Gastkommentar Was der industrielle Mittelstand jetzt wirklich braucht

Thomas Burger ist geschäftsführender Gesellschafter der Burger Group, Schonach, und Präsident der wvib Schwarzwald AG, eines 75 Jahre alten Industrienetzwerks mit Sitz in Freiburg mit über 1000 Mitgliedern mit weltweit 350.000 Arbeitsplätzen.
Multiwahlkampf in Corona-Zeiten. Das ist aktuell die größte Herausforderung, mit der sich die Politik beschäftigt. Der Staat ist in Zeiten einer Pandemie als Krisenmanager kurzfristig überlebenswichtig.
Bislang ging jede Pandemie irgendwann vorüber. Industrieunternehmer in Deutschland fragen sich: Wo will das Mittelstandsland Deutschland mit seinen exportstarken Hidden Champions langfristig hin? Haben wir einen stimmigen Politikansatz? Welche Angebote für den Mittelstand gibt es von den Parteien, insbesondere von einer neu orientierten CDU, die mit dem frisch gewählten Parteivorsitzenden Armin Laschet ins Wahljahr geht?
Wir haben viel zu verlieren. In Europa erwirtschaften sieben Prozent der Weltbevölkerung 25 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts und stehen für 50 Prozent der weltweiten Sozialleistungen. Deutschland führt diese Europaliga an. Weltmarktführer in Sozialleistungen bleiben wir nur, wenn wir immer wieder Weltmarktführer mit unserer Wirtschaftsleistung werden. Wir brauchen heute mehr klare Leitgedanken als Wahlgeschenke.
Ein Satz vorweg: Als es zehn Jahre lang gut lief, wurde ganz Deutschland zum wirtschaftspolitischen Idyll verklärt. Wenn der Weg jetzt beschwerlicher wird, hat überraschenderweise nicht die Großindustrie, sondern der Mittelstand „geschlafen“ und kommt mit E-Mobilität, Globalisierung und Digitalisierung samt Künstlicher Intelligenz (KI) angeblich nicht klar. Das ist Unfug. Kaum eine Branche geht so resilient durchs Corona-Gewitter und durch Strukturanpassungen wie die weltweit aktiven Mittelständler aus der Industrie.
Die unbestritten größten Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts heißen erstens Defossilisierung, zweitens Strukturwandel, drittens Wertewandel. Unsere Chancen liegen in technologischem Fortschritt und dezentralen, digital gestützten schnellen Geschäftsmodellen. Unsere Gefahren heißen Paternalismus, Dirigismus, Intransparenz, Bürokratie, Steuerlast und Verschuldung.
Erstens: Die zentrale Frage der Defossilisierung unserer Marktwirtschaft beantworten wir, wenn wir jeden CO2-Ausstoß mit einem Preisschild versehen. Dadurch werden Konsumenten und Produzenten erfolgreich angehalten, weniger CO2 zu verbrauchen. Wie sie das machen, ist ihnen überlassen. Natürlich wird dann vieles teurer, das ist der Preis für Klimaschutz.
Der sogenannte Zertifikatehandel, den es seit vielen Jahren für einige Branchen gibt, sollte aus seinem Schattendasein befreit werden. Und allen, die zu Recht fürs Klima protestieren, sollten wir sagen, dass man etwa Flugreisen nicht verbieten oder zuteilen, aber auch nicht billiger machen sollte. Auch sollte der Staat die bei den Bürgern anfallenden Mehrkosten nie übernehmen, sonst hat die Umwelt nichts davon.
Zweitens: Solche Prinzipien lösen dann vor Ort und bei jedem CO2-Verbraucher – Konsument und Industrie – den ökologischen Strukturwandel aus, den wir weltweit dringend brauchen. Wir können mit „grünen Ideen“ dann schwarze Zahlen schreiben, wenn wir die Marktwirtschaft als Instrument zur Ideenfindung wiederentdecken.
Der Staat kann die Zukunft nicht vorhersehen
Wirtschaftsminister aller Parteien und Länder mit all ihren Strukturkommissionen sind mit der Entdeckung der Zukunft heillos überfordert und werden im Zweifel eher alte Großstrukturen konservieren oder irgendeiner schlagkräftigen Brüsseler Lobby nachgeben. Die teuren Beispiele Kohle, Stahl, Atom und auch die jahrzehntelangen Subventionen für den Diesel zeigen, dass gerade der Staat die Zukunft nicht vorhersehen kann. Der Europäische Green Deal verlängert vermutlich leider die Liste der staatlichen „Wissensanmaßungen“ und weist – trotz des schönen Titels – in die falsche Richtung, weil er gegen den Markt arbeitet.
Die europäischen Regelungen für die Automobilindustrie machen denselben Fehler. Sie fördern nicht CO2-Einsparungen, sondern einseitig Elektromobilität und schalten Ideenwettbewerb aus. Was manche Verantwortliche in Großunternehmen getan haben, war vermutlich vorsätzlicher Betrug. Aber wenn Europa Wettbewerbsregeln für die CO2-Emissionen für die nächsten Jahre vorgibt, in denen der technologische Gewinner heute schon feststeht, ist das moralisch vergleichbar.
Drittens: Merkwürdig ist, dass dieser politische Ansatz konträr zur gesellschaftlichen Entwicklung steht. New Work und das „agile Mindset“ fordern vom „Boss“ mehr Vertrauen und Autonomie für den Einzelnen. Natürlich nach fairen und transparenten Regeln und einer abgestimmten Vision. Das ist gut und für den Mittelstand weniger neu als für manchen Konzern. Wenn man Parteiprogramme liest, dann geht es heute aber vor allem um Grenzwerte, Quoten, Kontrollen und Strafen für die angeblich ungezügelte „Bestie Industrie“. Und um höhere Steuern.
Der Mittelstand braucht eine Angebotspolitik
Liebe Politiker, auch wenn ein Unternehmen mit möglichst diversen Führungskräften, breit wahrgenommener Elternzeit, großzügigen Teilzeitmodellen, im ganzjährigen Homeoffice mit Vertrauensarbeitszeit, volldigitalisiert samt Künstlicher Intelligenz und mit einer weltweit die Menschenrechte wahrenden Lieferkette unterwegs ist – und das sind viele –, dann ist das Überleben dieses Unternehmens noch lange nicht gesichert.
Wir brauchen wieder das, was man noch unter Schröder „Angebotspolitik“ genannt hat. Eine gute Infrastruktur, gute Bildung für wirklich alle, einen starken, keinen großen Staat, mehr Vertrauen in Privatinitiative, weniger Bürokratie, eine konkurrenzfähige Steuerlast. Dann bleiben die Mittelständler und ihre Ideen im Land, und Deutschland bleibt Weltmarktführer auch bei Sozialleistungen.
Der Autor ist geschäftsführender Gesellschafter der Burger Group, Schonach, und Präsident der wvib Schwarzwald AG, eines 75 Jahre alten Industrienetzwerks mit Sitz in Freiburg mit über 1000 Mitgliedern mit weltweit 350.000 Arbeitsplätzen.
Mehr: Buchautor Philipp Depiereux: „Die deutschen Mittelständler müssen Welt-Mut-Führer werden“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.