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Gastkommentar Nehmt die Geldmenge endlich wieder ernst!

Kehrt das Gespenst der Inflation zurück? Angesichts dieser Gefahr darf die EZB die Geldmenge nicht weiter stiefmütterlich behandeln, fordert Jörg Krämer.
01.03.2021 - 04:04 Uhr Kommentieren
Der Autor ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Quelle: Alexandra Lechner
Jörg Krämer

Der Autor ist Chefvolkswirt der Commerzbank.

(Foto: Alexandra Lechner)

Es war wie jedes Mal: Auf ihrer Pressekonferenz im Januar hat die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, die Geldmenge und ihre Komponenten routiniert durchdekliniert. Am Ende stellte sie wieder einmal lapidar fest, dass „der Abgleich der wirtschaftlichen Analyse mit den Signalen der monetären Analyse“ für eine Fortführung der lockeren Geldpolitik spräche. Aber dieses Weiter-So ist nicht mehr angemessen.

Denn das Wachstum der Geldmenge M3, zu der Bargeld, Sicht-, Termin-, Spareinlagen und andere geldnahe Anlagen gehören, hat sich seit Beginn der Coronakrise stark beschleunigt – von fünf Prozent auf mehr als zehn Prozent. Das ist fast der höchste Wert seit Gründung der Währungsunion.
Das sollte ein Weckruf sein.

Mit der Geldmenge lässt sich zwar nicht prognostizieren, wie die Inflation sich kurzfristig entwickelt; dafür sind Ölpreise oder Arbeitskosten hilfreicher. Aber über den mittel- bis langfristigen Trend der Inflation sagt die Geldmenge nach wie vor eine Menge aus. So hilft das geringe Geldmengenwachstum in den zehn Jahren vor der Coronakrise zu erklären, warum die Inflation im Euro-Raum im Durchschnitt dieses Zeitraums deutlich unter dem EZB-Ziel von knapp zwei Prozent blieb.

Um diese Marke langfristig zu erreichen, muss die Geldmenge jährlich um gut fünf Prozent wachsen. Legt sie aber wie seit der Coronakrise um mehr als zehn Prozent zu, gelangt zu viel Geld in Umlauf – ein Inflationspotenzial baut sich auf. Dabei wird es in den kommenden Jahren bleiben, falls die EZB die Geldmenge nicht wieder ernst nimmt.

Erstens werden die Haushaltsdefizite nach dem Abklingen der Coronakrise höher sein als in den Jahren zuvor. Die Coronakrise hat überall im Euro-Raum den Glauben der Menschen an die Bedeutung des Staats wiedererwachen lassen. In diesem politischen Klima dürften die Bürger noch lange hohe Haushaltsdefizite akzeptieren.

Den damit einhergehenden Kredithunger der Staaten werden die Banken durch den Kauf von Staatsanleihen so lange stillen, wie sie diese im Rahmen der EZB-Kaufprogramme an die Notenbank weiterreichen können. Den Gegenwert der Anleihen überweisen die Banken dann weiter auf die Zentralbankkonten der Finanzminister, die damit Zahlungen an Privathaushalte und Unternehmen leisten, womit das Geld in Umlauf kommt und die Geldmenge erhöht.

Große Kreditverführung

Bleibt die Geldpolitik zu locker, werden Unternehmen und Hausbauer nach Überwindung der Krise zweitens dazu verführt, zu viele Kredite aufzunehmen. Dann landen die ausgezahlten Kredite auf den Konten der Unternehmen und Privatleute und lassen die Geldmenge ebenso steigen wie die Anleihekäufe der EZB. Ein solches übermäßiges Geldmengenwachstum zu ignorieren hat sich immer wieder als gefährlich erwiesen.

Ein warnendes Beispiel sind die USA der 1960er-Jahre. Damals musste die Zentralbank während der Emission neuer Staatsanleihen deren Kurse stabil halten, was sie häufig zu umfangreichen Anleihekäufen zwang. So gelangte, von der Zentralbank unbeachtet, zu viel Geld in Umlauf. Das begann sich Mitte der 1960er-Jahre in einer höheren Inflation niederzuschlagen, nachdem die US-Arbeitslosenquote auf sehr niedrige Niveaus gefallen war, ohne dass die im keynesianischen Zeitgeist verhaftete Notenbank darin ein Problem sah.

Ende des Jahrzehnts war die Inflation bereits auf fünf Prozent gestiegen. Die zweistelligen Inflationsraten der 1970er-Jahre, die viele mit dem Ölpreisschock von 1973 in Verbindung bringen, hatten ihren Ursprung vor allem darin, dass das zu starke Geldmengenwachstum im vorausgegangenen Jahrzehnt ignoriert worden war.

Kurseinbrüche an Finanzmärkten drohen

Ähnliches droht im Euro-Raum in vielleicht vier oder fünf Jahren, wenn die Arbeitslosenquote nach Überwindung der Coronakrise wieder niedrig sein wird. Der Schaden einer höheren Inflation könnte dieses Mal sogar gravierender sein als damals, weil zusätzlich Kurseinbrüche an den Finanzmärkten drohen.

Denn solange Inflation und Zinsen noch niedrig sind, treibt die lockere Geldpolitik die Preise von Aktien, Anleihen und Immobilien weiter nach oben. Zieht dann aber die Inflation an und muss die EZB ihre Negativzinspolitik beenden, dürften die hoch bewerteten Vermögenswerte unter die Räder kommen, was eine Finanzkrise auslösen könnte.

Um all das zu verhindern, sollte die EZB die Geldmenge nicht weiter stiefmütterlich behandeln. Ihr gebührt eine prominente Rolle im geldpolitischen Strategierahmen, den die EZB gerade überarbeitet. Monetäre Indikatoren sollten im Zentrum der zweiten Strategiesäule stehen.

Diese darf nicht zu einem Sammelsurium von Indikatoren werden, die in der ersten, der realwirtschaftlichen Strategiesäule, keinen Platz gefunden haben. Vor allem aber sollte die EZB die von der Geldmenge ausgehenden Signale in der Praxis ernst nehmen.

Der Autor ist Chefvolkswirt der Commerzbank.

Mehr: Ist Europa auf dem Weg zur Fiskalunion?

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