Gastkommentar: Warum die Viertagewoche nur einer von vielen Bausteinen für flexibleres Arbeiten ist
Bei der Debatte um die Viertagewoche ist oft nicht ganz klar, was alles darunter verstanden wird. Soll die bestehende Arbeitszeit von 35 oder 40 Stunden beibehalten und nur auf vier Tage statt auf fünf verteilt werden? Soll die Arbeitszeit um ein Fünftel reduziert werden – und wenn ja: bei vollem, teilweisem oder gar keinem Lohnausgleich?
Viele Befürworterinnen und Befürworter der Viertagewoche verbinden damit eine Arbeitszeitverkürzung um ein Fünftel bei vollem Lohnausgleich. Damit das für ein Unternehmen kostenneutral bleibt, müsste die Produktivität um 25 Prozent steigen. Auch wenn es dann vielleicht weniger Kaffeepausen, Leerlauf, bürokratische Vorgaben, unnötig lange Besprechungen und einen niedrigeren Krankenstand geben sollte: 25 Prozent Produktivitätssteigerung ist für die allermeisten Unternehmen angesichts strikter Optimierungsstrategien und einer bereits hohen Arbeitsverdichtung nicht realistisch. Eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich kostet in aller Regel also.
Für einzelne Unternehmen kann sich die viertägige Arbeitswoche lohnen
Eine viertägige Arbeitswoche kann sich für ein Unternehmen rechnen: Wenn so leichter Personal gewonnen oder gehalten werden kann, wenn die Beschäftigten motivierter und konzentrierter arbeiten, wenn sie sich besser erholen können und weniger krank sind, wenn es sich vielleicht um ein Geschäftsmodell im Bereich kreativer Dienstleistungen handelt, bei dem es sowieso mehr um die Ergebnisse und weniger um die aufgewendeten Stunden geht, kann viel für so ein Arbeitszeitmodell sprechen. Das gilt umso mehr, wenn die Kundinnen und Kunden des Unternehmens nicht nur auf den Preis, sondern vor allem auf die Qualität achten.
Offensichtlich ist aber auch, dass eine Busfahrerin nicht durch eine um 25 Prozent erhöhte Geschwindigkeit die Kosten konstant hält, ein Lehrer nicht 25 Prozent effizienter unterrichten wird und das Pflegepersonal in Krankenhäusern nicht 25 Prozent der Betreuungsarbeit einsparen kann.
In vielen Bereichen ist folglich die Einführung einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich ohne Kostensteigerungen unrealistisch. Sehr realistisch ist es aber, Arbeitszeitmodelle für die Beschäftigten maßzuschneidern – wobei das Gehalt sich an der Wochenarbeitszeit bemisst. Das kann dann eine Drei-, Vier- oder Fünftagewoche sein mit einer täglichen Arbeitszeit von sechs, sieben oder acht Stunden.
Ein Mehr an einvernehmlicher Flexibilität ist ein Gewinn für die Beschäftigten und Betriebe
Das Arbeitsrecht erlaubt all diese Varianten schon jetzt, und Befragungen zeigen, dass die meisten Menschen, gerade im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Teilzeit, ungefähr so viel arbeiten, wie sie es sich wünschen. Vollzeitbeschäftigte würden oft gern etwas weniger arbeiten, Minijob-Beschäftigte oft einige Stunden mehr. Das ist aber eine Frage der Vereinbarungen zwischen den Beschäftigten und ihren Arbeitgebern oder auch der Tarifparteien. Es spricht erst einmal nichts dagegen, wenn bei Tarifverhandlungen ein Teil des sonst möglichen Lohnzuwachses zur Verringerung der Arbeitszeit eingesetzt wird. Um den unterschiedlichen Bedarfen der Beschäftigten Rechnung zu tragen, kann dies auch mit einer Wahlmöglichkeit zwischen Geld und Zeit verbunden sein.
Volkswirtschaftlich betrachtet würden die Fachkräfteengpässe allerdings eher zunehmen, wenn es einen gesamtgesellschaftlichen Trend zu kürzeren Arbeitszeiten gäbe. Dem lässt sich aber entgegenwirken: Wenn es gelingt, durch flexiblere Arbeitszeitmodelle Menschen dazu zu bewegen, mehr als bisher oder überhaupt statt gar nicht zu arbeiten, wäre das ein Gewinn für die Gesellschaft, für die Beschäftigten und die Betriebe.
Flexiblere Arbeitszeitmodelle können bei vielen Tätigkeiten auch mit mehr Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts einhergehen – je nach Beruf kann ja ein guter Teil der Arbeit zu Hause erledigt werden. Flexibilität muss aber auch gut möglich sein. Eine verbesserte soziale Infrastruktur, zum Beispiel Ganztagskindergärten und -schulen, wie auch effektivere Arbeitsanreize im Steuer- und Transfersystem und die Vermeidung übermäßiger Arbeitsbelastungen sind hier wichtig.
Unser Fazit lautet daher: Mehr Flexibilität ist die beste Lösung, wenn dabei die Wünsche der Beschäftigten und die Notwendigkeiten der Arbeitsabläufe klug kombiniert werden. Eine Viertagewoche erhöht die Arbeitgeberattraktivität. Sie verdichtet die Arbeit, was zwar die Produktivität der Mitarbeitenden erhöht, doch dem gewünschten Effekt einer geringeren Arbeitsbelastung entgegenwirkt. Inwiefern dann Anpassungen beim Arbeitsentgelt vereinbart werden müssen, kann nur unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen bestimmt werden. Möglich ist vieles, wenn es wirklich gewollt wird: Selbst Führungskräfte müssten nicht 50 Wochenstunden arbeiten. Wenn sich zwei Führungskräfte gut abgestimmt eine Führungsposition teilen, können beide mit 25 oder 30 Stunden alle Aufgaben meistern.
Die Autoren:
Anna Kaiser ist Geschäftsführerin und Gründerin des Tech-Start-ups Tandemploy und Vice President Strategy & Innovation beim Tech-Unternehmen Phenom.
Ulrich Walwei ist Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit.