Prüfers Kolumne Der Schreibtisch ist nicht länger ein Altar der Macht

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Es war mal das Statussymbol eines jeden leitenden Angestellten und Chefs, einen großen Schreibtisch zu besitzen. So ein Schreibtisch musste nicht nur breit, sondern auch tief sein, damit er jeden, der dem Boss gegenüber sitzen würde, auf Abstand hielte. Und je höher die Position, desto mächtiger das Möbel.
Man kann die Chef-Schreibtische der Vergangenheit eigentlich nur als Monster begreifen. Riesige Blöcke aus Massivholz, die unverrückbar waren. Und genau das sollte so ein Klotz ja auch signalisieren. Sein Besitzer ist derart mächtig, man kriegt ihn nicht mehr von seiner Position weg. Ein großer Schreibtisch bedeutete große Verantwortung – und viel Arbeit, die bewältigt werde musste. Manche Schreibtische stehen immer noch irgendwo herum, obwohl ihre Benutzer längst hinweg sind.
Man hat auch immer wieder versucht, mit Schreibtischen Charakterstudien zu betreiben. Denn der große Lenker offenbart sich in der Art und Weise, wie er seinen Schreibtisch benutzt. Ob er dort geordnet die Papiere stapelt oder ob ein sogenanntes kreatives Chaos herrscht. Ob Nippes darauf zu finden ist, der irgendwie inspirieren soll oder eher Familienfotos.
Wozu man so einen großen Tisch aber eigentlich braucht, ist nicht leicht auszumachen, schließlich kann man immer nur gleichzeitig ein Dokument ausfüllen, ein Blatt beschreiben, ein Telefongespräch führen, einen Vertrag unterschreiben. Im Endeffekt bestehen Schreibtische vor allem aus dem Zeug, das unmotiviert darauf herumliegt und -steht. Schlimmstenfalls aus Haufen nicht erledigter Arbeit.
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Der Schreibtisch als Altar der Macht ist heute nicht mehr so gefragt. Derzeit möchte man nicht so gerne als Hierarchien-Anbeter dastehen, sondern als Teamplayer. Demnach sollte man eher die Zeit am Konferenztisch verbringen. Außerdem sollte man heute flexibel sein. Ständig unterwegs im eigenen Netzwerk. Da braucht man höchstens einmal einen kleinen Schreibtisch, an dem man sich hin und wieder mal ausruhen kann – wenn überhaupt.
Wir leben ja in einer Arbeitswelt, die sich ständig wandelt und neu erfindet. Wer will da noch einen Tisch haben, der immer der gleiche ist? Folgerichtig gibt es auch immer weniger Schreibtische in der Arbeitswelt. Das Chef-Office weicht dem Flex-Office.
Besonders praktisch ist es natürlich, wenn Zukunftsfähigkeit mit Sparpotenzialen einhergeht. Wenn Büroflächen neu verplant werden, dann wird immer öfter der Ballast der Arbeitnehmerkultur abgeworfen und statt des persönlichen Schreibtisches der geteilte Arbeitsplatz eingeführt. Die Arbeitnehmer gehen morgens nicht an ihren angestammten Platz, sondern setzen sich dort hin, wo sie wollen. Beziehungsweise, wo noch Platz ist.
Ich habe gelesen, dass in Berlin schon jeder zehnte Büroangestellte keinen eigenen Schreibtisch mehr hat. Alles was man tagsüber zum Arbeiten braucht, muss man am Abend wieder abräumen. Was auch den Vorteil hat, dass man sich im Falle einer etwaigen Kündigung nicht mit doofen Ritualen herumärgern muss. Die Zeit, die einem normalerweise gegeben wird, den „Schreibtisch zu räumen“, kann man dann viel sinnvoller nutzen.
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