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Gastkommentar Will Europa seine Souveränität bewahren, darf es kein Monopol auf nachhaltige Zukunft zulassen

Vernetzung macht Mobilität sicherer und umweltfreundlicher. Doch fehlende Regeln für geistiges Eigentum bedrohen Innovationen, kritisiert Helmut Matschi.
06.09.2021 - 06:00 Uhr 1 Kommentar
Helmut Matschi ist Vorstand des Continental-Konzerns und Leiter des Geschäftsfelds Vehicle Networking and Information. Quelle: Continental AG
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Helmut Matschi ist Vorstand des Continental-Konzerns und Leiter des Geschäftsfelds Vehicle Networking and Information.

(Foto: Continental AG)

Endlich ist wieder IAA! In den kommenden Tagen zeigen Auto- und Tech-Konzerne aus der ganzen Welt in München ihre Neuheiten. Ein Schwerpunkt ist das vernetzte und automatisierte Fahren. Dank Lösungen wie Abbiege- oder Müdigkeitsassistent werden Autos sicherer und komfortabler. Immer mehr Innovationen dienen aber auch dem Klimaschutz. Ohne Vernetzung und Internet geht das nicht.

Fast alles, was einen Stecker hat, wird künftig vernetzt und über Computerprogramme gesteuert werden. Nur so lässt sich der Green Deal der Europäischen Union verwirklichen, nur so können Treibhausgase nachhaltig verringert werden. Doch grundlegende Innovationen werden in Europa zunehmend ausgebremst – und zwar nicht nur im Auto.

Beispiel: der außergerichtliche Vergleich zwischen Daimler und Nokia. Strittig waren Lizenzen für „standardessentielle Mobilfunkpatente“. Ohne diese Patente funkt es nicht – weder im Auto noch beim Haushaltsgerät. Für den Zugang zum Mobilfunknetz braucht es eine Kommunikationsschnittstelle. Prinzipiell ist es daher gut, dafür einen technischen Standard wie 3G, 4G oder 5G zu haben. Durch ihn verstehen sich die unterschiedlichen Systeme der Hersteller untereinander. Das macht für Industrie und Konsumenten vieles einfacher.

Doch manche Standards hebeln den Wettbewerb aus und dienen Monopolen. Ist nur eine einzige Technologie, Ladebuchse oder bestimmte Softwaresprache zulässig, haben Hersteller und Verbraucher keine Wahl – der Patentinhaber hat als Monopolist der Technologie das große Los gezogen: Alle und alles sind auf ihn angewiesen.

Genau so erging es Daimler. Im Juni 2021 schloss der Konzern mit Nokia einen Lizenzvertrag für dessen standardessentielle Mobilfunkpatente. Zuvor hatte Nokia eine ganze Welle von Unterlassungsklagen losgetreten, Daimler drohte sogar ein Produktionsstopp. Juristen nennen das „Unterlassungsdruck“. Die Möglichkeit, solchen Druck auszuüben, gibt es in dieser Form nur in Deutschland. Daimler musste sich letztlich fügen – die Zeche zahlen andere.

Profitgarantie für Monopole

Standardessentielle Mobilfunkpatente werden für jede Art von Funkverkehr mit dem Auto benötigt. Ob Musikdownload oder Notsignal: Alles funktioniert auf Basis derselben, standardisierten Mobilfunktechnologie. Auch der „eCall“, ein automatischer Notruf, nutzt bestimmte Mobilfunkstandards. Er ist seit 2018 für alle Fahrzeuge in der EU vorgeschrieben. Selbst wenn ein Autohersteller wollte, könnte er die dafür notwendige Mobilfunkeinheit nicht abschalten.

Eine Vorschrift mit Profitgarantie für Monopole. Denn aus Sicht der Patentinhaber soll nur eine Lizenz erhalten, wer das Endgerät zusammensetzt. So wie Daimler das Auto. Allerdings gibt es die essentielle Funktechnologie auch in vielen kleineren, weniger wertvollen Komponenten. Dennoch sollen sich nach den Forderungen einiger Patentinhaber die Lizenzgebühren am Wert der Luxuslimousine bemessen und nicht am Wert der Technologie, die in der günstigeren Funkeinheit steckt.

Das Problem: Die höheren Lizenzgebühren werden überwiegend von den Zulieferern getragen. Die aber liefern keine Autos. Daher halten sie Gebühren, die sich nach dem gesamten Fahrzeugwert richten, für unangemessen hoch. Denn überhöhte Lizenzkosten machen die Herstellung der viel geringwertigeren Teile, die auf die Patente angewiesen sind, schlicht unwirtschaftlich. Das Vorgehen mancher Patentinhaber empfinde ich daher als klar rechtswidrig und schädlich für das europäische Innovationsklima.

Die wahre Dimension dieses Verhaltens wird erst beim Blick in die Zukunft klar: Nahezu jede Maschine, jedes Gerät und jede Steuerung kann und wird künftig per Kommunikationseinheit vernetzt werden. Was die Autoindustrie mit den monopolisierten Mobilfunkpatenten heute erlebt, wird künftig viele andere Unternehmen treffen – etwa die Hersteller von internetfähigen Mäh-, Bau- oder Kehrmaschinen.

Ein digitaler Schutzengel

Je weiter die betroffenen Bauteile in der Wertschöpfungskette vom Endprodukt entfernt sind, desto schwieriger wird es, eine jeweils eigene Lizenz für die nötigen Mobilfunkpatente zu bekommen. Die Details der Lizenzvergabe sind somit alles andere als eine Kleinigkeit, die nur wenige betrifft. Denn Inhaber standardessentieller Patente sind Gatekeeper. Sie entscheiden, wer Innovation zu welchem Preis vorantreiben kann. Das aber darf auf den für Klimaschutz, Wirtschaft und Gesellschaft so wichtigen Feldern Vernetzung und Nachhaltigkeit nicht sein.

Das aktuelle Beispiel Autoindustrie zeigt, wie stark Klimaschutz und Sicherheit von der Nokia-Patentfrage abhängen. Denn viele wesentliche Innovationen kommen derzeit zustande, weil Fahrzeuge basierend auf standardisierter Mobilfunktechnologie Daten in Echtzeit miteinander austauschen. Das vernetzte Auto von heute ist bereits ein zentraler Teil des Internets der Dinge.

Ein Fahrzeug, das um die Ecke blickt, den Stau vorausahnt und die nasse Fahrbahn einkalkuliert, passt seine Fahrweise und Route automatisiert an. Im ständigen Austausch untereinander und mit der Infrastruktur optimieren Fahrzeuge so den Verkehrsfluss – und verringern den Energieverbrauch und den CO2-Ausstoß. Millionenfach. Täglich. Weltweit. All das sind Innovationen der Autoindustrie und nicht der Mobilfunkpatentinhaber.

Zusätzlich erhöhen Innovationen die Sicherheit: Die sogenannte Vehicle-to-X-Technologie versorgt das Auto zum Beispiel mit Daten von Sensoren an schwer einsehbaren Kreuzungen oder in einem Tunnel. Sie wirkt dann wie ein digitaler Schutzengel, der vor Gefahren warnt und Unfälle vermeidet. Mit solchen Technologien nähern wir uns dem Ziel, in der EU bis 2050 kein Menschenleben mehr durch Verkehrsunfälle zu verlieren.

Digitale Souveränität bewahren

Mit Continental sind eine Reihe weiterer europäischer Unternehmen Vorreiter bei der Fahrzeugvernetzung. Alle sind auf standardessentielle Patente angewiesen. Die bestehenden Regeln bieten jedoch keine Rechtssicherheit. Selbstverständlich soll der Erfinder für seine Entwicklungsleistung entlohnt werden. Doch abgesehen von dieser Übereinstimmung herrscht Uneinigkeit.

Daher ist es verhältnismäßig einfach, als Inhaber standardessentieller Patente seine Monopolstellung auszunutzen. Das aber passt nicht in ein Europa, das für Freiheit und Wettbewerb steht und Spitzenleistungen benötigt. Europa und seine Unternehmen können sich im globalen Rennen um Innovationen für Zukunftstechnologien langwierige rechtliche Auseinandersetzungen einfach nicht leisten.

Schon jetzt sind Europas Unternehmen viel zu abhängig von Zulieferern aus Asien oder den USA. Von dort kommen die für die Vernetzung über Mobilfunk grundlegenden Technologien wie Chips oder Cloud-Lösungen. Zukunftstechnologien wie das vernetzte Fahren und andere Anwendungen im Internet der Dinge könnten Europa wieder an die Spitze bringen.

Will Europa seine digitale und wirtschaftliche Souveränität bewahren, muss es jetzt reagieren und darf kein Monopol(y) auf unsere nachhaltige Zukunft mehr zulassen!

Mehr: VDA-Präsidentin: Die Klimawende gibt es nicht zum Nulltarif

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1 Kommentar zu "Gastkommentar : Will Europa seine Souveränität bewahren, darf es kein Monopol auf nachhaltige Zukunft zulassen"

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  • Ich kann das Nokia/Daimler-Patent nicht beurteilen, aber viele Patente sind technisch gar nicht patentwürdig. In den USA wurde jahrzehntelang jede Schnapsidee patentiert, vor allem bei Software. Alles beschrieben im Buch von Jaffe und Lerner 2004 „Innovation And Its Discontents: How Our Broken Patent System is Endangering Innovation and Progress“. Ein Patentprüfer hatte dort im Schnitt 1,5 Tage Zeit pro Patenteinreichung. Natürlich wird dann gestempelt was das Zeug hält. Wer Patente in komplexen Gebieten kennt weiß, dass eine gründliche Prüfung so unmöglich ist. In Deutschland ist es besser, aber nicht viel besser. Meine Schätzung auf Basis Mitarbeiterzahl und Anmeldungen führt auf 2 bis 3 Tage im Schnitt. Das Patentsystem existiert seit Kaiser’s Zeiten und so ist es auch gestrickt. Man kann schnell sehen ob ein Maschinenteil patentierbar ist und auch eine Verletzung ist meist leicht erkennbar. Bei heutiger IT-Technologie geht das höchst selten. Das erkannte im Jahr 2012 auch Richard Posner, Richter am Federal Court of Appeals. Er behandelte einen Fall Apple/Motorola und fragte schließlich öffentlich, ob man in solchen Technikbereichen Patente überhaupt braucht und fair behandeln kann. Das Patentsystem gehört grundsätzlich neu aufgebaut, aber wo sind die Politiker, die sich für so eine Materie einsetzen würden?

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