Prüfers Kolumne Motivationssprüche stimmen immer – oder?

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Immer wenn ich Motivationssprüche lese, habe ich den Eindruck, dass sie stimmen. Dass man sie sich einfach merken muss, um im Leben erfolgreich zu sein. Neulich fand ich im Internet etwa: „Das kalte Wasser wird nicht wärmer, wenn du später springst.“ Das leuchtet sofort ein, oder? Wenn man am Beckenrand wartet und wartet, dann muss man sich ja doch überwinden reinzuspringen.
Es gibt etliche andere Weisheiten, die in die gleiche Richtung zielen. Zum Beispiel: „Sei stärker als deine stärkste Ausrede.“ Ja klar, oder? Allerdings finde ich, dass bei vielen von diesen eingängigen Sprüchen ein zweiter Gedanke lohnt.
Oft wird vorausgesetzt, dass es keinen Zweifel geben kann am Ziel, etwa dem kalten Wasser. Aber ist es gut, ins kalte Wasser zu springen? Was man so hört: oft nicht. Wer einen schwachen Kreislauf hat, bei dem kann ein Temperaturschock den Blutdruck rapide ansteigen lassen, sodass man einen Herzinfarkt oder Schlaganfall riskiert. Man sollte sich vorher etwas abkühlen.
Auch der Spruch mit der starken Ausrede könnte noch einmal überarbeitet werden. Eine Ausrede ist ja per se kein legitimes Argument, sondern ein Scheinargument. Daher kann es gar keine starke Ausrede geben. Der Spruch könnte vielleicht lauten: „Sei stärker als dein stärkstes Gegenargument.“ Es ist natürlich gut, wenn die Pro-Argumente besser sind als die Kontra-Argumente – aber kann ein Mensch überhaupt stärker als ein Argument sein? Eigentlich nicht.
Eine weitere Weisheit, diesmal vom amerikanischen Motivationsredner Les Brown: „Du musst bereit sein, die Dinge zu tun, die andere niemals tun werden, um die Dinge zu haben, die andere niemals haben werden.“ Das kann man herunterbrechen auf die Feststellung, dass außergewöhnliche Erträge auch außergewöhnliche Anstrengungen erfordern. Das ist oft richtig, etwa im Sport und bei vielen persönlichen Erfolgen.
Wenn man sich aber in der Gesellschaft umsieht, wird man feststellen, dass viele, die ungewöhnlich viel besitzen, dafür gar nichts Ungewöhnliches getan haben. Gerade die wirklich, wirklich Reichen in Deutschland zeichnet ja eher ihre Gewöhnlichkeit aus – außer dass sie ungewöhnlich viel Vermögen haben. Oft haben sie nur einfach mehr Möglichkeiten.
Wer ein dickes Portfolio hat, der kann viel eher riskieren, sein Geld in riskante Wertanlagen zu stecken, als jemand, der von diesem Geld auch noch leben muss. Und natürlich stimmt es auch nicht, dass nur deswegen, weil man etwas Außergewöhnliches tut, auch etwas Außergewöhnliches passiert. Oft passiert gar nichts.
Ich hätte einen anderen Motivationsspruch zu bieten, mal sehen, ob er sich im Internet durchsetzt: „Jede Sekunde, in der du eine Manager-Weisheit liest, ist eine Sekunde, in der du auch keine Manager-Weisheit hättest lesen können.“
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