Kommentar zur Mediendebatte Wer will schon mit Lügen werben?

Wenn die Menschen zu Facebook, Google & Co. abwandern, folgt ihnen die Werbeindustrie.
Es gibt kein „Recht des Stärkeren“. Weil Justitia blind ist. Weil sie keinen Unterschied macht zwischen Arm und Reich. Auch weil „der Stärke nachgeben eine Handlung der Notwendigkeit ist, nicht des Willens“. Jean-Jacques Rousseau hat das schon vor über 250 Jahren in seinem „Gesellschaftsvertrag“ wunderbar pointiert erörtert. Trotzdem kommt es einem im Jahr 2017 oft so vor, als feiere das Recht des – oder der – Stärkeren fröhliche Urständ.
Donald Trump ist nur der verhaltensauffälligste Spross dieser neuen Bewegung. Er ist lärmig, egozentrisch, machthungrig, stinkreich, schon physisch einschüchternd und dabei von geradezu digitaler Schlichtheit: null, eins. Freund, Feind. Ähnlich präpotent präsentiert sich auch das Treibhaus, in dem er gedeihen konnte. Letztlich ist der amtierende 45. US-Präsident zugleich Spross und Fanal jener IT-Gesellschaft, die sich so gern als Zukunft der Menschheit geriert, aber vor allem Monopoly spielt: Google, Amazon, Facebook, Apple (die sogenannten Gafa-Konzerne) haben politisch, gesellschaftlich und ökonomisch eine schier unermessliche Macht angehäuft, die kaum Kontrolle erfährt. Facebook etwa hat heute zwei Milliarden aktive monatliche Nutzer, mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung. Das Gafa-Quartett könnte an der Börse bald doppelt so viel wert sein wie alle 30 Dax-Konzerne zusammen. Google dominiert nicht nur den Markt der Suchmaschinen – allein in Deutschland mit 91,9 Prozent Marktanteil.
Blick in die USA
Kollateralschäden sind zu beklagen: Die Internetgiganten haben Branchen revolutioniert oder schlicht plattgemacht. Auch die Wahrheit und damit der für demokratisch verfasste Gesellschaften unabdingbare öffentliche Diskurs sind bedroht: Fake News finden in sozialen Netzwerken wie Facebook einen Resonanzraum, der Phänomene wie Trump befeuert, wenn nicht erst möglich macht. Die Lüge ist billiger und einfacher konsumierbar als professionell kuratierter, bisweilen anstrengender, weil ambivalenter Journalismus.
So begann ein Teufelskreislauf: Wenn die Menschen zu Facebook, Google & Co. abwandern, folgt ihnen die Werbeindustrie. Das Geld wiederum fehlt klassischen Medien für ihren Auftrag. Der Journalismus fängt an, Schwächen zu zeigen, was noch mehr Menschen von der vermeintlichen „Lügenpresse“ weg- und in die Arme der Internetriesen treibt. Und die machen sich nicht einmal die Mühe, selbst Inhalte zu produzieren. Entweder verlassen sie sich auf „user generated content“, was politische Debatten auf das intellektuelle Level von Katzenvideos drückt. Oder sie saugen den verbliebenen klugen Inhalt einfach von dessen Produzenten ab: den klassischen Medien.
Die Folge lässt sich in den USA bereits beobachten: Die regionale Presselandschaft ist dort kaum mehr existent, selbst in seriösen TV-Sendern regiert Geschrei und Desinformation. Und der Präsident macht sich einen Spaß daraus, die vierte Gewalt ausdauernd zu diffamieren. Via Twitter. Es dürfte zur Ironie der Geschichte gehören, dass sich ausgerechnet Amazon-Gründer Jeff Bezos die „Washington Post“ heute wie ein Spielzeug hält, ein Hobby.
Es gibt einen moralischen Kompass
Auf diese Fehlentwicklungen hat Julia Jäkel, Vorstandschefin des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr, jüngst im Handelsblatt-Interview hingewiesen. Sie will, dass sich die Internetkonzerne ihrer Verantwortung stärker bewusst werden – und fordert zugleich eine neue Verantwortungsethik der Wirtschaft und ihrer Werbeabteilungen bei der Kanalisation ihrer Budgets. Es gehe nicht um „Almosen oder Subventionen“, da hat Springer-Chef Mathias Döpfner völlig recht, der seiner Kollegin sofort beisprang. Es gehe um „pragmatische Entscheidungen. Welche Medienmarken haben Relevanz, und in welchem Umfeld möchte ein Unternehmen seine Werbebotschaften platzieren: im Zusammenhang mit Fake News oder im Kontext relevanter Information?“
Natürlich argumentiert Julia Jäkel ebenso wie dieser Leitartikel auch pro domo ... also fürs eigene Haus. Das hat ja schon Cicero getan, auf den diese Redewendung zurückgeht, als er im Jahr 57 vor Christus die Rückgabe seines konfiszierten Heims juristisch erkämpfen wollte. Aber erstens sind Argumente nicht schon dadurch falsch, dass sie unter anderem dem eigenen Nutzen dienen. Und zweitens geht es hier wirklich um viel mehr als die Bilanzen einiger Verlagshäuser. Es geht darum, dass wir wieder Herr im eigenen Haus werden. Dass wir uns weitere Trumps ersparen. Dass der Polarisierung von Debatten und kompletter Gesellschaften Einhalt geboten wird.
Das können Wirtschaft, Unternehmen und Manager tatsächlich mit steuern. Ebenso, wie sie heute zu Recht auf Nachhaltigkeit, Sozialstandards, Umweltschutz oder Diversity Wert legen, braucht es auch eine „Corporate Media Responsibility“. CEOs müssen sich heute um jeden Krötenzaun kümmern. Wieso achten sie da nicht mehr darauf, in welchem Snapchat-Facebook-Instagram-Youtube-Darknet ihre Werbemillionen versickern? Es gibt nicht nur die Zahlen und Statistiken von Mediaplanern. Es gibt auch einen moralischen Kompass. Deshalb kann es ja zum Beispiel auch nie ein Recht des Stärkeren geben.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.