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Gastkommentar Wie der Staat Grundlagenforschung fördert und die Rendite des Fortschritts einstreicht

Wie kann die Coronakrise wirtschaftlich überwunden werden? Gefragt ist ein neues Staatsverständnis. Es braucht den Staat als Innovator und gemeinnützigen Kapitalisten, analysiert Horst Wildemann.
25.02.2021 - 21:00 Uhr Kommentieren
Horst Wildemann ist Professor an der TU München und leitet die Unternehmensberatung TCW. Quelle: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt
Der Autor

Horst Wildemann ist Professor an der TU München und leitet die Unternehmensberatung TCW.

(Foto: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt)

Zuerst gab es den Wumms. Damit meinte Finanzminister Olaf Scholz die Rekordsumme von 130 Milliarden Euro, mit der die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft aus der Coronakrise ziehen soll. Sodann folgte die Warnung. Der Staat drohe mit den Corona-Milliarden Unternehmen, die eigentlich überschuldet seien, in ziel- und endlos dahingeisternde Zombies zu verwandeln.

Je länger das Covid-19-Virus wütet, desto mehr eskaliert der Streit über die Rolle des Staates. Ist der Staat auf einmal doch der bessere Unternehmer, indem er sich in Firmen wie den Impfstoff-Entwickler Curevac einkauft und anstelle der Aktionäre Konzerne wie Tui und Lufthansa am Leben hält? Oder ist es allerhöchste Zeit, dass der Markt regelt, welchen Unternehmen die Zukunft gehört?

Wer den Staat zum Superunternehmer stilisiert oder ihn pauschal zum Rückzug aufruft, übersieht zwei wesentliche Aspekte: erstens, dass wir aus dieser Krise nur mit Innovationen heil herauskommen werden. Und zweitens, dass der Staat bei erfolgreichen Innovationen, die der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter treffend als schöpferische Zerstörung bezeichnete, in allen Phasen eine unerlässliche Rolle spielt – als Marktbereiter, als Impulsgeber, als Risiko-Financier und Technologie-Selektierer.

Es reicht nicht, zu fordern, dass ein Staat, der Verantwortung für Leben und Gesundheit übernimmt, künftig für Vorräte, Lager und Lieferketten sorgen und die Ausstattung mit Schutz- und medizinischen Artikeln gewährleisten muss, auch wenn dies der Betriebswirtschaftslehre und den Marktregeln widerspricht. Gefragt ist vielmehr die Rolle des Staates als Innovator.

Schon Ökonom Schumpeter forderte einen Staat, der Geld in die Hand nimmt, wenn sich damit Innovationen stimulieren lassen. Denn der Staat hat den langen Atem, den es braucht, um die Entwicklung von Grundlagentechnologien zu finanzieren. Fast alle wirklich großen technischen Revolutionen – die Eisenbahn, die Nanotechnologie, das Internet – gab es, weil der Staat die kapitalintensivsten Anfangsinvestitionen tätigte.

Das Arpanet etwa, die Basis für das heutige Internet, wurde fast ein Vierteljahrhundert im Auftrag der US-Luftwaffe und dann vom Massachusetts Institute of Technology unter Beteiligung des amerikanischen Verteidigungsministeriums entwickelt. Erst nachdem der Staat die wilden Ideen der kreativen Visionäre über die Schwelle erster Prototypen gehievt hatte, stiegen Unternehmen, private Risikokapitalgeber und Business-Angels ein, um marktfähige Geschäftsmodelle daraus zu entwickeln.

Ähnliches geschah beim iPhone von Apple. Alle Features, die das neuartige Handy 2007 smart machten, vom Internet über GPS und Touchscreen bis zum Spracherkennungs- und -verarbeitungssystem Siri, wurden nicht von Bastlern in der Garage erfunden. Sie waren die Früchte jahrzehntelanger staatlich geförderter Grundlagenforschung.

Modell USA

Eine zentrale Rolle spielte dabei die Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa), eine Behörde des US-Verteidigungsministeriums, die mit ihrem Milliardenbudget zur Entwicklung von Mikroprozessoren und zur technologischen Grundlage für Siri beitrug. Der Algorithmus, mit dem Google heute Umsätze generiert, wurde mit dem Geld der amerikanischen National Science Foundation entwickelt, einer 1950 gegründeten staatlichen Forschungsförderungsbehörde.

Die Bedeutung des amerikanischen Staates für Innovationen lässt sich an vier Zahlen ablesen. Von den Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in den USA entfallen 70 Prozent auf die Unternehmen und 26 Prozent auf die öffentliche Hand. In der Grundlagenforschung hingegen stemmt der Staat 57 Prozent, der Unternehmenssektor nur 18 Prozent. Der Rest wird jeweils von Universitäten und anderen nicht gewinnorientierten Organisationen getragen.

Der berühmte Satz von Apple-Gründer Steve Jobs, man müsse tun, was man liebt, und tollkühn bleiben, um Großes zu erzeugen, erhält vor diesem Hintergrund einen ganz eigenen Sinn: Wenn der Staat tollkühn Schlüsseltechnologien entwickelt, die sich die Kapitalisten nicht zu finanzieren trauen, ist es für diese einfacher, zu pflanzen und zu ernten, als wenn das Feld nicht bestellt worden wäre.

Modell Japan

Die japanische Innovationspolitik kann noch immer als Vorbild dienen, auch wenn das Land seit einigen Jahren technologisch eher auf der Stelle tritt. Der Staat in Japan orientiert sich dabei an vier Prinzipien: Förderung ausgewählter Technologien, Vernetzung von Privatwirtschaft und Forschungsvereinigungen, gezielte steuerliche Anreize für Unternehmen, internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Ziel des Staates ist es, den Wandel zu orchestrieren, Verbindungen zwischen Branchen herzustellen, den öffentlichen und privaten Sektor zu vernetzen und eine nachhaltige Multiplikation von Wissen zu ermöglichen. Dabei verteilt der Staat die Forschungsgelder auf viele Branchen, nur rund zwei Prozent flossen bisher in das Militär und die Raumfahrt.

Modell China

Das Reich der Mitte fährt mit seinem gelenkten Kapitalismus aktuell eine Strategie, die – in dieser Form historisch einmalig – Innovationen im Hightech- wie im Umweltbereich miteinander verbindet. Dazu hat die Kommunistische Partei einen Fünfjahresplan mit Investitionen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar aufgelegt. Das entspricht fünf Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes.

Damit werden die Entwicklung umweltverträglicher Materialien, Brennstoffe und Fertigungsverfahren oder Elektroautos gefördert. Umweltschutz und Profiterzielung gehen Hand in Hand. Der Einsatz nachhaltiger Technologien führt nach Meinung der chinesischen Wirtschaftslenker zu einer Win-win-Situation für die Volkswirtschaft und die Umwelt.

Die Erfolge der Solar- und Windenergie scheinen den Planern recht zu geben. Die für 2020 vorgesehene kumulierte installierte Photovoltaik-Leistung von 105 Gigawatt wurde bereits Ende 2019 mit 204,3 Gigawatt um fast 100 Prozent übertroffen; das entspricht der Leistung von 200 Atomkraftwerken. Chinas Solarzellenhersteller beherrschen heute den Weltmarkt.

Auch in der Solarthermie und der Windkraft ist das Land führend. Der chinesische Windanlagenhersteller Goldwind drängt massiv in den europäischen Markt. Noch kämpft der Newcomer in Europa um das Vertrauen der Investoren. Fakt ist aber, dass die technischen Komponenten made in China günstiger sind als die Turbinen von Siemens, Gamesa oder Nordex.

Die Lehren für Deutschland

Soll der Funke des Fortschritts derart auch in Deutschland und der EU überspringen, heißt das: Der Staat muss in die Rolle des gemeinnützigen Kapitalisten schlüpfen, muss Innovationsentscheidungen fällen, die Grundlagenforschung ankurbeln sowie Investitionsanreize und Leitplanken setzen, um Unternehmen im Land zu halten. Eine reine steuerliche Förderung, so zeigen Untersuchungen, bringt nur selten grundlegend Neues.

Die große vor uns liegende Jahrhundertaufgabe, die auch aus der Coronakrise heraushilft, ist die klimafreundliche Umgestaltung unseres Wirtschaftens. Um für das Megaprojekt die nötige Akzeptanz zu erreichen, bedarf es eines neuen Konsenses, einer Politik der Teilhabe, der Partizipation.

Es darf nicht sein, dass der Staat nur Kosten und Verluste sozialisiert. Dies sollte auch für Gewinne gelten, die sich mithilfe der staatlichen Vorleistungen erzielen lassen. So könnte der Staat Tantiemen für die erfolgreiche Nutzung seiner Grundlagenforschung verlangen. Diese könnten in einen Innovationsfonds oder eine Entwicklungsbank fließen, die Kredite vergibt, deren Rückzahlung sich aus dem kommerziellen Erfolg neuer klimafreundlicher Technologien speist.

Die Verbraucher und Steuerzahler würden auf diese Weise erleben, dass ihr Geld zu Arbeitsplätzen, Einkommen und Gewinnen hierzulande führt. Noch braucht es massive Forschungs- und Entwicklungsarbeit, bis sich nachhaltige Technologien zu geringeren Kosten rentabel herstellen lassen.

Der amerikanische Staat ließ das Arpanet, die Basis für das heutige Internet, entwickeln, um im Falle eines Atomkriegs die Kommunikation aufrechterhalten zu können. Man stelle sich vor, er würde heute nur ein Prozent aller Umsätze mit dem Internet als Tantieme verlangen, wie viel Geld dann bereitstünde, um die grüne Revolution zu finanzieren – und mit deren Gelingen neue Forschungsmittel für das nächste gesellschaftliche Großprojekt zu generieren.

Der Autor ist Professor an der TU München und leitet die Unternehmensberatung TCW.

Mehr: Rafael Laguna: „Unsere Bürokratiemonster sind tödlich für Innovatoren“

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