Gastkommentar Zurück zur Normalität: Die Notenbanken müssen einen Gang zurückschalten

Jacques de Larosière (r.) war französischer Notenbankchef und Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, David Marsh ist Chairman der Denkfabrik Omfif.
Die internationalen Zentralbanken sollten aktive Maßnahmen vorbereiten, um die Welt auf eine geldpolitische Normalisierung für die Zeit nach der Corona-Pandemie einzustellen. Im Interesse einer effizienteren, wachstumsfördernden Verteilung der Kapital- und Investmentströme, auch um dem Risiko einer gefährlichen inflationären Aufblähung der globalen Liquidität entgegenzutreten, müssten die Finanzmärkte ihren Einfluss auf die Langfristzinsen wiedergewinnen.
Die weitere Entwicklung in Italien nimmt für die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Schlüsselrolle ein. Mario Draghi hatte als EZB-Präsident die Politik des billigen Geldes geprägt. Jetzt hat er als italienischer Premierminister eine epochale Chance, die Auszahlung von mehr als 200 Milliarden Euro aus dem europäischen Hilfsfonds produktiv für sein Land einzusetzen.
Sollte es ihm gelingen, sein Land zu stabilisieren, könnte er eine Kehrtwende zugunsten einer ausgeglicheneren europäischen Wirtschaftspolitik einleiten, mit einer qualitativ verbesserten Fiskalpolitik und einer höchst willkommenen Reduzierung der überstrapazierten Stabilisierungsfunktion der EZB.
Die Anstrengungen der Notenbanken und Finanzministerien, die langfristigen Anleiherenditen niedrig zu halten, waren und sind während der Spitzenzeit der Covidkrise ehren- und begrüßenswert. Jetzt nähert sich jedoch der Zeitpunkt, an dem die Geld- und Finanzpolitiker der führenden Länder diese Bemühungen allmählich und im Einklang miteinander zurückschalten müssten – unter sensibler Berücksichtigung der unsicheren Lage der Weltwirtschaft.
Sollten bei kontinuierlicher Häufung der Notenbanken-Staatsanleiheankaufprogramme die ressourcen- und zinssteuernden Funktionen der Finanzmärkte weiterhin ausgehebelt werden, droht die Gefahr, dass vorhandene Liquidität nicht in nützliche Investitionen, sondern in ausgedehnte Staatshaushalte eingeleitet wird. Staaten und Notenbanken werden dann irgendwann gezwungen sein, abrupt auf die steuer- und währungspolitische Bremse zu treten – mit noch gravierenderen wirtschaftlichen Folgen, als wir bisher erlebt haben.
Da die Pandemie trotz neuer Mutationen langsam abebbt und ermutigende Nachrichten aus den Impfkampagnen folgen, kommt eine stetige Normalisierung der Geldpolitik auf die Tagesordnung. Die Gefahr einer Überhitzung intensiviert sich. Billiges Geld in den USA, Europa und Japan und das umfangreiche Konjunkturpaket des neuen US-Präsidenten erhöhen das Inflationsrisiko deutlich über das mittelfristige Zwei-Prozent-Ziel der Zentralbanken.
Handlungsbedarf besteht in Europa, nachdem die EZB seit 2014 Negativzinsen eingeführt und ihre Bilanz um das Dreieinhalbfache ausgeweitet hat. Doch niedrige oder gar negative Leitzinsen leisten einem Fatalismus Vorschub, der die Investitionsbereitschaft eher hemmt, als sie zu vergrößern. Denn in der von John Maynard Keynes postulierten „Liquiditätsfalle“ gehen die Investoren auf Nummer sicher und stecken ihre Ersparnisse in extrem kurzfristige Finanzinstrumente.
Die EZB sitzt in einer Falle
Die EZB sitzt bereits seit einiger Zeit in einer Falle, die ihr die Flexibilität raubt, die sie für eine angemessene Geldpolitik eigentlich bräuchte. Mit ihren gigantischen Anleihekäufen hat sich die EZB de facto zu einem Akteur der Haushaltspolitik aufgeschwungen und war 2020/21 größter Abnehmer für neu ausgegebene Staatsanleihen. Die EZB übernimmt also Verteilungsaufgaben, um das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Euro-Ländern auszugleichen. Doch diese Aufgabe obliegt eigentlich den Regierungen und Parlamenten.
Kern- und Angelpunkt einer Alternativaktion, die im Rahmen der 2020 gestarteten Überprüfung der EZB-Geldstrategie eingeleitet werden kann, wäre eine flexiblere Handhabung des zweiprozentigen Inflationsziels, das im Schnitt mit ein bis zwei Prozent regelmäßig und aus verständlichen Gründen unterschritten wurde.
Wird das Zwei-Prozent-Ziel künftig nicht erreicht, sollte dies nicht mehr als Rechtfertigung für eine unnötige Lockerung der Zinspolitik dienen. Alle sollten sich darüber einig sein, dass der systematische Ankauf von Staatsanleihen von den Regierungen nicht als Möglichkeit genutzt werden sollte, umfangreiche Konjunkturpakete ohne passende Voraussetzungen zu finanzieren. Zu diesen Voraussetzungen zählen etwa mehr Effizienz bei öffentlichen Ausgaben und die Priorisierung staatlicher Investitionen vor Umverteilungsmaßnahmen.
Null- und Negativzinsen sind nicht gottgegeben
Ferner sollte die EZB anerkennen, dass Null- und Negativzinsen keineswegs gottgegeben, sondern größtenteils das Ergebnis einer übermäßigen Einkaufspolitik der Zentralbanken sind, die sich jedoch langsam zurückfahren ließe. Wenn die Leitzinsen in Europa langsam wieder auf ein normales Niveau zurückkehren, könnte dies den ersten Schritt einer produktiveren Wachstums- und Investitionsphase für die Zeit nach der Pandemie markieren.
Ohne grundlegenden Einstellungswechsel werden wir leider darauf noch sehr lange warten.
Jacques de Larosière war französischer Notenbankchef und Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, David Marsh ist Chairman der Denkfabrik Omfif.
Englische Version: Central banks need to change gear - OMFIF
Mehr: Führender US-Ökonom warnt vor „finanzieller Instabilität im Herzen der Euro-Zone“
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China wurde ganz vergessen, bei der Betrachtung. Das neue chinesische Modell sollte man genauer im Auge behalten. Japan wurde von den alt-denkenden Ökonomen der Volkswirtschaft seit 1990 laufend verspottet, dabei geht es Japan ziemlich gut. Japan schafft Innovationen am Laufenden Band während die alten Ökonomen in Europa an Japan kein gutes Haar lassen und von Sklerose plappern. Der neue Spieler auf dem Schachbrett ist China, das sich in nie gekannter Geschwindigkeit entwickelt hat. Die alten Ökonomen in Europa hätten eine solche Entwicklung nie für möglich gehalten. Das Modell China muss genauer studiert werden. China würde es z.B. nie zulassen, dass die Löhne steigen, nur da die Mieten steigen. Sie bauen Wohnungen mit Giralgeld, zinslos, und halten so die Lebenshaltungskosten der arbeitenden Bevölkerung niedrig, so dass auf den Weltmärkten chinesische Produkte konkurrenzfähig bleiben. Hier in Deutschland verteuert man die Mieten, die daraus entstehenden Gewinn werden teils in Steueroasen transferiert. Der Einsatz der Notenbanken muss neu gedacht werden. Sie können Investitionen fördern, die die Konkurrenzfähigkeit der Arbeiterschaft erhält und gleichzeitig Wirtschaftswachstum schafft. Die Regeln der EZB müssen neu gedacht werden und schnell geändert werden.