Prüfers Kolumne Die Wirtschaftsmacht der Langeweile

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich habe in der „New York Times“ gelesen, dass wir in eine neue Phase der wirtschaftlichen Entwicklung eingetreten sind: die „Boredom Economy“, die Wirtschaft der Langweile. Menschen treffen wirtschaftliche Entscheidungen, weil sie sich langweilen. Weil nichts passiert, weil sie zu Hause sitzen und keine Reize auf sie einwirken.
Ich selbst bin schon durch einige Wirtschaften gegangen. Ich habe angefangen in der Old Economy, dann mit der New Economy weitergemacht, für mich scheint es nur konsequent, schließlich in der Boredom Economy zu enden.
In der, habe ich gelesen, sitzen die Menschen zu Hause, und Onlineshopping ist die einzige Möglichkeit, etwas Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Wenn es an der Tür klingelt, passiert wenigstens mal etwas. Man sagte ja früher älteren Menschen nach, dass sie vor dem Fernseher sitzen und dazu neigen, Shoppingsender zu gucken und entsprechend heftig zu bestellen.
In der Boredom Economy sind wir alle zu alten Menschen geworden. Aber wurde uns nicht einmal etwas anderes versprochen? Alles sollte jederzeit von zu Hause erreichbar sein, sodass wir ganz viel Zeit für die Dinge übrig haben, die uns wirklich wichtig sind. Welche waren das gleich noch?
Es wurde ja schon viel darüber spekuliert, wie man Menschen glücklicher machen kann. Eine der häufiger gehörten Thesen ist, dass man ihnen vor allem das leidige Geldverdienen zum Lebensunterhalt abnehmen sollte. Wenn Menschen endlich nicht mehr die längste Zeit ihres Lebens mit der Profitmaximierung zu tun haben, denkt man, dann würde sich endlich die Kreativität entfalten, zu der wir sonst nicht kommen.
Der Mensch könnte sich endlich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen. Nun ist es freilich vermessen zu vermuten, dass die Umstände einer Pandemie denen eines Arbeiterparadieses nahe kommen. Aber immerhin: Zeit, viel Zeit, die haben etliche jetzt.
Und Langeweile. Der wird mitunter Tolles nachgesagt. Demnach komme das Gehirn erst wirklich auf kreative Touren, wenn es sich kräftig langweilt. Albert Einstein soll beispielsweise die Idee zur Relativitätstheorie gehabt haben, als er bei seinem Job in einem Patentamt grässlich unterfordert war. Demnach können wir damit rechnen, dass demnächst Durchbrüche in der Quantenmechanik verkündet werden.
Was die „New York Times“ allerdings als erstes Beispiel der Kraft der Boredom Economy nennt, ist die massenhafte Spekulation der Kleinanleger mit Gamestop-Aktien. Wenn Langeweile vor allem zur Spekulation führt, kann man eigentlich froh sein, dass Einstein damals keine Broker-App hatte, mit der er sich ablenken konnte.
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