Gastkommentar: Zuhören ist für Topmanager ein Muss

Politik und Wirtschaft stehen vor gewaltigen Transformationsherausforderungen. Es ist ausgerechnet ein Althistoriker, der die Situation am besten charakterisiert: „Dann hätten also Macht zum Handeln und Ohnmacht zum Verändern nebeneinandergestanden, Macht in den Verhältnissen und Ohnmacht über die Verhältnisse“, schreibt Christian Meier – eigentlich über die Zeit von Julius Cäsar, aber dieser Satz skizziert auch trefflich die aktuelle Lage.
Transformation wird eingefordert, beschworen und angekündigt – geliefert wird sie jedoch selten
Wir schauen auf Führungspersonal in Politik und Wirtschaft, das zwar mit Macht zum Handeln ausgestattet ist, dem es aber offenkundig nicht gelingt, Dinge zu verändern. Transformation wird eingefordert, Transformation wird beschworen, Transformation wird angekündigt – geliefert wird sie jedoch höchst selten.
» Lesen Sie auch: So sortieren Manager ihre Prioritäten richtig
Was hindert uns an echter Transformation? Zumindest mit Blick auf die Wirtschaft lässt sich das recht einfach auf den Punkt bringen: Es gibt zu viel „Selbst-Gewissheit“ und zu wenig „Selbst-Bewusstsein“, namentlich auf der ersten Führungsebene. Chefinnen und Chefs, die ihre Firmen verändern wollen, müssen sich selbst verändern. Konkret heißt das: mehr zuhören, mehr zutrauen und mehr zumuten als bisher.
Zuhören scheint für Manager die schwerste Disziplin überhaupt zu sein. Unlängst half ich einem frischgebackenen CEO bei der Strukturierung seiner ersten Arbeitsmonate und regte an, dass er rasch alle wichtigen Standorte besuchen sollte. Seine erste Frage: Aber was soll ich denn in den ersten Wochen in einem Townhall-Meeting erzählen? Meine Antwort: kein Townhall, nichts erzählen, hinfahren, hinsetzen, Klappe halten und in verschiedenen Gruppen einfach mal 90 Minuten zuhören.
Gerade in Zeiten technologischer Veränderungen ist Selbstgewissheit in der Chefetage gefährlich
Gerade jetzt, wo aufgrund von gravierenden geoökonomischen und technologischen Veränderungen die Ungewissheit Konjunktur hat, ist Selbstgewissheit auf der Führungsetage gefährlich. Das spürt auch die Belegschaft. So wird das Tun von CEOs, die ganz gewiss an weiteres Wachstum in China glauben oder ganz gewiss auf den Erfolg von Elektromobilität setzen, zunehmend hinterfragt.
Auch aufgrund technologischer Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz (KI) ist Zuhören für Topmanager ein Muss. Der Vorstandschef eines Dax-40-Unternehmens berichtete neulich, dass er sich fast jede Woche zwei Stunden von verschiedensten Experten zum Thema KI „aufschlauen“ lässt. Ich würde mir wünschen, dass auch andere CEOs nun von Senden auf Empfangen umschalten und Konferenzen oder Seminare nicht nur besuchen, um dort zu dozieren, sondern sich auch mal demütig ins Publikum setzen und zuhören.
Weil die Dinge so ungewiss sind, ist es wichtig, den eigenen Leuten (wieder) mehr zuzutrauen. Im Militär gilt der Satz: „Das Wissen liegt an der Front.“ Das gilt auch in der Unternehmenswelt. Es sind meist nicht die Stabs- und Strategieabteilungen, die das beste Gefühl für Märkte, Produkte und Technologien haben. Und es sind auch nicht die Prozessoptimierer, die am besten wissen, wo es in den Produktionsabläufen hakt.
Wer echte Transformation will, muss ein Klima schaffen, das Informationen von ganz unten nach ganz oben befördert. Die amerikanische Leadership-Professorin Amy Edmondson hat in ihrem Buch „The Fearless Organization“ und mit ihrem Begriff „psychological safety“ sehr gut beschrieben, wie das gelingen kann.
Die Zeiten sind hart, da kann es in den Firmen nicht gemütlich sein. In dieser Situation muss sich das Topmanagement trauen, allen etwas zuzumuten. Ein Klima psychologischer Sicherheit bedeutet nicht, dass es keine klaren Feedbacks, harte Ansagen und nachdrückliche Aufforderungen zur Leistungssteigerung gibt. Zuweilen wundert es mich, wie konsequent man Themen ausweicht, die vielleicht „nicht gut ankommen könnten.“
So kenne ich kaum einen CEO, der mit dem Umfang und der Art des „home office“ glücklich ist, wie es sich in der eigenen Firma durchgesetzt hat. Gleichzeitig ist mir aber auch selten ein CEO über den Weg gelaufen, der sich getraut hätte, klar zu artikulieren, was er für das Unternehmen als angemessen erachtet. In harten Zeiten braucht es auch harte Ansagen. Der Lufthansa-Chef hat hier vor wenigen Tagen einen Anfang gemacht. „Das läuft gerade überhaupt nicht so, wie wir uns das vorstellen“, teilte Carsten Spohr seiner Belegschaft schnörkellos mit.
Transformation beginnt an der Spitze. Nur wenn sich das Top-Management selbst verändert, hart an sich arbeitet, alte Gewissheiten ablegt und sich neuen Ungewissheiten stellt, wird sich auch das Unternehmen verändern. Wer als Führungskraft echte Transformation erreichen will, muss sich jeden Tag drei Fragen vorlegen: Höre ich genügend zu? Traue ich den Leuten genügend zu? Und mute ich uns allen genügend zu?

Der Autor:
Klaus Schweinsberg ist Gründer des Centrums für Strategie und Höhere Führung und Affiliate Professor an der ESCP Business School in Paris.





