Gastkommentar: Warum Deutschland neue Institutionen und Führung braucht

In ihrem wegweisenden Werk „Warum Nationen scheitern“ untersuchen die beiden Autoren Daron Acemoğlu und James A. Robinson, warum einige Nationen über lange Zeiträume erfolgreich sind, während andere absteigen. Im Kern stellen sie die These auf, dass vor allem Institutionen über das Schicksal von Nationen entscheiden.
Inklusive Institutionen, die breite Teilnahme, Teilhabe und entsprechende Rechte für die Bürger fördern, führen in sich positiv verstärkenden Feedbackschleifen („Tugendkreise“) langfristig zu Wohlstand. Institutionen, die Macht und Ressourcen auf wenige konzentrieren, scheitern langfristig in sich negativ verstärkenden „Teufelskreisen“.
Eine Lösung wäre, neue wohlstandsfördernde Institutionen umfassend aufzubauen
Deutschland folgt heute der Logik der Teufelskreise. Wer denkt nicht an typische Indikatoren für den Abstieg einer Nation wie an unsere explodierende Bildungsarmut, an die Innovationsarmut im Mittelstand jenseits der Hidden Champions, an den Exit unserer besten Start-ups und KI-Forscher ins Ausland oder an die seit Jahren strukturell steigenden Netto-Kapitalabflüsse aus Deutschland.
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Eine Lösung wäre, neue wohlstandsfördernde Institutionen umfassend aufzubauen wie zum Beispiel Freie Schulen, Innovations-Regionen und -Agenturen, unabhängige Antikorruptionsagenturen, eine neue partizipative Steuerpolitik gekoppelt mit Onlineplattformen für Steuerverwaltung und -Beratung oder Bürger-Parlamente nach irischem Vorbild.
Doch das allein reicht nicht. Acemoğlu und Robinson sehen die Gefahr, dass die alten Eliten den institutionellen Wandel blockieren. Das gilt auch für die Bundesrepublik. Ganz gleich, ob es sich dann um den Verband der Automobilindustrie oder die Forschungsfürsten von Max Planck und Fraunhofer & Co. handelt oder um den Deutschen Gewerkschaftsbund oder die neuen grünen Wirtschaftslobbys – es sind diese Eliten, die den Abstieg heute beschleunigen.
Auch Eliten durchlaufen ihren Lebenszyklus. Mutig und progressiv zu Beginn, erfolgreich und effizient, wenn endlich an der Macht, dann oft machtsüchtig und ideologisch degeneriert im Zenit, kleptomanisch und verkommen in der Phase des Niedergangs. Deshalb greifen auch die ergänzenden Elite-Theorien zu kurz. Erst im magischen Dreieck von neuen Institutionen, neuen Eliten und schließlich neuer Führung beginnt der Tugendkreis des Aufstiegs.
Ronald Reagan, Gerhard Schröder und Kyriakos Mitsotakis öffneten ihre Nationen für den Aufstieg
Wer die Geschichte von „National Recoveries“, der (Wieder-)Aufstiege von Nationen betrachtet, der kommt an der zentralen Rolle von klugen und großen Persönlichkeiten als Führung nicht vorbei. Neue Institutionen und Eliten brauchen neue Führung. Vice versa.
Führungsfiguren wie Deng Xiaoping, Gorbatschow oder Mandela öffneten ihre Nationen für den Aufstieg. Ihr Scheitern liegt wiederum begründet in der Schwäche neuer meritokratischer Eliten. Anders bei Ronald Reagan, Margaret Thatcher, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder: Sie gaben ihren Nationen trotz heftigen Widerstands und böser Anfeindungen kräftige wirtschaftliche und soziale Entwicklungsschübe.
Nicht zu vergessen Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis: Sein Land ist das zweite Jahr in Folge auf Platz eins des Rankings durch den Economist als „European Success Story“. Der Economist sieht Mitsotakis als Vater dieses Erfolgs. Nach der linkspopulistischen Herrschaft der Syriza gelangt unter ihm der wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Wiederaufstieg.
Diese Beispiele zeigen, dass Defätismus und Depressivität in Deutschland nicht angesagt sind. Wie die oben genannten Namen zeigen, gebären Krisen – unter der Voraussetzung, dass der Rechtsextremismus keine Chance bekommt – oft unerwartete oder auch unkonventionelle Führungspersönlichkeiten. Wer hätte je geglaubt, dass der Schauspieler Wolodimir Selenski als Präsident der Ukraine so aufrecht sein Land nach dem russischen Überfall regieren würde.
Vor einem Mangel an geeigneten Führungspersonen muss uns in Deutschland nicht bange sein. Nur eines ist klar: Nationale Genesung dauert. Die historischen Beispiele wie Großbritannien oder Griechenland zeigen, dass zwölf bis 15 Jahre vergehen können, bis eine positive Veränderung eintritt – und es auch dann keine Garantie gibt, dass die erreichten Erfolge bleiben. Das sich einander bedingende Dreieck „Neue Führung, neue Eliten und neue Institutionen“ muss immer wieder errungen und erneuert werden.




Die Autoren:
Winfried Felser ist Internetunternehmer, Zukunftsforscher und Autor. Er hat das Fraunhofer-Anwendungszentrum für logistikorientierte Betriebswirtschaft in Paderborn mitgegründet.
Thomas Sattelberger war Personalvorstand bei Dax-Konzernen wie Telekom und Continental, dann Bundestagsmitglied für die FDP und Staatssekretär im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung.





