Rahmen der „Important Projects of Common European Interest“ bereits, eigene Kapazitäten aufzubauen, um sich aus Abhängigkeiten zu lösen, etwa durch die europäische Cloud-Infrastruktur, die Batteriezellfertigung und bei der Wasserstoff-Technologie.