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KommentarHohe Gaspreise helfen zu sparen

Die Gaspreise zu deckeln wäre keine Lösung. Die Industrie muss Wege finden, weniger zu verbrauchen. Private Haushalte könnten entlastet werden, sagen Christian Bayer und Achim Wambach. 04.04.2022 - 04:00 Uhr Artikel anhören
Foto: ZEW, Volker Lannert/Uni Bonn

Wirtschaftsminister Habeck hat am 30. März die Gas-Frühwarnstufe ausgerufen. Diese Stufe ist der erste Schritt eines dreistufigen Notfallplans. Während Stufe 2, die Alarmstufe, eine Zuteilung des Gases über den Markt zulässt, wird in Stufe 3, der Notfallstufe, das Gas durch die Bundesnetzagentur zugeteilt. Das könnte die Wirtschaft gravierend schwächen.

Wir werden mit weniger Gas aus Russland leben müssen. De facto tun wir dies bereits, da die Gaspreise so massiv gestiegen sind. Unternehmen fahren ihre Produktion herunter; sie verlagern Produktion ins Ausland, wo die Energie günstiger ist; sie kaufen Produkte aus Drittstaaten, die sie ansonsten von Zulieferern in Europa gekauft haben.

Ein Ende der hohen Preise ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Auch wenn die Bundesregierung ein Gasembargo ausgeschlossen hat, kann es dennoch dazu kommen. Der internationale Druck auf Deutschland, die Zahlungen an Russland, die hauptsächlich für russische Energie erfolgen, zu reduzieren, ist enorm.

Auch die Ankündigung Putins, nur noch Rubel zu akzeptieren, hat noch einmal vor Augen geführt, dass in der wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit Russland das Heft des Handelns nicht nur bei uns Europäern liegt. Ob dieser Konflikt um die Zahlungsweise zu einer möglichen temporären Aussetzung der Gaslieferungen führt, ist unklar. In jedem Fall muss man mit der Möglichkeit planen und entsprechend vorsorgen.

Was ein Embargo oder eine weitere Verknappung des Gases mit dem dazugehörigen Preisanstieg für die deutsche Wirtschaft bedeutet, hängt maßgeblich davon ab, wie die Regierung damit umgeht. Ein viel beachtetes Modell von Ökonomen (unter Mitwirkung eines der Autoren dieses Beitrags) kommt zu dem Ergebnis, dass, wenn die öffentliche Hand optimal agiert, bei einem Embargo mit einem wirtschaftlichen Einbruch von ein bis drei Prozent zu rechnen sei.

Wo wirkt Gas am besten?

Dieses Modell setzt insbesondere voraus, dass der Preismechanismus wirkt: Dann wird das Gas dort eingesetzt, wo es den größten Beitrag liefert. Es wird an den Stellen genutzt, wo es, erstens als Energieträger schwierig in der Produktion zu ersetzen ist; wo es zweitens schwierig ist, die Produkte selbst durch weniger gasintensive Alternativen zu ersetzen; und wo es drittens schwierig ist, die Produkte aus dem außereuropäischen Ausland zu kaufen.

Überall anders stehen Substitutionsmöglichkeiten offen – jedenfalls mit einem hinreichend langen Planungshorizont. Und noch sind es sechs Monate, bis es wieder kalt wird und wir mehr mit Gas heizen und so im Winter mehr als doppelt so viel Gas verbrauchen wie in den Sommermonaten.

Eine Substitution, da wo sie möglich ist, würde viele Formen annehmen. Gas wird an manchen Stellen wie etwa im Strommarkt durch andere Energieträger ersetzt; manche gasintensive Produkte, also Produkte, deren Herstellung viel Gas benötigt, werden durch weniger gasintensive ersetzt; und auch Handelsströme passen sich an. All diese Substitutionen finden bereits jetzt zum Teil statt, wenngleich noch zaghaft.

Auch in den USA, wo es keine Gasknappheit gibt, steigen die Terminpreise für Stahl, weil schon jetzt mit zusätzlicher europäischer Nachfrage gerechnet wird. So schmerzhaft die in den Substitutionsprozessen steckende Anpassung für einzelne Unternehmen oder gar Branchen ist, so wichtig ist sie gesamtwirtschaftlich, um die Kosten einer Gasknappheit gering zu halten.

Diese Einsicht schlägt sich auch in den entsprechenden Modellberechnungen nieder. Im selben ökonomischen Modell zeigt sich nämlich, dass, wenn Gas so zugeteilt wird, dass Haushalte und der Dienstleistungssektor vollständig bevorzugt werden, die gleiche gesamte Gasreduktion erheblich höhere Schäden verursacht. Die industrielle Produktion würde einbrechen. Der Rückgang des BIP betrüge dann mit zehn Prozent mehr als das Dreifache des Rückgangs im Ausgangsszenario ohne Rationierung, und das bei unveränderter Reduktion des Gasverbrauchs.

Das gleiche knappe Gas würde nur ohne Berücksichtigung von Zahlungsbereitschaften und ohne Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Signale anders verteilt.

Ein Warnsignal

Nun ist das Modell nicht eigens dafür ausgerichtet, Rationierungen zu analysieren. Aber die Größenordnung der Steigerung des wirtschaftlichen Einbruchs ist ein Warnsignal – bei falscher politischer Reaktion kann der wirtschaftliche Schaden um ein Vielfaches höher sein. Und diese Überlegung ist nicht rein hypothetisch – eine solche Form der Rationierung sieht die Notfallstufe des „Notfallplans Gas“ derzeit vor.

Schon die Erwartung einer Rationierung sorgt für Fehlanreize. Unternehmen werden für eine hohe Zuteilung lobbyieren, statt durch Anpassen der Produktion und Umstellen der Lieferketten schon jetzt auf die hohen Preise und das Risiko der Gasknappheit hinreichend zu reagieren. Auch das ist bereits zu beobachten. Zuletzt haben sich die Nahrungsmittelhersteller wie auch die chemische Industrie mit der Bitte geäußert, vorrangig im Notfallplan berücksichtigt zu werden. Sinnvoller wäre es, schon heute durch marktwirtschaftliche Mittel den Verbrauch vorsichtshalber zu senken und die Industrie zu Importen energieintensiver Produkte anzuregen.

Die Regierung kann und sollte daher jetzt schon die Weichen entsprechend stellen, damit vermieden wird, in eine planwirtschaftliche Rationierung hineinzulaufen. Das Prinzip ist klar – lässt man den Preismechanismus wirken, so wird dort am meisten eingespart, wo der Nutzen von Gas letztlich am geringsten ist. Staatlich verabreichte Preissenkungen, wie sie für Benzin und Diesel angekündigt sind, sollten vermieden werden. Um Haushalte vor einer Überlastung durch zu hohe Preise zu schützen, kann die Regierung auf der Basis vergangenen Gasverbrauchs Beihilfen zahlen.

So könnte man schon jetzt verteilungsneutral zu zusätzlicher Einsparung anregen, indem man die in Brüssel und Berlin diskutierten Pläne zu einem Strafzoll auf russisches Gas vorantreibt, der so gestaltet sein sollte, dass die Versorgungsunternehmen ihn an die Verbraucher weitergeben können, und dem aber zollfinanziert eine Gutschrift basierend auf dem Verbrauch im Vorjahr gegenübersteht – in vergleichbarer Höhe pro kWh. Wer es schafft, russisches Gas einzusparen, stellt sich besser als diejenigen, die es nicht können, werden aber auch nicht zusätzlich belastet.

Der Preismechanismus muss wirken

Ein solches Verfahren, kommuniziert mit Einspartipps an die Haushalte, würde die unerwünschten Verteilungswirkungen hoher Gaspreise weitgehend auffangen, ohne ihre gewünschten Anreizwirkungen zu unterminieren. Heute schon vorbereitet dient eine solche Maßnahme auch als Signal, selbst bei noch höheren Preisen für Gas nicht auf das Instrument der Rationierung greifen zu wollen. In ähnlicher Weise ließe sich auch ein von einer EU-Zolldiskussion losgelöster Gassteuer- und Transfermechanismus konstruieren, der rechtzeitig zum Gassparen anregt.

Der Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland betont: „Die Sicherstellung der Versorgung von bestimmten Kunden, wie beispielsweise Haushaltskunden und Kunden, die grundlegende soziale Dienste erbringen, hat einen hohen Stellenwert.“

Die wirtschaftlichen Nachteile einer Gasknappheit können gravierend sein. Sie werden aber wesentlich höher sein, wenn es nicht gelingt, diese Sicherstellung zu gewährleisten und gleichzeitig den Preismechanismus im Gasmarkt wirken zu lassen.

Achim Wambach ist Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Christian Bayer ist Professor am Hausdorff Center for Mathematics der Universität Bonn.

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